Editorial: Sind Rücksendungen ein Luxus?
Sind Rücksendungen Luxus?
Foto: picture alliance/Roland Weihrauch/dpa
Die Diskussionen über die Umweltfolgen des stetig, im
Corona-Jahr sogar besonders schnell wachsenden Online-Handels
sind (fast) so alt, wie der Online-Handel selber. Meist enden
diese Diskussionen damit, dass Kritiker wie Verfechter des
Online-Handels anerkennen, dass sowohl beim klassischen Handel
als auch beim Online-Handel Wege unvermeidbar sind: Ob nun
der Kunde zum Laden oder
die Ware zum Kunden fährt, macht bei Allerweltsware
nicht den großen Unterschied. Die mit der Zustellung eines
Pakets an die Heimadresse verbundenen CO2-Emissionen
werden auf durchschnittlich 1 kg geschätzt. Fährt man
hingegen mit dem Auto in den Laden, verursacht jeder Kilometer
des Hin- und Rückwegs je nach Automodell 0,1 bis 0,2 kg
Emissionen. Schon bei 5 km Anfahrtsweg bis zum Handy-Shop
ist die Online-Bestellung des neuen Smartphones daher
energetisch günstiger.
Weit vorne liegt der Online-Handel, wenn man ein seltenes Einzelteil bestellt und dieses auch noch energiesparend an die Firmenadresse liefern lässt, wo der Lieferdienst mehrere Pakete gebündelt vorbeibringen kann. Dann wird pro Paket unter einem halben Kilogramm CO2 emittiert. Die Alternative - möglicherweise fünf verschiedene Läden abzuklappern, bis man endlich fündig wird, und dabei 20 km oder noch weiter zu fahren, verursacht das Vielfache an Emissionen. Im Worst Case bietet einem der Händler im sechsten Laden dann an, die gesuchte Ware zu bestellen, sodass sich die Emissionen entsprechend addieren: Erst die vergebliche Rundtour, dann der Paketversand an den Laden, dann die Abholung in ebendiesem Laden.
Anders hingegen bei Großeinkäufen: Heimwerker-Material, für dessen Besorgung ein Besuch im nahe gelegenen Baumarkt ausreichen würde, wird bei Online-Bestellung von Amazon möglicherweise auf fünf verschiedene Marketplace-Händler gesplittet, die dann auch noch alle an unterschiedlichen Tagen und mit unterschiedlichen Versendern eintrudeln.
Vergebliche Lieferungen
Sind Rücksendungen Luxus?
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Besonders intensiv diskutiert werden die Umweltfolgen der
Rücksendungen: Erst muss der Paketbote das Paket an den
Kunden zustellen. Wenige Tage später muss er es wieder abholen
und zum Online-Händler oder dessen Rücksendezentrum bringen.
Nach der Prüfung im Rücksendezentrum wird die Ware dann wieder
zu den normalen Lagern transportiert und dort wieder in die
Regale einsortiert, bevor das Spiel von neuem beginnt.
Ich gebe es offen zu, es auch schon gemacht zu haben, daher bin ich in dieser Diskussion nicht unbefangen: Ich habe fünf paar Schuhe bei Amazon und mehrere Anzüge bei Zalando bestellt, in der festen Absicht, diese nicht alle zu behalten, sondern nur die, die am besten passen. Und ja, ich fand es dann bei dem Paket von Zalando besonders pfiffig, dass sogar klar bezeichnet war, wo man dieses wieder zukleben soll. Fast fühlte ich mich sogar schuldig, als ich mal nichts zum Zurücksenden hatte und das so schön vorbereitete Paket dann doch nicht dafür nutzen konnte.
Ist es dekadent, sich Ware über hunderte Kilometer anliefern zu lassen, nur, um sie anschließend postwendend denselben Weg zurück zum Händler zu senden? Nun, Schuhe und Bekleidung sind auch im stationären Handel die Produkte mit der geringsten Abschluss- und der höchsten Rückgabequote. Ein großer Teil der Kundinnen und Kunden kommt bei H&M oder C&A "nur mal gucken" und kauft nur dann etwas, wenn es besonders gefällt. Die großen Modeketten haben aus diesem Kundenverhalten gelernt und eine ausgeklügelte Logistik eingeführt, mit der fast schon im Wochenrhythmus immer etwas Neues in die Läden kommt. So wird es auch regelmäßigen Kunden beim Besuch nicht langweilig. Nur: CO2-neutral ist dieses Marketing-Prinzip sicher nicht.
Überhaupt gestalten die Modeketten das Einkaufen in ihren Läden immer mehr zum Erlebnis. Gerade die Luxusmarken setzen auf ein zahlungskräftiges Publikum, für das ein Shopping-Wochenende in London zumindest zu nicht-Covid-Zeiten genauso normal ist, wie für den Normalbürger der Einkauf im Supermarkt um die Ecke. Dass man von den Emissionen eines einzigen solchen Flugs und den zugehörigen Taxi-Fahrten hundert Normalbürgern je ein halbes Dutzend paar Schuhe zur häuslichen Anprobe schicken kann, dürfte außer Frage stehen.
Vorstoß des Sachverständigenrats
Nichtsdestotrotz schlägt der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen im Bundesjustizministerium die Einführung einer Kostentragungspflicht vor. Derzeit werden den Recherchen des Sachverständigenrats zufolge jährlich rund 280 Millionen Pakete zurückgesendet, was einem CO2-Ausstoß von 238 000 Tonnen entspricht. Müssten die Verbraucher hingegen 3 Euro für eine Rücksendung bezahlen, würde die Zahl der Rücksendungen geschätzt um 16 Prozent senken und entsprechende Emissionen vermieden werden.
Pseudodiskussion
Dabei zeigt ein Vergleich der Zahlen, dass es sich bei den CO2-Emissionen aus Rücksendungen noch nicht einmal um die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs handelt. Denn den genannten Emissionen von 238 000 Tonnen CO2 für Rücksendungen stehen jährlich 800 000 000 Tonnen CO2 in Deutschland insgesamt gegenüber. Das erwähnte Einsparpotenzial von 16 Prozent aller Rücksendungen würde die Emissionen gerade mal um 0,005 Prozent senken - und das auch nur unter der Voraussetzung, dass es keine schädlichen Kompensationen im Verbraucherverhalten gibt, wie beispielsweise wieder mehr Shopping-Touren in näher oder auch weiter gelegene Einkaufszentren. Die forcierte Elektrifizierung des regionalen Lieferverkehrs und die verstärkte Forschung an Konzepten für die Elektrifizierung des überregionalen Lieferverkehrs würde in den kommenden Jahren hingegen vielfach mehr CO2 einsparen.
Von daher pflichte ich dem Handelsverband Deutschland bei, der fordert, den Händlern bezüglich der Kostenpflicht bei Rücksenkungen auch künftig die Wahl zu lassen.