Gerecht?

Editorial: Was ist Netzneutralität?

Hehres Prinzip leider heute schon vielfach missachtet
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Nun beziehen sich die vorgenannten Einschränkungen alle auf den eigentlichen Kundenzugang. Erst der jeweilige Kundenrouter schaltet die jeweiligen Regeln wie Tempodrosseln oder die Blockade bestimmter Ports auf. Sollte man, wenn der Bereich des Kundenzugangs scheinbar unwiderruflich mit Traffic Shaping, Bandbreitenlimits und Volumenlimits "verseucht" ist, zumindest fordern, dass das Kernnetz neutral zu halten ist?

Nun, leider ist die Nichtneutralität längst im Kernnetz angekommen. Sie beginnt schon bei der Netzplanung: Wenn Netzbetreiber A seine Übergabepunkte zu Netzbetreiber B zu klein dimensioniert, dann kommt es zwangsweise zu Verstopfungen zwischen diesen beiden. Insbesondere über die Deutsche Telekom haben in der Vergangenheit andere Netzbetreiber wiederholt geklagt, dass sie sich dem Aufbau ausreichend starker Übergabepunkte verschließe. Bis heute nimmt die Deutsche Telekom beispielsweise nur untergeordnet am Peering am größten Deutschen Netzknoten Teil, dem DE-CIX, teil, und annonciert dort keine globalen Route. Andererseits: Würde die Telekom eine solche, global gültige Route zu ihren Kunden über den DE-CIX annoncieren, wäre der Port der Telekom am DE-CIX sofort verstopft.

Auch sonst gilt: Wenn zwei Betreiber mehrere Übergabepunkte miteinander unterhalten, können sie durch gezielt nichtneutrale Routing-Vorgaben den Datenaustausch untereinander verbessern. Ist zum Beispiel einer von zwei Austauschpunkten zentral gelegen und einer abseits, würden bei reinem Routing nach kürzestmöglichem Weg die meisten Pakete über den zentralen Knoten laufen und diesen zu Stoßzeiten möglicherweise überlasten. Wird stattdessen ein Teil der Pakete gezielt zum weiter entfernten Knoten umgeleitet, wird die Auslastungssituation insgesamt verbessert. Einige Kunden, nämlich die in den Regionen, die umgeleitet werden, bekommen aber einen etwas schlechteren Service, weil sie längere ping-Zeiten hinnehmen müssen.

Wirtschaftliche Gleichbehandlung!?

Die größten Protagonisten von Netzneutralität sind die Breitband-Schwergewichte. Googles Suchmaschinen-Crawler saugt täglich unvorstellbare Datenmengen, zugleich streamt die Google-Tochter YouTube unvorstellbare Datenmengen ins Netz. Maxdome und andere Provider-unabhängige Videoportale bis hin zu den Erotik-Anbietern profitieren ebenfalls von der Netzneutralität.

Wer nur wenige Daten überträgt, sieht die Situation hingegen wahrscheinlich entspannter. Vielleicht hat er sogar Vorteile: Wenn die Daten-Vielnutzer künftig mehr zahlen müssen, wird es für die Wenignutzer wahrscheinlich sogar günstiger.

Wichtig ist daher etwas anderes, nämlich, dass dem Kunden wirklich unmissverständlich mitgeteilt wird, was er bekommt. Wenn in der Werbung nämlich dick steht: "Internet", "Flatrate" und "100 MBit/s", während in den AGB dann Peer-2-Peer auf einen Bruchteil der Geschwindigkeit limitiert wird, und nach Verbrauch eines bestimmten Volumens eine noch weitere Drosselung auch des anderen Traffics erfolgt, dann fühlt sich der Kunde zu recht von der Werbung getäuscht. Und nein, ein Sternchentext mit den Einschränkungen reicht nicht aus, sondern es ist zu fordern, dass wesentliche Einschränkungen beim Lesen der Anzeige sofort mit erfasst werden können. Denn Angaben wie "außer Peer-2-Peer" oder "bis zu 100 GB im Monat" lassen sich ja ebenso plakativ positionieren. Was genau mit "außer Peer-2-Peer" gemeint ist, darf dann gerne im Sternchentext verschwinden.

Ebenso brauchen wir natürlich eine umfassende Missbrauchsaufsicht für die Vereinbarungen unter Providern. Wenn die Telekom den Traffic an Entertain für 1 Cent pro Gigabyte verkauft, von allen anderen Videodiensten aber 1 Euro pro Gigabyte verlangt, dann wäre das ganz klar die Ausnutzung ihres de-facto-Monopols bezüglich der Weiterleitung von IP-Traffic an ihre Kunden. Genauso, wie Mobilfunk-Terminierungsentgelte bereits reguliert sind, ist künftig auch die Festsetzung von IP-Terminierungsentgelten denkbar und möglicherweise ebenso notwendig, wie die Auferlegung von Zugangsverpflichtungen.

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