Gerecht?

Editorial: Was ist Netzneutralität?

Hehres Prinzip leider heute schon vielfach missachtet
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Durch eine erfolgreiche E-Petition ist das Thema Netzneutralität wieder in den Blickpunkt gerückt: Die Petenten wehren sich gegen die bekannten Drosselpläne der Telekom, künftig keine DSL-Anschlüsse mit unlimitiertem Datenvolumen mehr vertreiben zu wollen. Besonders stark stößt ihnen auf, dass die Telekom wohl beabsichtigt, den eigenen Video-Dienst Entertain von der Drosselung auszunehmen, die Konkurrenz wie Maxdome hingegen nicht. Folglich fordern die Petenten, der Bundestag möge ein Gesetz beschließen, dass die Provider verpflichtet, "alle Datenpakete von Nutzern unabhängig von ihrem Inhalt und ihrer Herkunft gleich zu behandeln".

Der Gesetzesentwurf ist eine gute Gelegenheit, mal etwas genauer auf den Begriff der "Netzneutralität" zu schauen. Denn dieser Blick offenbart, dass diese bereits heute, auch ohne die selektiven Drosselpläne der Deutschen Telekom, bereits erheblich erodiert ist. Zugleich zeigt sich, dass die Petition im Wortlaut unmöglich umgesetzt werden kann, weil das Internet die Datenpakete nunmal nicht "unabhängig von ihrer Herkunft [...] gleich behandeln" kann, ohne sofort in einer immensen Verstopfung zu enden.

Drosseln und Tempolimits sind das Gegenteil von Netzneutralität

Netzneutralität: Überhaupt noch Realität? Netzneutralität: Überhaupt noch Realität?
Foto: dpa^
Eines der zentralen Grundprinzipien des Internets ist "best effort": Es gibt keine garantierten Bandbreiten oder Verfügbarkeiten, sondern nur einen "großen Haufen" an mehr oder weniger schnellen Verbindungen. Jeder Internet-Knoten (Router) leitet die Pakete, die ihn erreichen, jeweils bestmöglich in Richtung auf das Ziel weiter. Sind beim Provider nun Regeln wie "Kunde 728 hat nur 6 MBit/s gebucht. Limitiere die Datenrate also auf 6 MBit/s, obwohl 16 MBit/s möglich wären", ist das bereits eine Verletzung der Netzneutralität, denn es werden nicht mehr alle Pakete gleich behandelt. Für die Kunden, die die niedrigere Bandbreite gebucht haben, gilt nicht mehr "best effort" sondern nur noch "limited effort".

Vor allem im Mobilfunkbereich ist "limited effort" seit Jahren gang und gäbe. Das dient zum einen dazu, die totale Verstopfung der Handy-Netze zu vermeiden. Zum anderen ist aber "limited effort" im Mobilfunkbereich längst zum Geschäftsmodell geworden. Größeres Inklusivvolumen, maximaler LTE-Speed, Tethering-Erlaubnis oder die Freischaltung von VoIP und Videostreaming: Es gibt viele Möglichkeiten, Dienste unter Missachtung der Netzneutralität zunächst zu sperren, und die Wegnahme der Sperre jeweils einzeln gegen monatlichen Aufpreis zu verkaufen. Hier ist die Deutsche Telekom übrigens ebenfalls einer der Vorreiter: Im mobilen Internet stört sie VoIP-Verbindungen und verhindert den Aufbau von Verbindungen zur Remote-Administration von Servern (ssh) teils sogar komplett. Dabei wird dann nicht nur nach Gesamttraffic und -bandbreite, sondern sogar nach dem Inhalt einzelner Pakete entschieden, was weitergeleitet wird und was nicht.

Neu ist also vor allem die Begehrlichkeit der Festnetzanbieter, die im mobilen Internet bewährten und ausführlich erprobten zahlreichen netzselektiven (statt netzneutralen) Marketing-Instrumente auch im Festnetz anzubieten. Wobei sie auch im letzteren unter der Hand längst angekommen sind: "Traffic Shaping" beschreibt ein ganzes Bündel von Maßnahmen, dass die Dienstequalität der (hoffentlich wenigen) "Poweruser" gezielt reduziert, um die Dienstequalität der (hoffentlich vielen) Durchschnittsnutzer zu verbessern.

Die Forderung, alle diese Maßnahmen abzuschalten, würde die Anbieter tatsächlich vor große Probleme stellen. Kabel Deutschland behält sich in den AGB beispielsweise nicht nur zum Spaß vor, Peer-2-Peer-Traffic gezielt zu limitieren, denn Kabel-Internet ist nunmal ein geteiltes Medium, bei dem viele Haushalte am selben Kabel hängen und nicht alle gleichzeitig die maximalen Bitraten anfordern können. Auch die dauernde Verstopfung, die im Datennetz von E-Plus nach Einführung der UMTS-Flatrate und vor Einführung von Limits herrschten, dürfte sich kaum jemand zurückwünschen.

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