Editorial: Stellt Huawei bald eigene Chips her?
Eigene Chips von Huawei?
Foto: teltarif.de
Gäbe es nicht die
US-Sanktionen, hätte Huawei nach eigener
Darstellung bereits letztes Jahr
Samsung überholt und wäre damit zum
führenden Smartphone-Hersteller weltweit aufgestiegen. Doch ohne
Google-Apps verkaufen sich Huawei-Geräte in vielen Regionen nicht
mehr so gut. Bald wird zudem die nächste Eskalation der USA im
Handelskrieg mit Huawei/China ihre Wirkung zeigen: Der Chipfertiger
TSMC wird ab 15. September keine Prozessoren und andere
Smartphone-Chips mehr an Huawei ausliefern. Die USA untersagen TSMC
ab diesem Tag die Nutzung entsprechender Patente, die TSMC in seinen
Chipfabriken einsetzt.
Da weder Samsung noch US-Chiphersteller einspringen werden, steht Huawei ab diesem Zeitpunkt ohne Produzent für seine High-End-Chips da. Prozessoren für Mittelklassegeräte, die nicht ganz so hoch integriert sind, kann Huawei auch von chinesischen Auftragsfertigern beziehen, sodass deren Produktion in den kommenden Monaten gesichert sein dürfte. Aber Huawei will natürlich auch im High-End-Bereich weiterhin konkurrieren.
Eigene Chips von Huawei?
Foto: teltarif.de
RT America lanciert nun das Gerücht, dass
Huawei
noch dieses Jahr mit einer eigenen Chipproduktion starten könnte.
Würde sich das bestätigen, wäre es natürlich ein großer Tiefschlag für
die USA: Nicht nur würde der erneute Angriff wirkungslos verpuffen. Er
würde auch durch den Wegfall von Patenttantieme das US-Handelsbilanzdefizit
weiter vergrößern.
Andererseits: Der bisher führende Chip-Hersteller Intel kämpft nun schon seit Jahren mit seinen Prozessen und fertigt den Großteil seiner Chips immer noch mit Strukturbreiten von 14 nm, während die derzeit führenden Chip-Hersteller TSMC und Samsung bereits die Pilotfertigung mit 5 nm am Laufen haben. Dass Huawei hier der "Kickstart" gelingen kann, und sie quasi von jetzt auf gleich nicht nur überhaupt eine Chipfertigung aufbauen, sondern auch noch gleich mit den allerkleinsten Strukturen produzieren können, und das auch noch ohne die Nutzung von US-Patenten, erscheint nun doch sehr, sehr fraglich. Huawei ist zweifellos ein sehr erfolgreiches Unternehmen, das bei der Entwicklung von Basisstationen, Smartphones und der 5G-Technologie großes geleistet hat. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass sie auch in anderen Gebieten der Hochtechnologie sofort zu den führenden Anbietern aufstoßen können.
Von dem vor einem Jahr sogar offiziell von Huawei selbst als Android-Alternative verkündeten Harmony OS hört man seitdem auch nicht mehr viel. Dabei hieß es damals, dass ein Team von Huawei schon länger am eigenen Betriebssystem arbeiten würde. Und die Entwicklung eines neuen Smartphone-Betriebssystems sollte eher einfacher sein als der Aufbau einer Chipfertigung, denn beim Betriebssystem kann man auf viele Komponenten zurückgreifen, die bereits als freie Software verfügbar sind, angefangen beim Betriebssystem-Kern (z.B. Linux), weiter über die Compiler (z.B. GCC und CLANG) bis hin zum Webbrowser (Chromium). Bei der Chipfertigung muss man hingegen eine Unzahl von Parametern aufeinander einstellen, sonst funktionieren die Chips am Ende nicht richtig.
Es kann also durchaus sein, dass RT America, die das oben verlinkte Youtube-Video veröffentlicht haben, hier ziemlich frei spekuliert. Zumal der volle Name von RT nun mal "Russia Today" lautet, sie auch aus Russland finanziert sind und den Auftrag haben, eine "russische" Sicht der Dinge als Gegenpol zur "amerikanischen" oder "europäischen" Sicht zu verbreiten. RT Deutschland wusste beispielsweise vor zwei Wochen noch nichts vom bevorstehenden huaweianischen Chipwunder und berichtete stattdessen von den Folgen der Sanktionen auf die Smartphone-Produktion.
Für die Verbraucher ist der Handelskrieg keine gute Nachricht, da er das Innovationstempo verringert, die Produktionskosten erhöht und die Verfügbarkeit einschränkt. Wer nun hofft, dass sich die Spannungen nach einem "günstigen" Ausgang der kommenden Präsidentschaftswahl in den USA verringern werden, hofft m.E. vergebens: Das US-Außenhandelsdefizit ist ja echt, die Angst vor China ist in den USA weit verbreitet und der Anspruch, endlich was zu tun, auch. Ein neuer Präsident wird auch erstmal damit beschäftigt sein, die Corona-Krise in den Griff zu bekommen, als wieder verstärkt Importe ins Land zu lassen.