Editorial: Handy oder Taschenrechner?
Ist das ein Handy oder ein Taschenrechner am Steuer? Verboten ist es so oder so.
Foto: Picture Alliance / dpa
Smartphones sind ein wichtiger Lebensretter im Straßenverkehr:
Nach schweren Unfällen ermöglichen sie die zügige Alarmierung der
Rettungsdienste. Je schneller diese kommen, desto häufiger gelingt
es, Unfallopfer vor dem Tod zu bewahren. Kartendienste wie Google
Maps erhöhen auch die Sicherheit des Fahrers bei Fahrten in unbekanntem
Gebiet: Indem sie den Weg weisen, kann sich der Fahrer voll und ganz
auf den Verkehr konzentrieren und ist nicht dadurch abgelenkt, dass
er nach dem Weg sucht.
Auf der anderen Seite sind Smartphones aber auch eine Gefahrenquelle: Nimmt man es während der Fahrt in die Hand, um eine neue Route zu programmieren oder eine Nachricht zu lesen, dann lenkt das natürlich vom Verkehrsgeschehen ab. Unfälle drohen. Deswegen hat der Gesetzgeber zu Recht schon vor Jahren die Bedienung von Handy und Smartphone während der Fahrt verboten. Wer trotzdem mit dem Handy in der Hand erwischt wird, muss ein entsprechendes Bußgeld bezahlen, anfangs 40 Euro, später 60 Euro, inzwischen mindestens 100 Euro.
Doch etliche erwischte Fahrer redeten sich damit heraus, sie hätten gar kein Smartphone in der Hand gehalten, sondern zum Beispiel einen Audio-Player. In der ursprünglichen Formulierung des Handyverbots waren aber Audio- und Video-Player nicht enthalten, und die Fahrer kamen straffrei davon, wenn nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, dass sie doch ein Smartphone in der Hand hatten. Deswegen wurde 2017 die Straßenverkehrsordnung geändert und das Handyverbot erweitert. Nun heißt es in § 23 Absatz (1a): "Wer ein Fahrzeug führt, darf ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, nur benutzen, wenn 1. hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird [...]".
Wie zu erwarten war, versuchten mit dem Handy am Steuer erwischte Autofahrer auch weiterhin, sich damit herauszureden, sie hätten da gar kein Handy in der Hand gehabt, sondern zum Beispiel einen Taschenrechner. Und obwohl ein Taschenrechner zweifelsfrei ein "elektronisches Gerät" ist, urteilte das OLG Oldenburg in Sachen 2 Ss (Owi) 175/18 am 25.06.2018 zugunsten eines Autofahrers, der am Steuer kein Smartphone, sondern einen Taschenrechner benutzt haben wollte.
Taschenrechner-Epidemie
Ist das ein Handy oder ein Taschenrechner am Steuer? Verboten ist es so oder so.
Foto: Picture Alliance / dpa
In der Folge des Oldenburger Urteils stieg die Zahl der Autofahrer,
die Taschenrechner mitführen, um unterwegs wichtige Berechnungen
durchzuführen, rapide an. So auch ein Immobilienmakler, der im
Landkreis Lippstadt hinter
dem Ortseingangsschild mit 63 km/h (60 km/h nach Abzug
der Toleranz, entsprechend 10 km/h zu schnell) geblitzt worden
war. Auf dem Blitzerfoto war auch noch zu erkennen, dass er in der Hand
ein technisches Gerät hielt. Höchstwahrscheinlich war es ein Smartphone,
aber die Einlassung, dass es doch ein Taschenrechner war, mit dem er
gerade die Provision für ein anstehendes Geschäft berechnete, konnte
anhand des Blitzerfotos nicht widerlegt werden.
Sowohl das Amtsgericht Lippstadt als auch das Oberlandesgericht Hamm waren nun der Ansicht, dass auch ein Taschenrechner "der Information dient" - schließlich informiert man sich mit diesem ja über das Ergebnis einer Berechnung, im Fall des Immobilienmaklers laut seiner Einlassung über eine ihm zustehende Provision. Also greift § 23 Absatz (1a) StVO, und neben der Strafe für zu schnelles Fahren sind auch 100 Euro und ein Punkt für die Handy-, äh, Taschenrechnernutzung am Steuer fällig.
Doch weil das OLG Hamm damit von der Rechtsprechung des OLG Oldenburg abweichen wollte, durfte es nicht einfach so urteilen, sondern musste die Frage zur grundsätzlichen Rechtsklärung dem Bundesgerichtshof vorlegen. Und der hat nun klipp und klar entschieden, dass auch Taschenrechner und nicht nur Smartphones der Information dienen.
Gutes Urteil
Inhaltlich ist das Urteil zu begrüßen, weil es Handy-Sündern am Steuer nun eine Ausrede weniger gibt. Denn es bleibt dabei: Beim Autofahren sollte man sich auf das Fahren konzentrieren. Die Sicherheit geht vor. Wer regelmäßig während der Fahrt telefonieren muss, hat dafür genügend rechtlich erlaubte Möglichkeiten: Freisprecheinrichtung oder Headset und die in allen modernen Smartphones enthaltene Sprachsteuerung reichen bereits aus. Beim Headset sollte man allerdings darauf achten, dass es Verkehrsgeräusche nicht unnötig dämpft. Die Unterdrückung von Umgebungsgeräuschen schaltet man also am besten aus. Und natürlich muss man das Headset vor der Fahrt anlegen - während der Fahrt mit Ohrhörern oder Kabeln zu fummeln, ist auch nicht besser, als auf dem Smartphone-Bildschirm zu tippen. Daher sind Freisprecheinrichtungen meist die beste Wahl. Leider werden diese selbst in vielen Oberklassefahrzeugen bis heute nicht serienmäßig eingebaut, sondern nur als kostenpflichtiges Extra.