Glasfaser-Regulierung: Swisscom kommt in Bedrängnis
Swisscom Chef Urs Schaeppi hat es nicht einfach. Als Chef des Marktführers steht er ständig unter Beobachtung und im Kreuzfeuer.
Foto: Swisscom
Als Folge der jüngsten Entscheide der Schweizer Wettbewerbskommission (Weko) und des Schweizer Bundesverwaltungsgerichts (BVGer) könnte der Glasfaserausbau bis ins Haus (FTTH) in der Schweiz ins Stocken kommen.
Urs Schaeppi, Chef des Marktführers bei Festnetz und Mobilfunk in der Schweiz, der Swisscom, versteht die Welt nicht mehr. Bleibt der aktuelle Beschluss bestehen, könnte der Ausbau der Glasfaser in der Schweiz erst einmal in Stocken geraten.
Was ist passiert?
Swisscom Chef Urs Schaeppi hat es nicht einfach. Als Chef des Marktführers steht er ständig unter Beobachtung und im Kreuzfeuer.
Foto: Swisscom
Wie andere Telefongesellschaften in vielen Ländern baut die Swisscom ihr Netz derzeit mit Glasfaser bis ins Haus (FTTH) aus. Dabei verwendet sie eine Technik, die Point to Multi Point (P2MP) genannt wird. Zu jedem Kunden werden Glasfasern gezogen, die aber unterwegs miteinander verbunden sind, d.h. mehrere Kunden nutzen einen gemeinsamen Licht-Signal-Weg bis hin zur nächsten Vermittlung.
WEKO erhebt Einspruch - Gericht gibt ihr Recht
Das missfiel der Schweizer Aufsichtsbehörde "WEKO". Gestützt auf die verfügbaren Informationen erschien es ihr als "glaubhaft, dass Swisscom mit diesem Verhalten eine marktbeherrschende Stellung missbraucht". Also verbot die WEKO der Swisscom mit vorsorglichen Maßnahmen, Wettbewerbern beim Ausbau des Glasfasernetzes den Zugang zu durchgehenden Leitungen zu verweigern. Im Klartext: Swisscom dürfe nur noch Punkt-zu-Punkt (Point-to-Point oder P2) Verbindungen aufbauen. Das bedeutet: Zu jedem Kunden muss von der Hauptvermittlung der Swisscom eine Glasfaser durchgehend gelegt werden, diese Faser darf nicht unterwegs zu anderen Kunden verzweigt werden.
Was das bedeutet, kann man sich vorstellen. Wenn an einer Vermittlung sagen wir 100.000 Haushalte angeschlossen sind, müssten 100.000 Fasern in der Hauptvermittlung eintreffen. Selbst wenn man weiß, dass Fasern sehr dünn sind, dürften die Kabel mit Isolation und Trägermaterial ziemlich dick werden.
Die Geschichte ging vor das Schweizer Bundesverwaltungsgericht (BVGer). Auch das gab der WEKO Recht [Link entfernt] .
Urteil macht Netzausbau wesentlich aufwendiger und teurer
Urs Schaeppi erklärt das so: "Kurzfristig dürfen wir nur noch Netzelemente bauen, die der Punkt-zu-Punkt-Netzarchitektur (P2P) entsprechen. Diese ist aufwendiger, weil jeder Kunde über eine eigene Faser bis zu unserer Zentrale angeschlossen wird. Bildlich gesprochen: Das BVG fordert von der Swisscom den Bau einer vierspurigen Autobahn in jede Ortschaft."
Unterschiede zwischen P2P und P2MP Architektur. In der Mitte (graues Häuschen) die Telefonvermittlung.
Grafik: Swisscom
Schaeppi argumentiert durchaus nachvollziehbar, dass P2MP einen raschen und effizienteren Ausbau ermögliche und damit auch wirtschaftliche Glasfaser bis hin in abgelegene Regionen erlaube.
Die bereits aufgebauten Punkt-zu-Multipunkt Netze dürfen erst einmal nicht mehr vermarktet werden. Um schnell Abhilfe zu schaffen, müssen neu gebaute Häuser neben der Glasfaser noch mit Kupferkabeln erschlossen werden. "Das macht keinen Sinn", schimpft Schaeppi.
Einigung am runden Tisch
An einem runden Tisch hatte sich die Schweizer TK-Branche 2008 bis 2012 auf einen landesweiten P2P-Standard geeinigt.
Damals stand der FTTH-Ausbau in den großen Städten noch am Anfang. Es sollten parallele Mehrfachausbauten der verschiedenen Wettbewerber wie Elektrizitätswerke und der Swisscom vermieden werden.
Für die Glasfaser-Erschließung der Häuser einigten sich die Parteien auf das Vierfasermodell: In jedes Haus führen vier Fasern. Eine für Swisscom, eine für den örtlichen Energieversorger (der oft auch Internet und Telefon im Angebot hat) und zwei weitere für andere Anbieter, etwa UPC-Sunrise oder Salt. Swisscom baut aktuell und auch künftig vier Fasern vom Verteiler im Kabelschacht des jeweiligen Stadtteils (schweizerdeutsch "Quartier") bis in die Wohnung, das ist unbestritten.
Schaeppi bemängelt, dass nie entschieden wurde, ob auch von der Swisscom Hauptvermittlung ("Zentrale") bis zum eigentlichen Kabelschacht vor Ort vier Fasern pro Nutzungseinheit notwendig sind.
Haben Wettbewerber Angst vor der Marktmacht?
Die Angst der Kritiker ist, dass alternative Anbieter im Extremfall keine Leitung schalten können, weil die mehrfach genutzten Fasern bereits belegt sein könnten und so die Signale der verschiedenen Anbieter nicht auseinander gehalten werden könnten. Auch der "Zwang", ein teures "Layer3"-Vorleistungsprodukt, statt einer unbeleuchteten Glasfaser nehmen zu müssen, schmerzt die oft kleinen Anbieter zusätzlich.
Viel Analogie zu Deutschland
In Deutschland, wo man froh wäre, wenigstens einen Anbieter vor Ort mit Glasfaser zu finden, sind die Schweizer Befindlichkeiten sicherlich ein "Luxusproblem".
Aber im Endeffekt steht Schaeppi vor ähnlichen Problemen wie in Deutschland. "Für den weiteren Ausbau in den ländlichen Gebieten und kleineren Städten braucht es eine schnelle, innovative und kostengünstigere Methode, zumal Swisscom hier meist ohne Partner ausbaut." Den privaten Anbietern ist es auf dem flachen Land schlicht zu teuer.
Aufteilung der Breitband-Anschlüsse in Europa
Grafik: Swisscom
Schweiz liegt gut im Vergleich
Im Vergleich zu anderen Ländern liegt die Schweiz bei Ultrabreitband ziemlich weit vorne. Die großen Städte und Ballungsgebiete ("Agglomerationen") sind heute weitgehend mit rund 1,5 Millionen FTTH-Anschlüssen über P2P erschlossen und landesweit sind 90 Prozent der Kunden bereits mit Ultrabreitband (darunter versteht man in der Schweiz mindestens 80 MBit/s) erschlossen.
Breitbandabdeckung in Europa nach Geschwindigkeit, Deutschland ist nicht in der Spitzengruppe.
Grafik: Swisscom
Nachfrage ungebremst
Die Nachfrage ist ungebremst: Um das Internet-Tempo weiter zu erhöhen, hat sich die Swisscom zum Ziel gesetzt, bis 2025 weitere 1,5 Millionen FTTH-Anschlüsse insbesondere auch in kleineren Städten und ländlichen Gebieten zu bauen.
Das ist für die Swisscom nur finanzierbar, wenn sie auf die "viel besser geeignete" P2MP-Technik setzen kann. So könnten in der gleichen Zeit viel mehr Kundinnen und Kunden von noch schnellerem Internet profitieren.
Technologiezwang bremst Ausbau
Swisscom findet, dass ein erzwungener Wechsel auf P2P weder im Interesse der Kunden, die rasch sehr schnelles Internet haben wollen, noch der gesamten Schweiz wäre.
Der Netzausbau droht sich nun massiv zu verzögern, da die Wettbewerbskommission (Weko) und das Bundesverwaltungsgericht "die speziellen Interessen von Anbietern ohne eigene Netze stärker gewichten als die Investitionsanreize in der Branche und die Interessen der Kunden."
Sollten die Entscheidungen Bestand haben, sagt Schaeppi voraus, wären viel mehr Tiefbauarbeiten als jetzt notwendig. Dies bedeutet für ihn Verzögerungen, neue Baugenehmigungen beantragen und Straßen frisch aufgraben, um die Kabelkanäle zu vergrößern. In den großen Städten seien die Kanäle meist groß genug für genügend Fasern von der Vermittlung bis zum Kabelschacht, auf dem Land aber nicht.
Sollte ihm auch auf dem Land P2P vorgeschrieben werden, gerate der Glasfaserausbau ins Stocken und ländliche Regionen ins Hintertreffen.
Lautet die Zukunft P2P?
Für die Swisscom nicht. P2MP habe sich international in den letzten Jahren durchgesetzt. Nur in der Schweiz werde das Modell kritisiert. Die globale Telekom-Branche setzt auf P2MP, somit wird viel in Innovationen investiert. P2MP ist die Technologie mit der höchsten Dynamik.
Experten geben Schaeppi Recht. Auch wenn P2P "ideal" klingt, ist der Aufwand enorm und der Stromverbrauch deutlich höher. Bei P2MP werden die für den Kunden bestimmten Signale über passive Filterelemente (Splitter) auseinander sortiert.
Schweiz bietet 10 GBit/s für Privatkunden
Im Gegensatz zu Deutschland bietet die Swisscom über P2MP längst Geschwindigkeiten von 10 GBit/s, was nur wenige andere Länder haben. Für die Kunden sei ohnehin nicht die Technologie entscheidend, sondern die Leistung, die sie dafür bekommen.
Kleinere Anbieter ohne eigenes Netz befürchten, sie würden mit P2MP aus dem Markt gedrängt. Schaeppi argumentiert ähnlich wie sein Bonner Kollege Tim Höttges: "Alle Mitbewerber können unsere Netze – auch die neugebauten P2MP-Glasfasernetze – mit der vollen Bandbreite nutzen und ihre eigenen Angebote über den sogenannten Layer-3-Zugang gestalten." Und weiter: "Viele Mitbewerber erzielen damit einen großen Erfolg. Andere Netzbetreiber wie die Kabel(TV)-Netze, die selber 83 Prozent der Haushalte abdecken, bieten ihren Mitbewerbern keinen Netzzugang.
Parallelen zu Deutschland
Auch in Deutschland war das lange so: Die Kabel-TV-Netze hatten lange ein Quasi-Monopol. Erst jetzt wurden erste Abkommen verhandelt, dass auch Konkurrenz Anbieter Kabel-TV-Anschlüsse für Internet und Fernsehen vermarkten können etwa o2 oder Pyur im Netz von Vodafone.
Wird der Incumbent schärfer beobachtet?
Ein "Incumbent" ist ein langjähriger etablierter und oft marktbeherrschender Netzbetreiber, oft Nachfolger eines ehemals staatlichen Monopolunternehmens. Die Swisscom hat das Erbe der Swiss PTT angetreten, wie die Deutsche Telekom das der Deutschen Bundespost. Für Schaeppi ist die Regulierung in einem weiteren Punkt nicht nachvollziehbar: "Uns werden einseitig teure Bauvorschriften auferlegt, die konkurrierenden und fast flächendeckend agierenden Mitbewerber wie die Kabel-TV-Anbieter sind hingegen völlig frei in ihren Aktivitäten".
Blockiert die WEKO (indirekt) den Wettbewerb?
Mit ihrem sicherlich gut gemeinten Vorstoß blockiert die WEKO möglicherweise sogar ein Abkommen der Swisscom mit einem Wettbewerber wie Salt, der im Schweizer Festnetz sehr umtriebig ist. Die Swisscom hat mit Salt eine Partnerschaft für einen direkten Zugang auf das Swisscom-P2MP-Netz geschlossen.
Schaeppi sieht hier einen Widerspruch des Gerichtsurteils: Seine Kooperation fördere den Wettbewerb, die Kunden profitieren von zusätzlichen Angeboten – diese Partnerschaft sei aber aktuell durch das Urteil blockiert.
Bedenken vorhersehbar?
Nun mag sich der Beobachter fragen, ob die Bedenken der Regulierer nicht voraussehbar waren?
Nein, sagt Schaeppi, das nationale Parlament habe vor wenigen Jahren genau die jetzt behandelten Themen bei der Revision des Fernmeldegesetzes diskutiert und sich explizit dafür entschieden, auf den Infrastrukturwettbewerb zu setzen und auf eine Regulierung der Glasfaser zu verzichten. Dieser Wettbewerb fördere die Investitionen und Innovationen.
Nur: "Jetzt passiert das Gegenteil: Es wird reguliert und damit sinken die Anreize. Damit droht ein regulatorisches Eigentor."
Wie geht es jetzt weiter?
Wie es weiter geht, ist noch unklar: Schaeppi fordert "möglichst rasch Klarheit, damit wir beim Netzausbau wieder Vollgas geben können. Es darf nicht sein, dass die Schweiz aufgrund von unsicheren Rahmenbedingungen im internationalen Vergleich in Rückstand gerät."
Der Fall dürfte jetzt beim Schweizer Bundesgericht landen.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Das Schweizer Problem erinnert an die frisch gestartete GlasfaserPlus GmbH in Deutschland. Auch hier sollen beleuchtete Glasfasern bis in jedes Haus gelegt werden. Alternative Netzbetreiber sollen das Netz der GlasfaserPlus im BSA-Verfahren (Bit-Stream-Acess) gegen Kosten nutzen dürfen. Auch dort gibt es keine durchgehende unbeleuchtete Faser, mit der ein alternativer Anbieter dann machen könnte, was er wollte.
Während in Deutschland die Lage seit dem aktuellen TKG (Telekommunikationsgesetz) ziemlich klar ist, dass die Glasfaser kaum reguliert werden soll, ist das in der Schweiz offenbar noch nicht so genau geklärt. Sicher, für die wahre Lehre des Wettbewerbs wären durchgehende Fasern von der Vermittlung bis hin zum Endkunden wünschenswert. Am Ende des Tages müsste auch erklärt werden, wer die Mehrkosten für den aufwendigeren Netzausbau übernimmt und den verzweifelten Kunden beibringt, warum sie jetzt noch länger warten müssen, bis sie einen schnellen Anschluss bekommen.
Pragmatischer wäre es, die Swisscom weiter wie gehabt bauen zu lassen und im konkreten Streitfall dann zu entscheiden, wie dem behinderten Anbieter und seinen Kunden einfach geholfen werden kann. Beispielsweise, indem vier Fasern von der Vermittlung bis zu den Verzweigungspunkten durchverlegt werden, wovon dann jeweils vier Fasern - wie gewohnt - in die Häuser führen. Dann bräuchte man immer vier Verzweigungen pro Punkt, was aber noch eher realisierbar sein dürfte, als zigtausend Fasern vom Kunden zur Vermittlung durchzuschleifen. Schweizer Ortsnetze sind relativ groß (dreistellige Vorwahl plus siebenstellige Rufnummer), da käme schon einiges zu Stande.
Das Warten auf bessere Zeiten können wir uns weder in Deutschland noch in der Schweiz leisten.