Editorial: Jedermann jederzeit finden
Clearview AI hat nach eigenen Angaben über 3 Milliarden Bilder gesammelt
Foto: Clearview AI, Screenshot: teltarif.de
Aus der Diskussion um Facebook wissen wir bereits, dass
"Internet" und "Privatsphäre" nicht so gut zusammenpassen.
Doch während es bei den Datenskandalen rund um Facebook vor
allem um textuelle Informationen geht, droht künftig noch viel
größeres Ungemach durch Bilder und damit auch durch Videos:
Clearview AI hat nach
eigenen Angaben bereits über 3 Milliarden Bilder
gesammelt und ermöglicht darin die gezielte
Suche nach Gesichtern. Dabei
wird nicht nur das gleiche Bild in anderem Zuschnitt und Skalierung
gefunden (so etwas kann
TinEye schon
seit langem), sondern eben auch ein anderes Bild, aber mit
demselben Gesicht.
Eine der naheliegendsten Anwendungen von Clearview AI ist die Polizeiarbeit: Hat diese beispielsweise Fotos eines Einbrechers von einer Überwachungskamera, liefert ihr Clearview AI binnen weniger Sekunden Bilder ähnlicher Menschen aus dem World Wide Web. Selbst, wenn dann nicht die Namen der abgebildeten Personen direkt dabei stehen, geben die Umstände der Veröffentlichung (etwa Zeitpunkt, auf welcher Website oder weitere abgebildete Personen) oft genug Anhaltspunkte zur Identifizierung des Täters. So ist es kein Wunder, dass Geheimdienste weltweit an der Software von Clearview AI interessiert sind. Und ebensowenig verwundern die Skandale rund um Clearview AI, etwa, dass deren Dienste auch benutzt wurden, um Dating-Partner noch vor dem ersten Treffen zu deanonymisieren. Die New York Times schreibt von der im geheimen operierenden Firma, die die Privatsphäre, so wir sie sie kennen, möglicherweise beenden wird.
Wer jetzt schimpft, dass mit Clearview AI ein weiterer Dienst geschaffen wurde, mit dem die eh schon Reichen und Einflussreichen sich auf Kosten des Datenschutzes einen Vorteil gegenüber dem Durchschnittsbürger verschaffen können, der sollte einen Blick auf PimEyes werfen: Auch dieses polnische Startup bietet nämlich die Gesichtssuche an - sogar kostenlos. Alles, was man tun muss, ist ein Foto der gesuchten Person hochzuladen und anschließend zu versichern, dass man das selber ist (was PimEyes aber nicht überprüft). Schon wenige Sekunden später bekommt man die Treffer angezeigt. Nur dann, wenn man die genauen URLs der gefundenen Bilder erhalten möchte, muss man ein Monatsabo für ca. 15 Euro abschließen.
PimEyes funktioniert im Selbstversuch erstaunlich gut. Mit einem Smartphone-Selfie als Vorlage findet PimEyes beispielsweise binnen weniger Sekunden und als ersten Treffer das im Pressebereich von teltarif.de hinterlegte Foto von mir, und das obwohl letzteres Bild doch schon ein paar Jahre älter ist und ich damals noch (wenige) Haare hatte. PimEyes hat zwar auch Schwächen, so hat es bisher "nur" knapp eine Milliarde Bilder gesammelt. Zudem liefert die Suche auf den Folgeplätzen auch weniger gut passende Gesichter. Und mit asiatischen Gesichtern kommt PimEyes noch nicht so richtig klar. Aber letzteres nutzt "uns" Westeuropäern erstmal nicht und es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis PimEyes noch viel mehr Bilder gesammelt hat und die Gesichtserkennung soweit optimiert worden ist, dass sie alle Menschen weltweit gut erkennt.
Nicht mehr aufzuhalten
Clearview AI hat nach eigenen Angaben über 3 Milliarden Bilder gesammelt
Foto: Clearview AI, Screenshot: teltarif.de
Es gibt gute Argumente, warum PimEyes mit seinem Dienst gegen die
europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verstößt.
Schon das Sammeln von Bildern aus dem World Wide Web zum Zweck
der Gesichtserkennung dürfte verordnungswidrig sein, selbst,
wenn die Bilder im
Web frei zugänglich sind. Die Sicherheitsabfrage, mit der man
versichert, nur sein eigenes Bild zu suchen, ist auch nicht
ausreichend, um vor Missbrauch zu schützen. Nur: Wenn man PimEyes
aus Polen wegklagt, dann siedeln sie sich halt als nächstes in
Russland, den USA oder in China an. Aus dem Internet wird man
die Gesichtssuche nicht mehr verbannen können.
Aus diesem Grund - man kriegt die Gesichtssuche eh nicht mehr weg - schreibe ich auch darüber, inklusive Link. Zum einen sorgt das für "Waffengleichheit", wenn jeder diese Dienste kennt und bei Bedarf auch benutzt. Und zum anderen macht das auch all denen, die noch keine Bilder im Web oder auf Facebook haben, hoffentlich klar, was es bedeutet, seine Bilder öffentlich zu teilen. Es bedeutet nicht weniger als das Ende der Privatsphäre. Ein gutes, hochauflösendes Bild reicht, und man ist künftig für alle erkennbar.
Dual Use
Übrigens: An anderer Stelle, nämlich bei Smartphones, haben in den letzten Jahren Fortschritte bei der Programmierung von Gesichtserkennungs-Software auch Fortschritte für die Privatsphäre gebracht. Denn je besser die Gesichtserkennung in einem Smartphone funktioniert, desto besser ist dessen biometrischer Schutz und desto seltener gelingt es einer fremden, aber ähnlich aussehenden Person, ein Smartphone unbefugterweise zu entsperren. Aber je besser die Gesichtserkennung ist, desto weniger Fehler machen eben auch ClearView AI, PimEyes und Co.