Autohersteller planen eigene Ladenetze für E-Autos
Der Ausbau des Ladenetzes für Elektro-Autos hinkt der wachsenden Zahl von batterieelektrischen Fahrzeugen weiter hinterher. Kamen etwa Anfang 2021 noch etwa 14 E-Autos auf einen Ladepunkt, waren es nach Zahlen des Verbands der Automobilindustrie (VDA) zuletzt 23. Zwar will die Bundesregierung gegensteuern, aber das geht nur langsam voran. Verschiedene Autohersteller wollen sich aber nicht nur auf die Politik verlassen und treiben den Aufbau von Ladeinfrastruktur selbst voran.
Ladepionier Tesla
CCS Schnellladestecker für Elektroautos. Je nach Technik sind 200-300 kW Ladeleistung und mehr möglich. Beim Kauf auf CCS achten.
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Der erste Anbieter war Tesla, der sein Supercharger-Netzwerk ursprünglich nur für seine eigenen Kunden aufgebaut hatte. Inzwischen ist es aber auch möglich, an bestimmten (nicht allen) Ladestationen Fremdfabrikate aufzuladen, sofern sie einen CCS-Anschluss (für DC-Gleichstromladung) besitzen. Dazu muss die Tesla-App auf dem Smartphone installiert und ein Konto eingerichtet werden, dann kann auf einer interaktiven Karte die nächste für Fremdfabrikate freigegebene Ladesäule angesteuert und freigeschaltet werden.
Mercedes Benz will eigenes Ladenetz
Am Donnerstag kündigte der Automobilhersteller Mercedes-Benz an, ein eigenes Netz mit weltweit 10.000 Ladepunkten bis Ende des Jahrzehnts aufzubauen. Dafür wollen die Stuttgarter einen "einstelligen Milliardenbetrag" investieren. "Wir wollen nicht zusehen und abwarten, bis es gebaut ist. Daher errichten wir selbst ein globales Schnellladenetzwerk", sagte Mercedes-Chef Ola Källenius. Man habe zunächst gedacht, dass andere Player wie Energieunternehmen den Bedarf decken würden, sagte Technikchef Markus Schäfer. "Aber das ist nicht passiert."
Nach Tesla oder Mercedes wird auch VW aktiv
Zum Vergleich: Der bereits erwähnte US-Autobauer Tesla betreibt nach eigenen Angaben 40.000 Hochleistungs-Ladestationen weltweit - der Großteil davon ist aber noch der eigenen Kundschaft vorbehalten. Der VW-Konzern will bis Ende 2025 mit Partnern weltweit gut 45.000 Schnellladepunkte einrichten. Sowohl die Wolfsburger, als auch Mercedes wollen das Netz für alle Marken zur Verfügung stellen.
Wie viele Ladepunkte konkret in Deutschland entstehen werden, teilte Mercedes leider nicht mit. Klar ist aber: Für die weltweiten Ausbauziele - alleine die Bundesregierung will eine Million öffentlich zugängliche Stecker bis 2030 - sind die Pläne der Stuttgarter allenfalls ein Tropfen auf dem heißen Stein. Daraus machte Källenius im Gespräch mit Journalisten auch keinen Hehl. Vielmehr gehe es darum, weitere Mercedes-Kunden zu locken. Sie sollen etwa von der bevorzugten Nutzung mittels Reservierung profitieren. Schon auf der Anfahrt könnte dann eine Ladestation reserviert werden, denn gerade Geschäftsreisende oder Urlauber möchten an der Ladesäule nicht lange warten.
Ladenetze in Kooperation bleiben führend
Weitaus größer sind die Ladenetze, die sich die Autokonzerne mittels Kooperationen gesichert haben. Für Mercedes-Fahrer stünden etwa eine Million Ladepunkte weltweit zur Verfügung, sagte Källenius. Das auf eine BMW-Initiative zurückgehende Digital Charging Solutions-Netz (DCS), an dem auch Mercedes und der Ölkonzern BP beteiligt sind, kommt nach eigenen Angaben auf über 400.000 Ladepunkte in Europa in Japan. Mercedes betreibt unter anderem gemeinsam mit BMW, VW, Ford und Hyundai das Konsortium "Ionity", das in Deutschland bislang 480 Schnellladesäulen mit bis zu 350 Kilowatt Ladeleistung errichtet hat.
Auch der paneuropäische Autobauer Stellantis (Opel, Peugeot, Citroen, Fiat, Jeep, Chrysler und andere) hat 2021 in Italien mit dem Aufbau seines Schnellladenetzes begonnen. Neben dem auf Südeuropa beschränkten Projekt Atlante gibt es eine Kooperation mit dem Anbieter "TheF Charging", bis 2025 ein Netz mit mehr als 15.000 Standorten und zwei Millionen Stellplätzen aufzubauen. Sie sollen allen Elektrofahrzeugen offenstehen, für Kunden der Stellantis-Marken soll es Sonderkonditionen geben.
Hat die Politik geschlafen?
Hat die Politik den Ausbau der Ladeinfrastruktur in den vergangenen Jahren also so sehr verschlafen, dass die Autoindustrie den einzigen Ausweg in der Eigeninitiative sieht? VDA-Präsidentin Hildegard Müller formuliert es so: "Der Ausbau der Ladeinfrastruktur ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die nur gelingen kann, wenn alle Akteure diese tragen und Verantwortung übernehmen." Jeder müsse seinen Beitrag leisten - und dabei sei natürlich auch die Autoindustrie engagiert.
Noch viel zu tun
Dabei zeigt der Blick auf die Zahlen, dass die Ziele der Regierung noch in weiter Ferne liegen. Laut Daten der Bundesnetzagentur von Anfang November 2022 wuchs die Zahl der Ladepunkte binnen eines Jahres um rund 17.000 auf insgesamt 72.000. Ginge es in diesem Tempo weiter, wäre das Ziel von einer Million Ladepunkte rein rechnerisch erst im Jahr 2077 erreicht. Um schneller zu werden, beschloss das Kabinett im Oktober einen "Masterplan Ladeinfrastruktur" und will dafür 6,3 Milliarden Euro in die Hand nehmen. Das zeige zumindest, dass sich die Bundesregierung der Herkulesaufgabe bewusst sei, hieß es vom ADAC.
Das Ausbautempo 2022 bewertete der Automobilclub vergleichsweise positiv. Immerhin habe die Zahl der Ladepunkte im vergangenen Jahr einigermaßen mit der Zahl der neu zugelassenen E-Autos Schritt gehalten, lobte auch VDA-Chefin Müller. Aber: "Das Angebot müsste der Nachfrage vorauseilen, damit das Vertrauen der Menschen in die E-Mobilität weiter wachsen kann." Davon sei Deutschland noch weit entfernt. Vor allem bei den Schnellladern müsse es daher mit hohem Tempo weiter vorangehen.
Bundesnetzagentur zählt 12.000 Schnellladepunkte
Für Deutschland zählt die Bundesnetzagentur bislang rund 12.000 solcher Stecker, die ab einer Ladeleistung von mehr als 22 Kilowatt als Schnellladepunkte definiert sind. Rund ein Viertel davon erreicht die höchste Leistungsklasse von über 300 Kilowatt. In diese Bereiche will auch Mercedes mit seiner neuen Infrastruktur vorstoßen. Eine Batterie könne so von 10 auf 80 Prozent in rund einer halben Stunde geladen werden. "Wir werden das noch signifikant verkürzen", kündigte Technikchef Schäfer auf der Technik-Messe CES in Las Vegas an. Mit besserer Ladeinfrastruktur werde die Elektroauto-Akzeptanz steigen.
Der Karlsruher Energiekonzern EnBW schätzt, dass es bis 2030 bundesweit etwa 130.000 bis 150.000 Schnellladepunkte - und nicht eine Million überwiegend langsame normale Ladepunkte - brauche, um die von der Bundesregierung angepeilten 15 Millionen Elektroautos zu versorgen. Rund 30.000 davon will EnBW selbst bauen. Schon heute betreibt der Konzern mit 2800 Ladepunkten das nach eigenen Angaben größte Schnellladenetz Deutschlands.
Bezahlung der Aufladung kann verwirrend sein
Die Ausbauzahlen sind das eine - aber wie sieht es angesichts der zig Anbieter mit der Nutzerfreundlichkeit aus? Der ADAC beklagte, dass ein E-Autofahrer schnell den Überblick verlieren kann. Mal brauche er eine Ladekarte, mal eine App. An dieser Säule zahle er per Smartphone, an der anderen per Rechnung zum Monatsende. Einige Anbieter verlangen eine Grundgebühr, einige ab einer gewissen Standzeit an der Ladesäule einen Aufschlag pro Minute. Es bleibt also noch einiges zu tun auf dem Weg in die vollelektrische Mobilität.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Wer eine eigene Garage mit Stromanschluss besitzt, sollte sich eine Wallbox (typisch 11 kW Ladeleistung) installieren (lassen).
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Viele Menschen möchten oder brauchen ein Auto, besonders wenn öffentliche Angebote unsicher, unzuverlässig oder nicht vorhanden sind. Manche scheuen auch das Gedränge in öffentlichen Bussen und Bahnen.
Ein Verbrennerautofahrer kommt an die Tankstelle, tankt in 4-5 Minuten, Fahrer bezahlt und fährt weiter. Beim Elektroauto dauert Nachtanken etwas länger. Das Aufladen muss weniger spontan, sondern geplant erfolgen. Dafür gibt es inzwischen interessante Software, um Strecken zu planen. Wer eine eigene Garage mit Stromanschluss hat, ist fein raus. Wer jeden Abend wertvolle Lebenszeit verbringt, überhaupt einen Parkplatz im Viertel für sein Auto zu finden, sollte drüber nachdenken, ob ein eigenes Auto hier noch sinnvoll ist. Man kann bei Carsharing-Anbietern gezielt ein Auto leihen, wenn es größere Transporte gibt. Ja, das ist ein starker Einschnitt.
Wer an die Ladesäule fährt, sollte ein oder zwei gängige Ladekarten bereithalten. Das ungewohnte ist, dass der Preis an der Ladesäule nicht mehr vom Strom-Anbieter, sondern von der eigenen Ladekarte abhängt. Karte A kann einen anderen Preis abrechnen als Karte B - an der gleichen Säule. Das muss ein Autofahrer wissen, dafür ändern sich die Preise nicht andauernd, wie an der Benzin/Diesel-Säule.
Die staatliche Förderung für Elektroautos war richtig. Nur der Verkaufstourismus von geförderten E-Autos nach 6 Monaten ins Ausland war ein Design-Fehler. Mit der Senkung der Förderung bei gleichzeitiger Preissteigerung für neue Autos hat die Politik dem Wandel einen Bärendienst erwiesen. Die Autohersteller wollen am liebsten nur noch hochleistungsfähige Luxus-Autos mit hoher Reichweite verkaufen, die aber preislich das Budget von "Otto Normalverdiener" mehr als sprengen. Ihr Argument: Günstige Elektroautos (um 20-30.000 Euro Ladenpreis) würden sich gar nicht "rechnen".
Das Gebrauchtangebot für (bezahlbare) Elektroautos kommt erst langsam in Bewegung. Die Akkus halten längst 160.000 bis hin zu einer Million Kilometer. Das sollte also das Problem nicht sein. Notorische Skeptiker sollten sich für eine elektrische Probefahrt anmelden oder für ein Wochenende oder länger ein Auto mieten. Erst wenn man selbst einmal elektrisch gefahren ist, springt der Funke über.
Die Milchmädchenrechnung, dass mehr Elektroautos mehr Strom brauchen, stimmt so nicht ganz. Denn wie viel Strom braucht es, bis Rohöl aus der Erde geholt, transportiert und raffiniert ist? Das wird gerne übersehen.
Heute sind Autos viel vernetzter als früher.