VATM: Remonopolisierung schwächt die Wirtschaft
Seit einiger Zeit ist die Politik dabei, die Regulierung des TK-Marktes wieder zurückzufahren. Wo kleinere Unternehmen dadurch Vorteile bekommen, gibt es weniger Klagen. Wenn aber die "marktmächtige" Telekom aus der Regulierung entlassen wird, gibt es schnell Kritik.
Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat ihre Analyse zum "Markt 3b" (Bitstrom-Zugang) zur öffentlichen Diskussion gestellt. Nachdem die Telekom bereits in 20 Städten in Deutschland aus der Regulierung entlassen wurde, beabsichtigt die BNetzA nun, die Deregulierung um 125 weitere auf insgesamt 145 Städte mit 13,7 Millionen Breitbandanschlüssen auszuweiten. Der Marktanteil der Telekom liege dort unter 40 Prozent und sie biete ihren Mitbewerbern ein entsprechendes Vorprodukt ("Layer 2") an.
Laut der Beratungsgesellschaft seim & partner bedeute diese Ausweitung einen Riesensprung auf fast die Hälfte der Haushalte in Deutschland und mehr als ein Drittel des Marktes (Anschlüsse).
Nur noch "Layer 2"?
Der VATM befürchtet, dass die Telekom aus der Regulierung entlassen wird und damit Nachteile für seine Mitglieder
Foto: Picture Alliance / dpa
„Das erweist sich als durchaus problematisch für einige Marktteilnehmer, die auf das Vorleistungsprodukt der Telekom angewiesen sind und nun mit höheren Kosten rechnen müssen, die wiederum an die – häufig Geschäftskunden – weitergegeben werden müssten“, sagt der Geschäftsführer des Verbandes der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM), Jürgen Grützner.
Mehrere Millionen Anschlüsse der Wettbewerber laufen über das bisherige Layer-3-Vorprodukt, wo die Telekom das Datensignal dem alternativen Anbieter quasi direkt in dessen Rechenzentrum liefert, während beim "Layer 2"-Produkt der Anbieter das Signal beispielsweise hinter dem ersten DSLAM (im nächsten Verteiler) "abholen" muss.
"Layer 3" muss in den nun nicht mehr regulierten Städten nicht mehr verpflichtend angeboten werden. Damit, so folgert der VATM, "wird das Angebot von Vorleistungen stetig kleiner und das neue Ankerprodukt Bitstrom "Layer 2" ist in vielen Fällen zu teuer, um die Nachfrager gegenüber der Telekom wettbewerbsfähig zu halten."
Wird es für die kleinen Anbieter teurer?
In der Tat: Anbieter, deren Geschäftsmodell einzig und alleine auf möglichst wenig eigene Technik zugeschnitten war, könnten nun das Nachsehen haben, weil ihnen die Signale nicht mehr "frei Haus" geliefert werden, sondern sie dafür eigene Technik aufbauen oder die fehlenden Leitungen in ihre Rechenzentren dazu gesondert mieten müssen.
Der langgehegte "Wunsch" der privaten Konkurrenz war, dass die Telekom ihre seinerzeit absurd hohen Preise beibehalten möge, damit die Wettbewerber sie jederzeit preislich locker unterbieten können. Doch das funktioniert längst nicht mehr.
Entwicklung zu Gunsten der Telekom?
„Vor allem aber darf der Entscheidungsentwurf keinesfalls isoliert betrachtet werden. Die Wettbewerbs-Situation entwickelt sich aus Sicht des VATM immer weiter zugunsten der Telekom. Für die Wettbewerber, insbesondere die Geschäftskundenanbieter, wird die Versorgung der Wirtschaft mit spezifischen und sehr hochwertigen Diensten zu günstigen Preisen zunehmend schwieriger“, analysiert der VATM-Geschäftsführer die Lage.
Problematisch gerade für die Anbieter von Geschäftskundenprodukten sei aus Sicht des VATM die erst vor wenigen Wochen zugunsten der Telekom getroffene Entscheidung, die Preise für Mietleitungen zu erhöhen. Offenbar sind die Preise noch nicht hoch genug, sonst könnte es sich für Anbieter rechnen, eigene Leitungen zu verlegen.
Stattdessen hagelt es Kritik: Für die Wirtschaft wichtige Produkte würden absehbar nicht mehr in der erforderlichen Qualität angeboten, und es stehe kein Ersatz zu angemessener Qualität und angemessenen Preisen zur Verfügung. „Die Bundesnetzagentur darf sich nicht als Deregulierungsbehörde sehen, sondern muss dort eingreifen oder Regulierung aufrechterhalten, wo der Wettbewerb ansonsten beeinträchtigt würde“, fordert der VATM.
Klassische Mietleitungen verschwinden
Früher konnten bei der Telekom elektrisch komplett durchgeschaltete Drähte für außenliegende Telefonanschlüsse (Nebenstellen) oder zur Fernsteuerung von Geräten (z.B. Funksprechgeräte, deren Sender auf einem Hochhaus steht, die Bedieneinheit aber ein paar Straßen weiter im Keller) gemietet werden. Diese Leitungen ohne jegliche aktive Verstärkertechnik dazwischen gibt es so kaum noch.
Alternativ können heute "virtuelle Leitungen" genutzt werden, worüber zwar digitale Informationen geschickt werden können, die am Ziel dann erst wieder mühselig in analoge Zustände oder Steuerbefehle gewandelt werden müssten.
Telekom macht Druck
„Die Telekom macht, wie schon bei Vectoring, massiv Druck auf Politik und Regulierer“, kritisiert Grützner: „Sie verknüpft völlig zu Unrecht ihren schleppenden Glasfaserausbau mit der ebenso Mantra-artigen wie falschen Behauptung, nur bei höheren Preisen und immer weniger Regulierung könne es mehr Glasfaserausbau und weniger Kupfer-Vectoring geben. Dabei ist es gerade der starke Investitionswettbewerb, der es geschafft hat, die Telekom langsam vom Kupfer-Vectoring abzubringen.“
Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen
Wie oft passiert es, dass private Unternehmen eine Glasfaser legen, welche sie gerne der Telekom vermieten möchten. Die geforderten Preise sind der Telekom aber oft "zu hoch". Die privaten Unternehmen argumentieren mit ihren hohen Baukosten. Sicherlich zu Recht. Nur: Umgekehrt wird von der Telekom erwartet, die gleichen Leitungen ihren Wettbewerbern zu ultraniedrigen Preisen zur Verfügung zu stellen. Ob diese Preise für die Telekom überhaupt kostendeckend sind, interessiert die Wettbewerber dabei weniger.
Gigabit-Ziele müssen erreicht werden
„Zum Erreichen der in der Politik zu Recht formulierten Gigabit-Ziele müssen und dürfen sich die Rahmenbedingungen für den Wettbewerb und die Versorgung der Deutschen Wirtschaft nicht verschlechtern – im Gegenteil: Wir können und müssen beides gemeinsam erreichen, wenn wir bei der Digitalisierung wieder eine Spitzenrolle einnehmen wollen“, unterstreicht der VATM-Geschäftsführer.
So führe gerade der zu hohe Mietpreis für die sogenannte letzte Meile im Kupfernetz (Teilnehmeranschlussleitung/TAL) dazu, dass die Telekom mit großen Gewinnen weiter ihre Kupfernetze betreiben könne und wolle. „Und auf der anderen Seite fehlt den Wettbewerbern, die noch viele Millionen Anschlüsse bei der Telekom anmieten müssen, das Kapital für die nun notwendigen Gigabit-Investitionen.
Der Wettbewerb durch private Investoren wird so deutlich erschwert. Es werden dabei gerade auch die Unternehmen geschädigt, die Glasfaser ausbauen“, kritisiert Grützner. Der VATM-Geschäftsführer fordert: „Wir müssen dringend das Gesamtbild und die Gefahren nicht nur für die Branche selbst, sondern für die Wirtschaft in Deutschland im Blick behalten.“
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Die Argumentation ist stellenweise unlogisch: Erscheinen die Mietleitungen zu teuer, könnte sich der Bau "eigener Leitungen" lohnen. Ist die Kupferleitung zu teuer, könnte man selbst Glasfaser legen. Dadurch würde die Kupferleitung der Telekom über Nacht "wertlos". Das wieder könnte doch dazu führen, dass die Telekom beispielsweise ihre Kupferleitungspreise wieder senkt, um zu vermeiden, dass die Konkurrenten dort eine Glasfaser verlegen und damit das Kupfer nicht mehr brauchen.
Fakt ist: Die Bundesnetzagentur möchte immer weniger im Detail regulieren. Und wenn reguliert wird, könnte es ja sein, dass private Anbieter und die Telekom gleichermassen reguliert werden. Die Telekom hat damit Erfahrung. Die privaten Anbieter würden sich die Augen reiben.
Am Ende werden sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen und gangbare Kompromisse finden müssen.