Covid 19

Editorial: Corona-App mit Hindernissen

Besser jetzt als nie: Warum die Corona-App sogar wegen derzeit fallender Covid-Infek­ti­ons­zahlen nütz­lich ist
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Kontakte-Tracking per Corona-App Das Konzept der Corona-Apps: Mit Bluetooth LE werden nur Handys in unmittelbarer Umgebung erfasst, der Rest aber nicht.
Foto: Pepp-PT.org Screenshot: teltarif.de
Schon vor gut zwei Monaten hatte ich vorge­schlagen, eine Portie­rung der Singa­purer Anti-Corona-App Trace Toge­ther auch in Europa einzu­führen. Das ist nun tatsäch­lich passiert. Kritik an der App gibt es genug: Zu spät, zu teuer (SAP und Deut­sche Telekom haben für die Entwick­lung etwa 20 Millionen Euro kassiert, hinzu kommen weitere Millionen monat­lich für den Betrieb), zu inkom­pa­tibel, zu unsi­cher, insbe­son­dere bezüg­lich des Daten­schutzes. Zum Glück ist jedoch keines der Argu­mente stich­haltig. Ich empfehle daher ausdrück­lich die Instal­la­tion der Corona-App!

Daten­schutz: Gut

Kontakte-Tracking per Corona-App Das Konzept der Corona-Apps: Mit Bluetooth LE werden nur Handys in unmittelbarer Umgebung erfasst, der Rest aber nicht.
Foto: Pepp-PT.org Screenshot: teltarif.de
Mit dem Daten­schutz-Argu­ment hatte ich mich bereits ausein­an­der­ge­setzt. Gegen­über der Singapur-App "Trace Toge­ther", die ich bereits als sicher einge­stuft hatte, ist der Daten­schutz noch­mals verbes­sert worden: Es ist bei der deut­schen Corona-App keine zentrale Anmel­dung auf einem Server mehr erfor­der­lich. Im Gegenzug verlang­samt sich leider die Benach­rich­ti­gung von Kontakten etwas: Bei "Trace Toge­ther" werden, wenn ein Infi­zierter sein Smart­phone an das Gesund­heitsamt zum Auslesen gibt, sofort alle Kontakte direkt benach­rich­tigt. Bei der Deut­schen Corona-App über­nimmt hingegen die App selber die Benach­rich­ti­gung. Dazu muss sie jeweils eine Liste der Einmal-IDs herun­ter­laden, die von Infi­zierten verwendet wurden.

Hat das Smart­phone einer Kontakt­person also einige Tage lang "kein Netz", dann verzö­gert sich die Benach­rich­ti­gung entspre­chend auch um einige Tage. Dennoch: Besser eine späte Benach­rich­ti­gung über eine Gefahr als keine Benach­rich­ti­gung. Und gerade die beson­ders gefähr­deten Menschen mit beson­ders vielen Sozi­al­kon­takten dürften im Schnitt die Daten­dienste ihres Handys häufiger akti­viert haben und mehr lokale WiFi-Netze benutzen als der Durch­schnitt der Bevöl­ke­rung.

Man muss sich auch klar sein, dass die Alter­na­tive zur frei­wil­ligen Benut­zung der Corona-App die zwangs­weise Nutzung von Stand­ort­daten der Netz­be­treiber ist. Das wäre nach dem deut­schen Grund­ge­setz auch verhält­nis­mäßig und grund­sätz­lich zulässig. Bei der Ermitt­lung zu "Straf­taten von erheb­li­cher Bedeu­tung" dürfen nach § 100i StPO ausdrück­lich auch Stand­ort­daten von Mobil­te­le­fonen ausge­wertet werden. Dieser Para­graf wurde auch wieder­holt durch das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt auf seine Verfas­sungs­kon­for­mität geprüft.

Schaut man sich die in § 100a StPO aufge­lis­teten "Straf­taten von erheb­liche Bedeu­tung" an, sieht man, dass nicht nur die Ermitt­lungen zu Mord und Totschlag, sondern beispiels­weise auch zu Banden­dieb­stahl und Sport­wett­be­trug mittels der Erfas­sung und Auswer­tung von Stand­ort­daten geführt werden dürfen. Dass nun der Schutz der Bevöl­ke­rung vor der allem in der älteren Bevöl­ke­rungs­gruppe oft tödlich verlau­fenden Covid-Infek­tion ein höheres Rechtsgut ist als der Schutz der Bevöl­ke­rung vor orga­ni­siertem Taschen­dieb­stahl, dürfte klar sein. Wenn schon für letz­teren Mobil­funk-Daten ausge­wertet werden dürfen, um die Banden zu iden­ti­fi­zieren, dann dürfen erst recht auch die Mobil­funk­daten von Bürgern ausge­wertet werden, die sich beispiels­weise in der Nähe von bekannten Covid-Hotspots befunden haben.

Klar fehlt derzeit die Rechts­grund­lage für die genannte Auswer­tung. Nur: Die Rechts­grund­lage könnte jeder­zeit über eine Ergän­zung des Infek­ti­ons­schutz­ge­setzes und/oder des Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­setzes mit der Regie­rungs­mehr­heit geschaffen werden. Und genau das wird passieren, sollten im Herbst oder Winter die Covid-Fall­zahlen wieder ansteigen und die App weiterhin kaum verwendet werden.

Gerade, wer für Daten­schutz ist, sollte die App bald­mög­lichst instal­lieren. Denn andern­falls holt sich der Staat die Daten nämlich trotzdem, nur auf weniger daten­spar­samen Wegen als über die App.

Besser jetzt als nie

Viele Kritiker sagen: "Warum kommt die App jetzt - die Epidemie ist doch bereits vorbei!" Nun, Covid-19 ist mitnichten bereits vorbei. Schon ein kurzer Blick auf die Fall­zahlen welt­weit zeigt, dass sich die Pandemie nicht nur immer weiter ausbreitet, sondern, dass sie sich sogar immer schneller ausbreitet. Noch nie gab es so viele neue bestä­tigte Fälle wie in der letzten Woche.

In Deutsch­land sind die Zahlen dankens­wer­ter­weise derzeit tatsäch­lich rück­läufig. Das ist aber kein Natur­ge­setz. Schon im Schen­gen­land Schweden wurde letzte Woche ein neuer Höchst­stand bei den Infek­tionen erreicht. Selbst China, die Covid mit dras­ti­schen Maßnahmen auf null zurück­ge­kämpft hatten, meldet nun einen erneuten Ausbruch in Peking. Egal, ob ein lokaler Ausbruch in einem Fleisch­groß­markt (wie nun in Peking), in einem Schlachthof (wie in Coes­feld) oder bei einem Gottes­dienst (wie in Frank­furt und Bremer­haven) entsteht: Je mehr Kontakte per Tracing-App gefunden und isoliert werden, desto weniger weit einschnei­den­dere Maßnahmen (Schlie­ßung von Betrieben, lokale Reise­sperren oder gar lokale Shut­downs) sind zur Eindäm­mung nötig.

Gerade die bevor­ste­henden Reise­er­leich­te­rungen erhöhen die Gefahr, dass Covid auch in Regionen erneut einge­schleppt wird, die bereits Covid-frei waren. Daher ist gerade jetzt ein guter Zeit­punkt, die App zu instal­lieren.

Besser einige Millionen ausgeben als einige Milli­arden

Offen zuge­geben: Ich verstehe auch nicht, dass die Corona-App 20 Millionen Euro kostet. Für das Honorar könnten über 10 000 Berater-Mann­tage einge­kauft werden. So kompli­ziert ist die App bei weitem nicht, dass man derart viel Bera­tung benö­tigt. Ande­rer­seits: Wenn durch die App nur ein weiterer Tag im Lock­down verhin­dert werden kann, dann hat die App viel­fach mehr Schaden verhin­dert, als sie gekostet hat. Weil das Geld eh schon weg ist, sind die hohen Kosten kein Grund, die App nicht zu instal­lieren.

App vor Ort

Es ist ungünstig, dass die deut­sche Corona-App inkom­pa­tibel zur fran­zö­si­schen Corona-App sein wird. Regel­mä­ßige Grenz­gänger werden folg­lich beide Apps benö­tigen. Welt­rei­sende werden künftig einen ganzen Zoo an Corona-Warn-Apps instal­lieren müssen. Nur: Im Vergleich zum jetzigen Zustand, wo Welt­reisen aus Sicher­heits­gründen faktisch nicht möglich sind, ist das dennoch eine Verbes­se­rung.

Es gibt kein Patent­re­zept gegen Covid. Jedes Land muss indi­vi­duell so viele Maßnahmen kombi­nieren, bis es den berüch­tigten R-Wert unter 1,0 gedrückt bekommt. Die Corona-App ist - wie Schutz­masken, "Social Distancing" oder das Verbot von Groß­ver­an­stal­tungen - ein Teil dieser Maßnahmen. Je mehr mitma­chen, desto mehr Frei­heiten gibt es anderswo.

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