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Editorial: Prügelknabe Microsoft?

Hohe Kartellstrafe der EU-Kommission ohne Vorbild
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Die Chefs von Microsoft haben bestimmt nicht nur einmal geschluckt, als sie die Höhe des erneuten Bußgelds vernahmen, welches das Brüsseler Kartellamt gegen den Software-Konzern verhängte: Nicht weniger als 899 Millionen Euro sollen die Redmonder zahlen. Dennoch entspricht dieses Bußgeld nicht einmal fünf Prozent des Gewinns, den Microsoft seit dem letzten Bußgeld vor etwas über 18 Monaten als Gewinn eingefahren hat.

Insofern stellt sich die Frage, ob die Bußgelder überhaupt etwas bewirken. Sie werden in Redmond im Zweifel als Sondersteuer gesehen, die in den Verkaufspreis der Windows- und Office-Lizenzen in Europa einkalkuliert wird. Am Schluss zahlen nicht der Konzern, sondern die Verbraucher in Europa. Die von Brüssel seit 2004 eingeforderten allgemeinzugänglichen Schnittstellenbeschreibungen für Konkurrenten hat Microsoft beispielsweise erst jüngst angekündigt.

Dieses späte Zugeständnis ist dabei noch nicht einmal notwendigerweise ein Einknicken vor Brüssel. Viel wahrscheinlicher ist, dass Microsoft zu der Erkenntnis geriet, dass man die eigenen Industriestandards noch besser durchsetzen kann, wenn die Schnittstellen bekannt sind, so dass auch andere Produkte auf Microsoft-Dokumente oder -Server zugreifen können. Es wird dem Software-Konzern auch mit dokumentierten Schnittstellen gelingen, genügend undokumentierte Fehler und Features einzubauen, so dass sich Fremdapplikationen auch künftig immer etwas merkwürdig verhalten, und Software-Nutzer weiterhin nach Original-Microsoft-Produkten betteln. Folglich wird man auch künftig kaum an den Redmondern vorbei kommen, ob nun privat oder gewerblich.

Was tun?

Auch das amerikanische Kartellamt strengte ein Verfahren gegen Microsoft an, das im Juni 2000 in ein Urteil gipfelte, welches die Aufspaltung des Konzerns in einen Betriebssystems- und einen Anwendungssoftware-Hersteller forderte. Das von Microsoft hiergegen angestrengte Revisionsverfahren endete zwar ebenfalls mit den Feststellungen, dass der Konzern seine Marktmacht missbraucht hatte, sah aber weit weniger drastische Sanktionen vor. Zwischen den beiden Urteilen hatte George W. Bush den Präsidenten des amerikanischen Kartellamts ausgewechselt.

Da der Konzern im Heimatland protegiert wird, sind dem europäischen Kartellamt um so mehr die Hände gebunden. Und so wird das böse Spiel weitergehen: Microsoft sichert seine Quasistandards auch künftig mit fragwürdigen und teilweise bösen Tricks ab, während die Verbraucher auch künftig kaum eine Wahl haben.

Größte Gefahr für Microsoft dürfte sein, dass der PC sich selbst überlebt und zunehmend Handy und Co. direkt als Datenverarbeitungsgerät genutzt werden. Wegen Mangel an vernünftigen (Nachrüst-)Tastaturen, guten Applikationen und Dateimanagern für Symbian, Android und Co. ist diese Gefahr zwar aktuell gering. Sie könnte aber zunehmen. Denn mit dem eigenen Smartphone-Betriebssystem Windows Mobile hat Microsoft bisher kaum ein Bein auf den Boden gebracht.

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