verBITtet

Editorial: Der tapfere Analogradio-Gallier

Planlose Angriffe der Digitalradio-Fraktion
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Die Digitaltechnik hat sich bei der Aufzeichnung und Übertragung von Audio und Video inzwischen in fast allen Bereichen durchgesetzt. Schon früh verdrängte die CD die kratzeranfällige Schallplatte, später machten MP3-Player und -Recorder dem Kassettenspieler den Garaus. Ebenso eroberten Digitalkameras den Markt für Foto- und Videokameras im Sturm.

Das Fernsehsignal, ob nun über Antenne, Satellit oder Kabel, wird zunehmend digital verbreitet. Terrestrisch wurde das analoge Fernsehen bereits weitgehend abgeschaltet, aber auch über Kabel und Satellit sind viele Kanäle nur mit Digitalreceiver empfangbar. Selbst Hollywood rüstet bei Aufzeichnung und Wiedergabe zunehmend auf Digitaltechnik um. Die immer aufwändigere Tricktechnik arbeitet sowieso schon seit Jahren überwiegend digital.

Einige Technologien konnten überhaupt erst durch die Digitalisierung den Massenmarkt erobern. Die bekannteste dürfte der Mobilfunk sein. Während analoge A-, B- und C-Netz-Telefone nur von einem kleinen, zahlungskräftigen Kundenkreis goutiert werden konnten, haben digitale Netze, allen voran basierend auf dem GSM-Standard, das Handy zum Allgemeingut gemacht. In vielen Ländern ist das Handy sogar das erste erschwingliche Telefon überhaupt.

Der tapfere Analog-Gallier

Um so erstaunlicher, dass sich ebenso hartnäckig eine Enklave der Analogtechnik seit bald schon Jahrzehnten tapfer gegen die Digitaltechnik verteidigt: Das Analogradio über Ultrakurzwelle. Gemäß dem Prinzip: "Die spinnen, die Römer" unternimmt das Digitalradio immer wieder untaugliche Angriffsversuche: Zu teuer, zu unflexibel, zu wenig Programme, ganz allgemein zu halbherzig.

Während im Comic sich die Angreifer aber zumindest bemühen, vor Beginn der Schlacht eine ordentliche Angriffsformation einzunehmen, verprügeln sich die Vertreter des Digitalradios bereits gegenseitig, bevor sie den Feind überhaupt erblicken. So droht die aktuelle Digitalradio-Initiative auch daran zu scheitern, dass die privaten Radiobetreiber nicht mitziehen.

Dabei hat die Digitaltechnik durchaus zahlreiche Vorteile auf ihrer Seite: Bessere Klangqualität, einfachere Verknüpfung mit Zusatzinformationen, weniger benötigte Sendeleistung und schmalere Frequenzbänder pro Sender. Die Gleichkanaltechnik erlaubt es zudem, mehrere Sender auf derselben Frequenz zu betreiben. Bei Überlandfahrten ist dann entsprechend seltener ein Kanalwechsel erforderlich.

Das Ass im Ärmel der Analogtechnik sind aber die Abermillionen installierten Radios. Während es gesicherte Gebühreneinnahmen den öffentlich-rechtlichen Sendern erlauben, auch mal etwas selbstverliebt eine neue Technik voranzutreiben und nicht unentwegt nur auf die Hörerzahlen zu schielen, leben die Privatradios von den Werbeeinnahmen, die nun mal proportional zu der Zahl der Hörer sind. Neue Sendestandards, für die praktisch niemand einen passenden Empfänger hat, interessieren die privaten Radios somit nicht die Bohne.

Politik?

Abhilfe könnte somit nur die Politik schaffen: Sie könnte vorschreiben, dass ab einem gewissen Zeitpunkt alle neu verkauften Empfänger digital-fähig sein müssen. Sie könnte auch den verwendeten Digitalrundfunkstandard so festlegen, dass digitale Empfängermodule vergleichsweise einfach aufgebaut werden können und sich so zusätzliche Herstellungskosten und der zusätzliche Stromverbrauch im überschaubaren Rahmen halten. Und nach einiger Zeit wäre das Henne-Ei-Problem (keine Digitalempfänger -> keine Digitalsender -> keine Digitalempfänger usw.) gelöst.

Ebenso gut könnte sich die Politik aber auch raushalten. Analogradio funktioniert schließlich mit einer für die allermeisten Hörer ausreichenden Qualität. Und dessen Bandbreitenbedarf ist im Vergleich zu terrestrischem Fernsehen (egal, ob analog oder digital) und Mobilfunk eher gering. Und da ein zwangsverordneter Digitalradio-Umstieg den Bürgern zusätzliche Kosten bereiten würde, ist ein solches Heraushalten der Politik gar nicht so unwahrscheinlich.

Darüber freut sich der oben zitierte Gallier, bedeutet die Nichteinmischung der Politik doch etliche weitere Jahre der Vorherrschaft einer bestimmten Analogtechnik in einer ansonsten zunehmend digitalisierten Welt. Doch auf Dauer wird die Stellung des Analogradios nicht zu halten sein: Der Nachfolger wird das digitale Individualradio werden, gestreamt über mobile Datennetze, wie heute schon das Internetradio. Diese heute noch kaum verbreitete Technik wird boomen, sobald große Teile der Bevölkerung einen mobilen Internetzugang samt Flatrate ihr Eigen nennen. Dieser Punkt liegt zwar noch etwas in der Ferne, ist aber bereits absehbar.

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