Facebook: Lieber Geld verdienen als Hass bekämpfen?
Die Veröffentlichung weiterer interner Informationen bringt Facebook verstärkt unter Druck. In den am Montag koordiniert erschienenen Berichten großer US-Medien hieß es etwa, Facebook falle es in vielen Ländern schwer, Falschinformationen und Hassrede zu bekämpfen. Während sich das Unternehmen der Probleme bewusst sei, präsentiere es nach außen nur Erfolge. Die Artikel gehen zu großen Teilen auf interne Unterlagen zurück, die von der früheren Mitarbeiterin Frances Haugen heruntergeladen wurden. In London wiederholte sie vor einem Ausschuss des britischen Parlaments am Montag ihre Vorwürfe gegen Facebook und Konzernchef Mark Zuckerberg, Profite über das Wohl der Nutzer gestellt zu haben.
Haugen tritt als Whistleblowerin auf und übergab Facebooks Dokumente der Börsenaufsicht SEC und dem US-Kongress. Auch mehrere US-Medien bekamen Zugang und veröffentlichten am Montag zur gleichen Zeit Artikelserien. Haugen hatte bereits massive Kritik an Facebook mit dem Vorwurf ausgelöst, dass der Konzern sich zu wenig um das Wohlergehen von Teenagern bei der Fotoplattform Instagram sorge.
Zu wenig Maßnahmen gegen Fake News?
Whistleblowerin Frances Haugen bei einer Anhörung
Bild: picture alliance/dpa/PA Wire / House Of Commons
In den neuen Berichten geht es nun unter anderem darum, dass Facebook
nach der US-Präsidentenwahl die Maßnahmen gegen Falschinformationen
schnell gelockert und dadurch Donald Trump und seinen Anhängern Raum
für Behauptungen über Wahlfälschung gelassen habe. Am 6. Januar
stürmten die Anhänger des abgewählten Präsidenten den US-Kongress in
Washington. Den internen Unterlagen zufolge hat Facebook zudem in den
USA ein Problem mit jungen Nutzern, die weniger auf die Plattform
zugreifen als früher.
Eine Facebook-Sprecherin sagte der "Washington Post", die Berichte gingen auf ausgewählte Dokumente ohne jeglichen Kontext zurück. Das Online-Netzwerk wies erneut den Kern-Vorwurf zurück, dass es Profit über das Wohl der Nutzer stelle. "Ja, wir sind ein Unternehmen und wir machen Gewinne, aber die Idee, dass wir dies auf Kosten der Sicherheit und des Wohlergehens der Nutzer erzielen, missversteht, wo unsere geschäftlichen Interessen liegen", sagte ein Sprecher. Die Wahrheit sei, dass man 13 Milliarden Dollar investiert habe und 40.000 Personen beschäftige, um für die Sicherheit der Nutzer zu sorgen.
Ein "gefährlicher" Algorithmus
In London erneuerte Haugen ihre Vorwürfe gegen ihren früheren Arbeitgeber. Der Algorithmus, den Facebook nutze, sei "gefährlich", sagte sie am Montag vor einem Ausschuss des britischen Parlaments. So würden Beiträge mit vielen Likes und Kommentare prominent angezeigt, aber gefährliche Inhalte dabei nicht aussortiert. Lediglich drei Prozent von Hassrede und Gewalt würden von der Plattform entdeckt. Vielmehr würden polarisierende Inhalte vom Algorithmus "priorisiert" und "überkonzentriert". Haugen betonte, sie zweifle nicht daran, dass dadurch Gewalt angestachelt werde und sich Ausschreitungen wie am 6. Januar vor dem Kapitol in Washington wiederholen.
Haugen kritisierte, die Facebook-Tochter Instagram sei "viel gefährlicher" als andere Social-Media-Plattformen. Sie sei tief besorgt über die Auswirkungen vor allem auf Jugendliche. Bei Instagram gehe es um "soziale Vergleiche" und "Körper", das sei gerade für diese Altersgruppe schädlich. Andere Plattformen wie Twitter seien zudem viel transparenter. "Weil Twitter weiß, dass sie beobachtet werden, benehmen sie sich besser", sagte Haugen. Sie hatte sich zuvor mit der britischen Innenministerin Priti Patel getroffen. Großbritannien arbeitet derzeit ein Gesetz aus, das Nutzern von Internetplattformen wie Facebook mehr Sicherheit bieten soll.
Vor dem Parlament in London gab es Proteste gegen Facebook. Dabei wurde auch eine Figur von Facebook-Chef Zuckerberg gezeigt, dem die Aussage "Ich weiß, dass wir Kinder schädigen, aber mir ist das egal" in den Mund gelegt wurde.
Zuckerberg will Facebook-Apps auf junge Nutzer ausrichten
Facebook will unter dem Konkurrenzdruck des chinesischen Rivalen Tiktok vor allem für junge Nutzer attraktiver werden. Alle Facebook-Apps bekämen das Ziel, zu besten Diensten für junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 29 Jahren zu werden, "statt für eine größere Zahl älterer Leute zu optimieren", sagte Gründer und Chef Mark Zuckerberg. Zugleich steckt Facebook Milliarden in den Aufbau einer virtuellen Welt, die Zuckerberg als nächste Kommunikations-Plattform sieht. Das Werbegeschäft bringt trotz der aktuellen PR-Krise und Apples Datenschutz-Hürden weiter hohe Gewinne.
Die Ausrichtung auf junge Nutzer werde Konsequenzen haben, sagte Zuckerberg in einer Telefonkonferenz mit Analysten am Montag. In anderen Altersgruppen werde es dadurch vermutlich weniger Wachstum geben - es sei aber auf lange Sicht der richtige Ansatz. Zugleich werde es "Jahre und nicht Monate dauern, den Wandel ganz umzusetzen".
Den Videodienst Tiktok bezeichnete der Facebook-Chef als "einen der effizientesten Konkurrenten, dem wir je gegenüberstanden". Konkret scheinen die Pläne unter anderem zu bedeuten, dass bei Facebook und dem Fotodienst Instagram kurze Videos - das Tiktok-Kerngeschäft - stärker in den Vordergrund rücken werden. Zuletzt kamen bereits 60 Prozent der Werbeerlöse im Videobereich von Clips im Hochformat, die weniger als 15 Sekunden lang waren.
Junge Erwachsene als "starke Basis"
Junge Erwachsene seien traditionell eine "starke Basis" gewesen, sagte Zuckerberg. "Und das ist wichtig, denn sie sind die Zukunft." Im vergangenen Jahrzehnt sei die Nutzerschaft aber vielfältiger geworden und Facebook habe sich darauf fokussiert, für alle da zu sein. Nun sollten die Bedürfnisse der Jüngeren der "Leitstern" werden. Der Schwenk könnte finanzielle Gründe haben: Unter den zuletzt öffentlich gewordenen Facebook-Dokumenten sind auch Analysen, denen zufolge die Plattform in den USA weniger von jungen Menschen genutzt werde.
Die aktuelle Welle kritischer Medienberichte auf Basis interner Unterlagen wies Zuckerberg als "koordinierten Versuch" ab, Facebook im falschen Licht darzustellen.
Änderung des Konzernnamens kein Thema?
Eine Änderung des Konzernnamens, über die seit vergangener Woche spekuliert wird, gab es zur Vorlage der Quartalszahlen nicht. Medienberichten zufolge soll ein neuer Name andere Apps wie Instagram aus dem Schatten von Facebook - der ersten und wichtigsten Plattform der Firmengruppe - führen. Zugleich gehe es auch darum, die Evolution hin zum "Metaverse" zu verankern - einer virtuellen Umgebung, in der reale und digitale Welten ineinander greifen. Zuckerberg bekräftigte erneut, dass er darin die Zukunft der Kommunikation sehe.
Auch ohne einen neuen Konzernnamen nehmen die "Metaverse"-Aktivitäten immer mehr Gestalt an. So kündigte Facebook an, dass der bisherige Bereich rund um virtuelle Realität - die Facebook Reality Labs - vom kommenden Quartal an separat in der Bilanz ausgewiesen werden solle. Die Reality Labs dürften der Unternehmensteil sein, in dem das "Metaverse" in den kommenden Jahren vor allem entwickelt wird. Im aktuellen Quartalsbericht hieß es, dass die Investitionen in die Sparte den operativen Gewinn von Facebook allein in diesem Jahr um rund zehn Milliarden Dollar drücken würden. Mehr Kosten folgen: In den nächsten ein bis drei Jahren werde der Konzern erst eine Basis für das "Metaverse" schaffen, sagte Zuckerberg. "Das ist keine Investition, die für uns in absehbarer Zukunft profitabel sein wird."
Fake News dann auch im Metaverse?
Analyst Mike Proulx von der Beratungsfirma Forrester Research betonte in einem Kommentar, dass das "Metaverse" Facebook nicht schlagartig verbessern werde. Wenn die Firma weiter etwa mit Falschinformationen, extremistischen Inhalten und Datenschutz-Ärger zu kämpfen habe, "werden diese Probleme Facebook ins Metaverse folgen", warnte er.
Das Geld für Facebooks Zukunftsprojekte liefert nach wie vor das Werbegeschäft. Im dritten Quartal stiegen die Anzeigenerlöse im Jahresvergleich um rund ein Drittel auf 28,3 Milliarden Dollar. Dabei beklagte Facebook noch "Gegenwind" vor allem durch Apples neue Regeln für mehr Privatsphäre auf dem iPhone.
Alle App-Entwickler müssen seit Sommer iPhone-Nutzer ausdrücklich um Erlaubnis fragen, wenn sie ihre Aktivitäten quer über verschiedene Anwendungen und Dienste hinweg zu Werbezwecken verfolgen wollen. Laut Umfragen lehnen die meisten Nutzer dies ab. Entsprechend geraten viele bisherige Geschäftsmodelle der Werbebranche durcheinander. Facebook zufolge wurde es schwieriger, die Werbung zu personalisieren und Werbekunden Daten zur Effizienz ihrer Anzeigen zu liefern.
Beim gesamten Konzernumsatz im vergangenen Quartal verfehlte Facebook nun die Erwartungen der Analysten. Sie hatten im Schnitt mit gut 29,5 Milliarden Dollar gerechnet. Facebook schaffte ein Plus von 35 Prozent auf 29 Milliarden Dollar (rund 24,5 Milliarden Euro). Aber zugleich übertraf der Konzern die Marktprognose beim Gewinn je Aktie. Unterm Strich verdiente Facebook rund 9,2 Milliarden Dollar - das waren 17 Prozent mehr als im Vorjahresquartal.
Die Zahl täglich bei Facebook aktiver Nutzer stieg binnen drei Monaten von 1,91 auf 1,93 Milliarden. Auf mindestens eine App aus dem Facebook-Konzern - wie zum Beispiel Instagram oder WhatsApp - griffen zuletzt täglich 2,81 Milliarden Nutzer zu. Das waren 50 Millionen mehr als am Ende des zweiten Quartals.
Seit Jahren ist Facebook wegen Datenskandalen und Ausfällen in der Kritik, die aktive Nutzerschaft geht in Deutschland zurück. Was spricht noch für Facebook?