Cell Broadcast: Katastrophenwarnungen per Handy
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat kürzlich die Mobilfunk-Warn-Verordnung veröffentlicht.
Damit soll der Weg freigemacht werden, für die Warnung der Bevölkerung vor Katastrophen, beispielsweise wie das Ahrtal-Hochwassser, das auf über 85 Kilometer langen Strecke 134 Todesopfer forderte und gewaltige Schäden verursachte.
Technische Grundlagen liegen vor
Für die geplante Warnung per Cell-Broadcast ist keine extra App notwendig, es reicht wohl auch ein Steinzeit-Handy, das SMS-CB versteht
Foto: Picture-Alliance / dpa
Technische Grundlage ist das schon länger in den Mobilfunkstandards zu findende "PWS" (Public Warning System), das in 2G/GSM, 3G/UMTS, 4G/LTE und 5G-Mobilfunknetzen vorgesehen ist und aktuell von ETSI und 3GPP in den Normen ETSI TS 122 268 V16.4.0 bzw. 3GPP TS 22.268 definiert wurde.
Ministerium regelt alles detailliert
Die Verordnung des Ministeriums soll die telekommunikationsrechtlichen Voraussetzungen für die Warnung der Bevölkerung vor Katastrophen oder größeren Notfällen mit Hilfe des "Cell Broadcast" (CB) im Einklang mit der europäischen Systematik „EU-Alert“ schaffen.
Wohlverstanden, "CB" ist nicht mit dem CB-Funk zu verwechseln, der völlig unabhängig vom Mobilfunknetz auf ganz anderen Frequenzen arbeitet und auch funktioniert, wenn keine Mobilfunk-Sendestation in der Nähe ist.
TKG wird erneut geändert
Um die Warnungen rechtlich hinzubekommen, soll ein neuer § 164a in das Telekommunikationsgesetz (TKG) eingefügt werden, der die "Aussendung von öffentlichen Warnungen vor drohenden oder sich ausbreitenden Notfällen und Katastrophen durch Mobilfunknetzbetreiber sowie Mitwirkungs- und Informationspflichten der Anbieter öffentlich zugänglicher mobiler Nummern-gebundener interpersoneller Telekommunikationsdienste" regeln soll.
Damit werden die Mobilfunknetzbetreiber verpflichtet, "technische Einrichtungen vorzuhalten und organisatorische Vorkehrungen zu treffen für die jederzeitige unverzügliche Aussendung von Warnungen".
Die "Mobilfunkdiensteanbieter" müssen an der Aussendung der Warnungen mitwirken und ihre Kunden ("Endnutzer") über die Voraussetzungen für deren Empfang informieren. Damit soll die Warninfrastruktur "reichweitenstark" werden.
Warnung an alle Mobilfunkkunden einer Zelle
Mit einer Warnung über diese CB-Nachrichten sollen alle Mobilfunkkunden, die in einer bestimmten Mobilfunkzelle eingebucht sind, erreicht werden können. Dabei soll es egal sein, ob die SIM-Karten von einem deutschen oder ausländischen Netzbetreiber stammen.
Diese Warnnachrichten sollen auch dann alarmieren, wenn der Nutzer sein Handy auf "lautlos" gestellt hat. Wenn das Handy richtig "aus" ist (z.B. weil es abgeschaltet oder der Akku leer ist), funktioniert der Empfang jedoch nicht.
Ein „Cell Broadcast Center“ soll eine technische Einrichtung sein, das die öffentliche Warnungen entgegennehmen und unverzüglich verarbeiten, also aussenden kann. Eine „öffentliche Warnung“ sei eine Warnung vor drohenden oder sich ausbreitenden größeren Notfällen und Katastrophen, die über das zentrale Warnsystem des Bundes, des Zivil- oder Katastrophenschutzes in einem bestimmten geographischen Gebiet ausgesendet wird.
Die Netzbetreiber müssen "dulden", dass in ihren Räumen und an ihren Gebäuden die Aufstellung und der Betrieb von technischen Einrichtungen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, die zur Anbindung an das zentrale Warnsystem des Bundes erforderlich sind, aufgebaut werden.
Strom müssen die Netzbetreiber stellen. Bediensteten des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe oder deren Beauftragte sollen, während der üblichen Betriebs- und Geschäftszeiten, Zugang bekommen.
Zwei Center - redundant in 200 Kilometer Abstand
Mobilfunknetzanbieter müssen mindestens zwei solche Cell Broadcast Center aufbauen, die technisch voneinander redundant und mindestens 200 Kilometer voneinander entfernt sind. Das CBC muss auch bei einem größeren Stromausfall unterbrechungsfrei weiterarbeiten können. Die Netzbetreiber müssen automatisch Informationen bereitstellen, woran diejenigen Netzelemente und Funkzellen erkennbar sind, die gebraucht werden, um ein bestimmtes Gebiet bestmöglich mit Nachrichten zu versorgen.
Dann muss sichergestellt sein, dass keine unbefugten Scherzbolde irgendwelche Jux-Nachrichten ausstrahlen können. Damit kein Unbefugter an diese Technik kommt, muss sie vom Netzbetreiber oder seinem Sicherheitspersonal "geschützt" werden.
Die Mobilfunknetzbetreiber müssen eine ständig verfügbare Schnittstelle mit sachkundigen Ansprechpartnern benennen. Ganz klar, Katastrophen kommen immer dann, wenn man sie nicht gebrauchen kann.
Öffentliche Warnungen dürfen nur ausgestrahlt werden, wenn vorher geprüft wurde, dass die Nachrichten komplett sind und autorisiert wurden. Die Nachrichten sollen solange wiederholt werden, bis die Warnung von den Behörden für "aufgehoben" erklärt wird oder eine vorher vorgegebene Lebensdauer der Nachricht abgelaufen ist. Die Nachrichten müssen dabei an alle Geräte in einem bestimmten Gebiet ausgesendet werden.
Sollte eine Störung auftreten, müssen die Mobilfunker den Behörden sofort Bescheid geben. Eine Entstörung der Systeme hat dann absolute Priorität. Natürlich muss auch alles "lückenlos" protokolliert werden. Mindestens einmal im Quartal sollen die protokollierten Daten auf Unregelmäßigkeiten geprüft werden, und in Kopie an die Bundesnetzagentur und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe geschickt werden. Und genauso ist geregelt, dass "diese Prüfergebnisse bis zum Ende des auf die Prüfung folgenden Kalenderjahres aufzubewahren" sind.
Regelmäßige Information der Endkunden
Endkunden müssen bei Vertragsschluss und mindestens einmal jährlich darüber informiert werden, dass sie öffentliche Warnungen über Mobilfunknetze erhalten können. Die Kunden müssen informiert werden, wie der Empfang der Warnungen funktioniert und welche technischen Voraussetzungen der Kunde haben oder am Gerät einstellen muss. Der Kunde muss auch damit rechnen, dass es Nachrichten zu Test- und Übungszwecken geben kann.
Die Mobilfunknetzbetreiber müssen dem Kunden regelmäßig erklären, wie er das Warnsystem in seinem Telefon- oder Smartphone richtig einrichtet. Allerdings kann die Information "auf die zwei am häufigsten in Deutschland genutzten Betriebssysteme für Mobilfunkendgeräte" beschränkt werden. Das dürften wohl Android und iOS sein. Bestimmte Einstellungen sind aber auch bei anderen Betriebssystemen ähnlich. Das Ministerium hat an alles gedacht.
Die Bundesnetzagentur muss jährlich dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie über die Praxiserfahrungen bei der Aussendung öffentlicher Warnungen berichten.
Wie geht es weiter?
Der Bundesrat hat heute Morgen der Verordnung zugestimmt. Sobald der Bundestag die TKG-Änderung verabschiedet und der Bundespräsident das Gesetz in Kraft setzt, kann die Technik aufgebaut, getestet und in Betrieb genommen werden Das Cell-Broadcast-Verfahren könnte so - nach Einschätzung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) - ab Ende 2022 genutzt werden.
Auch interessant: Werbung im E-Mail-Postfach kann unzulässig sein, das entschied der europäische Gerichtshof.