Editorial: Digitaler Showdown
Huawei ist ein bekanntes Ziel der US-amerikanischen Sanktionen gegen die chinesischen IT-Giganten
Bild: teltarif.de
Letzten Sonntag sollte es eigentlich so weit sein: Die beliebte
Video-Sharing-App "TikTok" des chinesischen Unternehmens ByteDance
sollte
in den USA aus App-Store und Play-Store verbannt
werden. iPhone- und iPad-Nutzer hätten dann keine Möglichkeit mehr
gehabt, die App neu zu installieren. Android-Nutzer hätten zwar weiterhin
die App installieren können, hätten sich dazu aber das APK aus dem
Internet (zum Beispiel direkt von den Servern von ByteDance oder von
bekannten Download-Sites) herunterladen und manuell installieren müssen.
Nun, ich schreibe "sollte" und "hätten", weil die geplante Download-Sperre um (mindestens) eine Woche verschoben wurde. Und das, obwohl ByteDance dem geforderten Verkauf von TikTok an eine amerikanische Firma nicht zugestimmt hat. Stattdessen wird nun ein Joint Venture zwischen ByteDance, dem US-amerikanischen Datenbank- und Cloudspezialisten Oracle und dem US-amerikanischen Einzelhändler Walmart namens TikTok Global verhandelt. Dieses soll dann in den USA die Datenspeicherung der App-Daten übernehmen.
Da das Joint Venture jedoch zu 80 Prozent ByteDance gehören soll und Oracle nur 12,5 Prozent und Walmart gar nur 7,5 Prozent übernehmen wird, und sich zudem nur um die Datenspeicherung, aber nicht um die App und das Marketing bzw. die Vermarktung der App kümmern wird, bleibt TikTok damit natürlich vollständig unter chinesischer Kontrolle. Oracle bringt eigene Cloud-Kapazitäten in das Joint Venture ein. Bei Walmart ist die Gegenleistung noch unklar, sie könnte aber in Marketing für TikTok bestehen. Wenn das so ist, dann hätte die Trump-Administration das Gegenteil dessen erreicht, was sie laut ihrer öffentlichen Aussagen erreichen wollte: Statt den Einfluss der chinesisch kontrollierten Social-Media-Plattform in den USA zurückzudrängen, hätte sie diesen sogar noch befördert.
Präsidialer Rückzieher
Huawei ist ein bekanntes Ziel der US-amerikanischen Sanktionen gegen die chinesischen IT-Giganten
Bild: teltarif.de
Trotz des aus US-Sicht wirklich sehr lauen Kompromiss gab
US-Präsident Trump dem Deal letzten Samstag bereits sein Placet:
"I have given the deal my blessing," he said. "If they get it done, that's great. If they don't, that's OK too.".
Auf deutsch lautet seine Aussage: "Ich habe dem Deal meinen Segen
gegeben. Wenn sie [ByteDance, Oracle und Walmart] ihn abschließen,
ist das großartig. Wenn sie es nicht schaffen, dann ist das auch OK".
Besonders der dritte Satz, dass selbst "kein Deal" OK wäre, entspricht
nun überhaupt nicht der normalen Diktion Trumps. Aber selbst die
Aussage davor stellt faktisch eine
180°-Kehrtwende dar: Bisher war ein Verkauf der Mehrheit des
Kerngeschäfts von ByteDance gefordert, nun soll ein Verkauf
eines Minderheitsanteils an einem Nebengeschäft bereits
"großartig" sein?
Die wahrscheinlichste Erklärung für den plötzlichen Sinneswandel ist, dass ByteDance im Rahmen der multilateralen Verhandlungen mit Oracle und anderen Partnern (im Gespräch war u.a. auch Microsoft) und der US-Regierung der Übermittlung seiner Userdaten an die NSA und zugleich dem Schutz der Userdaten vor gleichartiger Spionage durch China zugestimmt hat.
Klage mit Chancen
Unabhängig von den Joint Venture-Gesprächen hat ByteDance zudem in Washington D.C. gegen die weiterhin drohende Sperre geklagt, die bisher nur um eine Woche auf diesen Sonntag verschoben, aber noch nicht gänzlich aufgehoben wurde. Das Washingtoner Gericht hat für Sonntag Vormittag (Ortszeit) eine Anhörung angesetzt. Sollte es die präsidiale Verfügung kassieren, kann ByteDance sowieso erstmal weitermachen wie bisher. Sollte es die Verfügung bestätigen, hat wieder Trump das letzte Wort, der aber kaum seine Zusagen von vor acht Tagen ("that's great" bzw. "that's OK too") gleich wieder kassieren wird.
Huaweis Zukunft in den Sternen
Schwieriger ist die Situation für Huawei, das andere bekannte Ziel der US-amerikanischen Sanktionen gegen die chinesischen IT-Giganten. Seit 15. September liefern sowohl der taiwanesische Chiphersteller TSMC als auch der koreanische Elektronik-Allrounder Samsung aufgrund von US-Sanktionen keine Prozessoren, Speicherchips und Displays mehr an die Chinesen. Der chinesische Chiphersteller SMIC beherrscht hingegen nur die schon etwas ältere 14-Nanometer-Fertigung und steht ebenfalls unter Druck, nicht mehr an Huawei zu liefern, weil auch sie von US-Patenten abhängig sind.
Gerüchten zufolge soll Huawei vor dem Bann noch 8,8 Millionen der ursprünglich bestellten 15 Millionen Kirin-9000-SoCs erhalten haben - übrigens in fortschrittlicher 5-Nanometer-Technologie und mit integriertem 5G-Modem. Das kommende Mate 40 könnte also ein sehr gutes Smartphone werden, wenn auch ohne Google-Dienste und mit limitierter Auflage.
Huawei hat auch keine Möglichkeit, den US-Sanktionen durch den Einbau einer Spionage-Hintertür für die NSA zu entkommen. Es wäre schon zu auffällig, wenn die Smartphones plötzlich massenhaft Verbindungen zu US-Servern aufbauen. Das Vertrauen bei den asiatischen Kunden würde massiv einbrechen. Es würde Huawei also nicht nutzen, wenn sie nach einer Einigung mit den USA also wieder Chips für die Smartphone-Produktion geliefert bekämen, ihnen dann aber wegen ebendieser Einigung die Kunden wegrennen.
2021 heißt es somit "alles oder nichts" für Huaweis Handysparte. "Alles", wenn es ihnen und/oder SMIC gelingt, in Rekordzeit und ohne offizielle Nutzung von US-Patenten eine eigene konkurrenzfertige Chipfertigung aufzubauen. Die Rede ist von 8-Nanometer-Chips bei SMIC [Link entfernt] , die natürlich nicht so performant und stromsparend wären wie 5-Nanometer-Prozessoren, so dass Huawei bei den Flaggschiff-Geräten wieder hinter Samsung und Apple zurückfallen würde. Aber für die im asiatischen Massenmarkt besonders wichtigen Mittelklasse-Geräte dürften auch 8 nm in den kommenden zwei bis drei Jahren reichen, zumal bisher 7 nm die beste verfügbare Chiptechnologie war und der Wechsel zu 5 nm erst in den kommenden Wochen vollzogen werden soll, insbesondere mit der Vorstellung des Corona-verspäteten neuen iPhone und dem wohl limitierten Huawei Mate 40.
Unabhängig von der Handysparte wird Huaweis Netzwerksparte auch 2021 weiter liefern können. Zum einen ist es natürlich viel leichter, ausreichend Chips für zwei Millionen Basisstationen zu bevorraten als für 240 Millionen Smartphones. Zudem verwenden moderne Basisstationen im digitalen Teil überwiegend generische Komponenten aus der Server-Welt, insbesondere CPUs von Intel oder AMD und ganz normale Speicherchips und SSDs. Zwar werden diese von speziellen ASICs zur effizienten Signalverarbeitung ergänzt, aber bei Basisstationen ist es nicht ganz so schlimm wie bei Smartphones, wenn diese (wegen nicht ganz so hoch integrierter Chips) etwas größer ausfallen und ein paar Watt mehr Strom saugen. Analoge Systeme, insbesondere Empfänger und Sender, machen nur einen kleinen Teil der Wertschöpfung aus und können auch mit älteren Chip-Prozessen hergestellt werden, ohne, dass die Effizienz stark leidet. Bei Leistungsverstärkern müssen sogar ältere Prozesse mit größeren Transistoren gewählt werden, um überhaupt genug Leistung liefern zu können.
Im Worst Case könnte Huawei die Telekommunikationsanbieter also bitten, generische Outdoor-Server zu kaufen, und diese dann mit den ASICs, Sendern und Empfängern von Huawei zu ergänzen. Aber so weit wird es wahrscheinlich nicht kommen: Intel und AMD haben bereits Ausnahmegenehmigungen für die Lieferung von CPUs an Huawei erhalten. Als Alternative könnte Huawei auch auf chinesische X86-CPUs ausweichen.
Zwei Eigentore für die USA
Am Ende sieht es nach zwei Eigentoren für die US-Administration aus: Bei TikTok haben sie erst groß Sanktionen gefordert und sind doch bereits weitgehend eingeknickt. Vor der kommenden Wahl am 3. November wird es auch kein App-Verbot mehr geben, weil das zu sehr nach Zensur aussieht. Auf der einen Seite China - berechtigterweise - wegen der Internetzensur an den Pranger zu stellen, dann aber auf der anderen Seite selber zur Zensur zu greifen, führt fast schon zwangsweise zu Vorwürfen der Doppelmoral. Auch der Gefahr der juristischen Schlappe, dass eine heute oder im Oktober durchgesetzte Exekutiv-Anordnung des Präsidenten auf Klage von ByteDance, Google oder Apple kurz vor der Wahl kippt, dürfte sich Trump eher nicht aussetzen wollen.
Ähnlich - wenn auch nicht ganz so klar - sieht es bei Huawei aus: Der Google-Rauswurf letztes Jahr hat nicht verhindern können, dass Huawei im zweiten Quartal 2020 sogar - nach Stückzahl - Samsung überholt hat und damit zum weltgrößten Smartphone-Hersteller aufgestiegen ist. Dazu dürfte auch eine "jetzt-erst-Recht"-Reaktion der Bürger in Huaweis Kernmärkten beigetragen haben, die nicht trotz, sondern wegen der US-Sanktionen bei Huawei gekauft haben.
Der bevorstehende nötige Wechsel der Chiplieferanten dürfte für Huawei schmerzlicher sein als der Verlust der Google-Apps. Dennoch erwarte ich auch hier, dass Huawei diesen meistert. Zum einen hatte Huawei eine monatelange Vorlaufzeit, während der sie sich zumindest mit den wichtigsten Chips für die kommende Zeit eindecken konnten. Zum anderen sind die Chinesen nicht dumm. Wenn es darauf ankommt, in den kommenden Monaten wichtige Aspekte der Chipfertigung noch einmal neu zu erfinden, um unabhängig von US-Patenten zu werden, dann werden sie das auch schaffen. Vielleicht nicht von Anfang an mit führenden Prozesstechnologien wie derzeit 5 nm, aber mit einem mit der Zeit wahrscheinlich schrumpfenden Abstand.
Der große Verlierer sind auf jeden Fall die USA, denn sie haben sich als unzuverlässiger Handelspartner erwiesen. Firmen, die Hochtechnologie entwickeln, egal, ob Prozessoren, Speicherchips, Displays oder medizinische Geräte, sind immer darum bemüht, sich in einem Land anzusiedeln, das ihnen freien Handel mit der Welt gewährleistet. Bisher waren die USA hierfür ideal, weil sie nur wenige Exportbeschränkungen hatten und es zugleich in den Importländern nur wenig Vorbehalte gegenüber Produkten aus den USA gab. Beides hat sich in den letzten deutlich verschlechtert.