Glasfaser flächendeckend bis 2025 "realitätsfern"
Deutsche Glasfaser CTO Dr. Stephan Zimmermann
Foto: Deutsche Glasfaser Holding GmbH
Glasfaser gilt gemeinhin als zukunftssichere Netztechnologie. Doch der Ausbau stockte über lange Zeit, denn die Politik setzte nach wie vor auf eine Förderung von VDSL-Vectoring. Die Deutsche Glasfaser gehört beim Thema Netzausbau zu den aktivsten Unternehmen in Deutschland. Über Hürden und Erfolge sprechen wir mit CTO Dr. Stephan Zimmermann.
teltarif.de: Herr Dr. Zimmermann, ein flächendeckender Glaserfaserausbau ist wohl eines der wichtigsten und gleichzeitig ehrgeizigsten Infrastrukturprojekte in Deutschland. Tatsächlich hängt Deutschland hier aber anderen Ländern deutlich hinterher und setzte beim VDSL-Vectoring auf eine Förderung der Kupferleitung. Zwar ist mittlerweile ein Umdenken eingekehrt, große Privatkunden-Netzbetreiber wie 1&1 (mit Ausnahme der Business-Tochter Versatel) bzw. Telefónica nahmen aber trotzdem bislang nicht selbst die Schaufel in die Hand, sondern setzten auf Open Access- bzw. Reselling-Modelle. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Dr. Stephan Zimmermann: In Deutschland hat der Glasfaserausbau im Vergleich zu anderen Ländern später begonnen, auch wegen des Fokus auf Vectoring – nicht unbedingt nur beim geförderten Netzausbau. Glasfaserausbau (und Vectoring) finden überwiegend privat finanziert statt. Das wird gerne übersehen. Unsere Ausbaugeschwindigkeit nimmt täglich zu, sodass wir bei den faktischen Ausbauleistungen schon Nr. 5 in Europa sind. Die Privatwirtschaft ist hier Motor des Glasfaserausbaus. Andere Länder haben schlicht früher angefangen oder haben infrastrukturelle Bedingungen (wie vorhandene Leerrohre bis in die Häuser) oder Rahmenbedingungen (Außenverlegungen an den Fassaden entlang) die einen schnelleren Ausbau erlauben. Ein Wort zu Telefónica – auch dieser Netzbetreiber hat mit Hilfe von Finanzinvestoren einen Ausbau von zwei Millionen Haushalten angekündigt. Es ist also viel Bewegung im deutschen Markt und diese Dynamik setzt sich fort. Auf der anderen Seite ist es wichtig, dass sich die Kolleginnen und Kollegen von 1&1 und Telefónica mit Open Access und Resale beschäftigen, denn das füllt die neuen Netze mit Kunden und Nutzern. Gerade die von langfristig orientierten Finanzinvestoren errichteten Glasfasernetze sind an einer guten Auslastung interessiert und öffnen daher ihre Netze für alle Anbieter.
Deutsche Glasfaser CTO Dr. Stephan Zimmermann
Foto: Deutsche Glasfaser Holding GmbH
teltarif.de: Was sind aus Ihrer Sicht die aktuell größten Hürden, welche einen schnelleren FTTH-Ausbau bremsen?
Dr. Stephan Zimmermann: Fakt ist, wir bauen die Netze und der Ausbau beschleunigt sich sogar von Periode zu Periode. Nur die Vorstellung, es ließe sich mit einigen "magischen Knöpfen" ein flächendeckender Ausbau bis 2025 hinzaubern, ist realitätsfern. Wir haben uns in Deutschland, auch was die Realisierung des Glasfasernetzes anbetrifft, für einen gesunden Mittelweg entschieden. Natürlich könnten wir bis 2025 Glasfasern überall in Städten und Dörfern oberirdisch zwischen den Häusern spannen. Das wäre schnell und würde das Ziel erreichen. Nachhaltig wäre es nicht. Daher legen wir die neuen Glasfasernetze unter die Erde – mit modernsten Verlegeverfahren und minimalinvasiv. Dort sind sie vor markanten Wetterlagen und weiteren Beschädigungen besser geschützt – aber es dauert halt etwas länger. Ein Trade-off, der es wert ist. Aber damit sind wir schon bei einer weiteren Beschleunigungsoption – wir brauchen diese innovativen Verlegeverfahren als akzeptierten Standard, sonst dauert der Ausbau noch Jahrzehnte länger. Noch immer gibt es Vorbehalte gegen das erprobte Verlegen von Glasfaserleitungen in "Glasfasertiefe" (ca. 40cm). Die größte Hürde für die weitere Ausbaubeschleunigung wird das von der Bundesregierung geplante neue Förderprogramm für sogenannte "Graue Flecken" darstellen. Die ausbauenden Unternehmen sind aktuell neben dem eigenwirtschaftlichen Ausbau auch mit dem Abarbeiten des laufenden Förderprogramms beschäftigt. Eine neue Welle an Fördermöglichkeiten lastet die Planungsabteilungen der Unternehmen aus, sodass sie den eigenwirtschaftlichen Ausbau vernachlässigen müssen. Das verunsichert die Kommunen dahingehend, ob ein eigenwirtschaftlicher und damit steuersparender Ausbau politisch der richtige und gewünschte Weg ist und erhöht durch Ausschreibungsvolumina, die viele Jahre an Herstellungskapazitäten abdecken, die Kosten der Herstellung insgesamt. Diese bremsenden Effekte auf den Glasfaserausbau ließen sich durch effektive Priorisierungen der Förderverfahren und durch eine Begrenzung der Fördermittel auf das von den Kapazitäten her verkraftbare vermeiden.
teltarif.de: Das Ausbauziel der Bundesregierung lag bei flächendeckend 50 MBit/s. Das klang von Anfang an im internationalen Vergleich nicht sonderlich ehrgeizig und liegt weit unter den Möglichkeiten einer Glasfaserleitung. Hätte man nicht hier schon andere Anreize setzen müssen?
Dr. Stephan Zimmermann: Ja und nein. Das Ausbauziel hat uns einen schnellen Ausbau mit einer Zwischeninfrastruktur gebracht, die sich in den erhöhten Anforderungen durch die COVID-19-Pandemie im Großen und Ganzen bewährt hat. In der Fläche wären wir mit reinen Glasfasern bei einem Startpunkt 2015 noch nicht ganz so weit gewesen. Aber ja, natürlich wären wir schon weiter, wenn wir vor fünf Jahren einzig auf Glasfaserinfrastruktur auch in der Förderung gesetzt hätten. Weitsichtige Kommunen haben das 2015er Programm im Übrigen schon für echte Glasfaser – also FTTH genutzt – es bestand kein Zwang zu FTTC. Aber wie bereits erwähnt, ist in Deutschland die Privatwirtschaft der Motor des Glasfaserausbaus. Wir als Deutsche Glasfaser haben 2015 mit KKR als seinerzeit neuen Mehrheitsgesellschafter das Investitionsprogramm mit den Zielparametern 1 Millionen Anschlüsse und 1,5 Milliarden Euro Invest aufgelegt – und es dieses Jahr fertig abgeliefert. Jetzt sind wir mit den Investoren EQT und OMERS und einem neuen Investitionsprogramm von 7 Milliarden Euro für den FTTH-Ausbau bundesweit unterwegs.
teltarif.de: Ihr Unternehmen sitzt im Münsterland, einer sehr ländlichen Region im Nordwesten von Nordrhein-Westfalen. Sie haben sich auf die Fahnen geschrieben, insbesondere den ländlichen Raum mit Glasfaser zu versorgen. Doch selbst da scheint es nicht einfach zu sein. Nehmen wir als Beispiel die Stadt Dülmen. Die Verfügbarkeitsabfrage zeigt nur einen kleinen Teil bereits versorgter Straßenzüge an. Bei dem Ausbautempo werden viele Menschen noch lange auf der Kupferleitung verharren.
Dr. Stephan Zimmermann: In vielen Teilen von Dülmen ist Deutsche Glasfaser schon sehr aktiv. In den Innenstädten haben Sie in der Regel auch eine Versorgung mit Kabelnetzen, z.B. der Vodafone, die ebenfalls schon höhere Bandbreiten als das klassische Kupferkabel bieten. Im Sinne einer Priorisierung sollten wir uns als Gesellschaft fragen – setzen wir Baukapazitäten jetzt erst für den Überbau von Kabelnetzen in den Innenstädten ein oder für den Glasfaserausbau in anderen ländlichen – unterversorgten – Gebieten. Alles zur gleichen Zeit geht nicht, da muss man auf Basis begrenzter Ressourcen kluge Entscheidungen treffen.
teltarif.de: Vodafone verkauft mittlerweile den Tarif "CableMax 1000" für 39,99 Euro. Das entspricht bereits der verfügbaren Geschwindigkeit im Glasfasernetz. Allerdings bei günstigeren Endkundenpreisen und vor allem ohne den Aufwand des FTTH-Ausbaus, denn das Kabel liegt ohnehin bereits in den meisten Haushalten. Warum also überhaupt noch Glasfaser?
Dr. Stephan Zimmermann: Gemessen am aktuellen Kundenbedarf an Bandbreite ist diese Frage legitim. Aber sie greift in meinen Augen zu kurz. Denken Sie an all die Möglichkeiten künftiger digitaler Anwendungen, die unser Leben und Arbeiten prägen werden. Die dafür erforderlichen Bandbreiten werden immens sein. Die physikalischen Grenzen althergebrachter Übertragungsinfrastrukturen sind absehbar – auch nach einer Ertüchtigung. Anders die FTTH-Glasfaserinfrastruktur: Ungebrochen werden Daten mittels Licht durch eine Ende-zu-Ende-Verbindung bis zum Teilnehmer übermittelt. Diese Art der Infrastruktur ist die einzige, die zukunftssicher ist, da nur mit Glasfaser langfristig Bandbreiten im Terabit-Bereich möglich werden. Einmal verbaut haben die Nutzer – ob Privathaushalte oder Unternehmen – über Jahrzehnte ohne Nachrüstung ihres Anschlusses ausgesorgt.
teltarif.de: Selbst aus der alten DSL-Kupferleitung kann man mit VDSL2-Vectoring und G.fast noch mehr herauskitzeln, wenn auch nur auf kurzen Entfernungen. Die Frage ist, ob diese Technologie nicht vielleicht auch in bestimmten Fällen sogar günstiger als FTTH ist.
Dr. Stephan Zimmermann: Natürlich ist das kurzfristig gesehen der Fall, insbesondere, wenn für diese Infrastrukturen keine Miete an Dritte anfällt. Wir sind als Deutsche Glasfaser jedoch langfristig unterwegs – auch im Auftrag unserer Investoren. Wie bereits erwähnt, sprechen wir von unterschiedlichen Infrastrukturen. Ertüchtigte Kupferleitungen sind nicht die Zukunft. Vectoring und G.fast holen das Letzte an Kapazitäten aus der bestehenden Infrastruktur heraus und dienen daher allenfalls als Zwischenlösung. Die physischen Grenzen sind erreicht – bei gleichzeitig steigenden Bandbreitenanforderungen. Zudem sprechen wir hier nicht nur von technologischem Vorsprung von FTTH-Glasfaser, sondern auch von Vorteilen im Hinblick auf Nachhaltigkeit. Kupferbasierte Netze verbrauchen drei bis siebzehnfach mehr Strom als reine Glasfasernetze.
teltarif.de: Thema Zusatzdienste: Ein optimales Nutzungsszenario für Glasfaseranschlüsse ist natürlich TV- bzw. Videostreaming in hohen Auflösungen. Vor allem natürlich 4K oder in Zukunft sogar 8K-Inhalte dürften vermutlich der Wachstumsmotor für hohe Netzgeschwindigkeiten in Privathaushalten sein. Welche Pläne haben Sie diesbezüglich mit Ihrem Produkt DGTV?
Dr. Stephan Zimmermann: Die Nutzerzahlen in Deutschland sind in den letzten Jahren stetig gestiegen weg vom klassischen TV hin zu IPTV. Unser DGTV-Angebot ergänzt unsere Privatkundentarife für Internet und Telefon sinnvoll, indem es diese Nachfrage zusätzlich bedient. Wir migrieren dabei ein nach wie vor breit genutztes, klassisches Massenmedium schlicht und ergreifend auf Glasfaser, weil es funktioniert. Dank der hohen Kapazität und Stabilität der Infrastruktur wird auch Streaming in 8k möglich. Die technischen Aspekte sind aber nicht wesentlich für den Kunden. Das flüssige Fernseherlebnis steht im Vordergrund und dafür haben wir einen langjährigen Spezialisten im Haus. Die IPTV-Plattform wird von den Kolleginnen und Kollegen von BrightBlue seit nunmehr 10 Jahren entlang der Kundenbedürfnisse stetig weiterentwickelt. Das ist eine Stärke, die wir auch künftig ausspielen werden.
teltarif.de: Auch für Unternehmen in ländlichen Regionen spielt die Geschwindigkeit des Breitbandanschlusses eine zentrale Rolle. Welches Gewicht hat Business-Glasfaser für Ihr
Unternehmen und wo liegen hier die Ausbauschwerpunkte?
Dr. Stephan Zimmermann: Der Anschluss von Unternehmen jeglicher Größe und ganzer Gewerbegebiete, aber auch kommunaler Liegenschaften ist ein wichtiger Geschäftsbereich, der von unseren Kolleginnen und Kollegen von inexio / Deutsche Glasfaser Business ausgefüllt wird. Fakt ist, der Mittelstand ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft – und er ist vielfach auf dem Land zuhause. Die Digitalisierung ist unabdingbar für das Bestehen der deutschen Wirtschaft im internationalen Wettbewerb. Das heißt, der Bedarf ist da. Wir bieten mit unseren Businesstarifen und unserer Ausbaustärke eine Lösung gerade für Unternehmen in ländlichen Regionen. Dabei sprechen wir – wie auch im Bereich der Privathaushalte – von einem bundesweiten Engagement von Deutsche Glasfaser. Aktuell verzeichnen wir über 20.000 Geschäftskunden und schließen beinahe täglich neue Betriebe ans Glasfasernetz an.
teltarif.de: In welchen Bereichen kooperieren Sie beim Netzausbau mit Mitbewerbern?
Dr. Stephan Zimmermann: Die Zusammenarbeit mit regionalen und nationalen Unternehmen aus der Telekommunikationsbranche bzw. Energieversorgung ist wichtiger Teil unserer Ausbaustrategie. Da aus volkswirtschaftlicher Sicht ein Wettbewerb doppelter Glasfaserinfrastrukturen in einem Ort sinnlos ist und die limitierten Ausbaukapazitäten weiter verknappen würde, bieten wir unsere Netze als "Open Access" sämtlichen Marktteilnehmern an. Mitbewerber und gleichzeitig Partner können somit Endkunden ihre Leistungen anbieten, ohne dass sie Bauaktivitäten durchführen müssen. So arbeiten wir bereits erfolgreich mit Vodafone im Businessbereich, htp im Raum Hannover oder ENTEGA im hessischen Landkreis Darmstadt-Dieburg zusammen. Mit der Telekom Deutschland sind wir gerade in einem Pilotprojekt, um die Nutzung von uns verlegter entbündelter Glasfaserleitungen durch die Telekom zu erproben. Die größere Flexibilität dieser Lösung eröffnet der Telekom auf der Endkundenseite wesentlich mehr Produktgestaltungsspielraum. Um ein Mindestmaß an lokaler Nachfrage sicherzustellen, arbeiten wir auch in der Vermarktungsphase mit Mitbewerbern zusammen. Wir heben Synergien aus Kooperationen mit dem Wettbewerb entlang unserer gesamten Wertschöpfungskette. Die zügige Glasfaserversorgung in Deutschland funktioniert eben nicht immer im Alleingang.
teltarif.de: Welche großen Ausbauprojekte stehen im kommenden Jahr an?
Dr. Stephan Zimmermann: Deutsche Glasfaser hat über 1500 Kommunen bundesweit für die digitale Zukunft gewappnet. Dank der Industrialisierung unseres Glasfaserausbaus konnten wir unsere Bauleistung auf bis zu 30.000 Glasfaseranschlüsse pro Monat steigern – und wir bauen mittlerweile nicht mehr nur in ländlichen Regionen aus. Vor kurzem haben wir mit unserem Projekt in Krefeld (NRW), die erste Großstadt in Angriff genommen, die wir im großen Stile privatwirtschaftlich anschließen wollen. Auch beim geförderten Ausbau – den wir als logischen zweiten Schritt nach einem privatwirtschaftlichen Netzausbau sehen – sind wir mit einem dreistelligen Millionenbetrag an gewonnenen Fördermitteln aktiv. Im kommenden Jahr stehen somit alle Signale für Deutsche Glasfaser weiterhin auf Wachstum – und das deutschlandweit.
teltarif.de: Herr Dr. Zimmermann, vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person: Dr. Stephan Zimmermann
Dr. Stephan Zimmermann ist seit dem 1. September 2016 in geschäftsführender Funktion bei Deutsche Glasfaser. Zunächst lenkte er die Deutsche Glasfaser Business GmbH und verantwortete zudem den bundesweiten Netzausbau der Unternehmensgruppe. Seit Mitte 2020 ist Zimmermann sowohl für den bundesweiten Netzausbau als auch Wholesale-Bereich der Deutschen Glasfaser Unternehmensgruppe sowie Inexio verantwortlich. Zuvor hatte er über sieben Jahre hinweg unterschiedliche Positionen innerhalb der Vodafone Deutschland inne. Dr. Stephan Zimmermann trug in seinen Funktionen als Leiter der Unternehmens- und anschließend Technikstrategie maßgeblich zur Akquisition und Integration der Kabel Deutschland bei. Er studierte Politikwissenschaft, Germanistik und Philosophie in Freiburg i. Br., Madrid und Mexiko und promovierte an der TU Ilmenau zum Thema Prozessinnovation.
In einem weiteren Interview sprachen wir mit Vodafone-Privatkundenchef Andreas Laukenmann über GigaTV.