Netzausbau: Wenn kleine Anbieter eher blockieren
Der Internetausbau in der Fläche ist nach wie vor ein Drama. Lange Jahre geschah nichts. Und jetzt auf einmal kann es hier und dort passieren, dass zwei oder drei Anbieter zugleich vor der Tür stehen und für Verträge werben. Doch damit ist noch lange nicht gesagt, dass auch wirklich gebaut wird. Selbst wenn gebaut wird, bleibt spannend, was beim Nutzer ankommt und was es kostet.
Eigene Breitbandgesellschaft für Oberhessen
Im Bundesland Hessen gibt es beispielsweise den Vogelsbergkreis, wo sich (für Außenstehende) mitunter "Fuchs und Hase gute Nacht sagen". Dort kam auf einmal Bewegung in die Geschichte.
Der Landkreis Vogelsberg gründete gemeinsam mit den Kollegen des Nachbarkreises Wetterau und weiteren Städten wie Alsfeld, Büdingen, Butzbach, Echzell, Florstadt, Friedberg etc. eine Breitbandinfrastrukturgesellschaft Oberhessen (BIGO).
BIGO beauftragt Telekom
Die BIGO beauftragte mit Fördermitteln des Bundes die Deutsche Telekom mit dem Ausbau verschiedener Städte und Gemeinden mit Glasfaser. Vielerorts wurde diese Glasfaser nur bis zum Verteilerkasten (FTTC) gelegt, für Gewerbegebiete und Schulen sogar bis ins Gebäude (FTTH/B). Beim Ausbau von FTTC (Vectoring) für Privatkunden stößt die Telekom auf unerwartete Probleme: Private Konkurrenz blockiert den Ausbau, baut aber selbst auch nicht.
Vogelsbergkreis: Glasfaser war damals zu teuer
Im Vogelsbergkreis, so erinnert sich der dortige Landrat, sei damals nur FTTC bezahlbar gewesen, für den Glasfaserausbau bis ins Haus hätte man 100 Millionen gebraucht, die nicht da waren.
Zunächst wollte die bereits erwähnte BIGO in Eigenregie den Vogelsberg und die Wetterau erschließen, da kein einziges TK-Unternehmen den Ausbau übernehmen wollte. Das änderte sich eines Tages, auf einmal war die Telekom aktiv. Sie führt den geförderten Ausbau durch.
Provinz für Mini-Anbieter attraktiv
Der Anbieter goetel hat viele Verteiler reserviert, baut aber kaum. Das sorgt für Frust.
Foto: goetel.de / Screenshot teltarif.de
Regionen, wo bislang gar nichts ging, sind gerade für neue und oft noch völlig unbekannte Mini-Telefongesellschaften interessant. Einige waren schnell genug, sich die Kvz (Kabelverzweiger = graue Kästen am Straßenrand) oder sogar den Ortsverteiler (Hvt) bei der Bundesnetzagentur zu "reservieren". Die Folge: Die Telekom musste dort ihre ADSL- oder VDSL-Angebote zurückfahren oder den Kunden sogar kündigen. Oder sie konnte nicht weiter ausbauen, weil eine andere (Mini-)Telefongesellschaft schon vor Ort reserviert hatte.
goetel sorgt für Verwirrung
Eine solche "schnelle" Gesellschaft ist die goetel, die ihren Namen von ihrem Stammsitz Göttingen her ableitet. Die hatte gerade die Firma OR-Network übernommen. OR steht für deren Chef und Gründer Oliver Reitz. OR hatte sich auf Ortsnetze konzentriert und per WiFi (WLAN) an das Internet und andere Netze angebunden. Wie man hört, seien diese WLAN Netze nicht sonderlich stabil. Seit der Fusion wurde von goetel/OR wenig bis nichts gebaut, die potenziellen Kunden sind sauer.
In Hetjershausen bei Göttingen musste die Telekom ihren VDSL-Kunden deswegen kündigen. Die Alternative: Langsames DSL mit maximal 16 MBit/s (weiter von der Telekom) oder irgendwann später VDSL von goetel/OR, aber erst, wenn genügend Kunden überzeugt wurden, zu dem neuen kleinen Anbieter zu wechseln. Der hat aber offenbar dort noch gar nichts aufgebaut.
Angst vor lokalen Monopolen
Das Ergebnis: Die meisten Kunden wollen den neuen Anbieter nicht. Für sie hat er auf den ersten Blick nur Nachteile:
- Es gibt keine Möglichkeit mehr, Call-by-Call zu nutzen, man muss also die festgelegten Verbindungspreise des neuen Anbieters schlucken.
- Anrufe zu Mobiltelefonen werden deutlich teurer, weil Rabattprograme der Telekom wie MagentaEINS nicht mehr greifen.
Da goetel ein relativ kleines Unternehmen ist, wird von den meisten Betroffenen befürchtet, dass sich das örtliche Monopol später in "überhöhten" Preisen auswirken könnte.
Die Angst gipfelt darin, ob goetel später seine bereits verlegten Leitungen auch anderen Anbietern wie der Telekom, Vodafone, o2, etc. zur Verfügung zu stellen werde.
Hilfe von der Politik?
Die Bürger sind sauer, der Bundestagsabgeordnete Thomas Oppermann (SPD) hatte einen Brief an die Bundesnetzagentur geschrieben - weil durch deren Beschluss die meisten Kunden kein schnelles Internet von der Telekom mehr bekommen können, bis sie zum neuen Anbieter gewechselt haben oder sich die Telekom mit diesem Anbieter auf Belieferung geeinigt hat. Der neue Mini-Anbieter habe jetzt ein Monopol, was der eigentlich geplanten Deregulierung zuwiderlaufe.
Doch die Betroffenen haben vorerst Pech. Die Bundesnetzagentur stellt klar: "Der privatwirtschaftliche Ausbau hat Vorrang vor dem öffentlich geförderten Ausbau".
Kein Interesse an Telekom-Glas-Leitungen
Dass in Hetjershausen eine einst geförderte Glasfaser der Telekom liegt, interessierte die goetel-Vertreter laut örtlicher Tagespresse nicht, "das rechnet sich für uns nicht". Das lässt tief blicken.
Zorn ist überregional
Auch in anderen Orten ist der Zorn auf goetel massiv. Es werde viel versprochen, hört man von Betroffenen und liest es in Foren, aber es bewege sich nichts.
Da goetel verschiedene Kvz-Verteilergehäuse und Ortsverteiler belegt hat, kann die Telekom selbst da, wo sie will, nicht bauen. Da aber sonst nichts vorwärts geht, sind Bürger und Gemeinden ziemlich sauer und haben schon Resolutionen verfasst, um goetel dazu zu bewegen, diese Verteiler sofort wieder freizugeben. Das tat goetel aber bislang nicht.
Nun gibt es Fristen. Wenn goetel weiterhin nichts baut, dann fallen diese Kvz oder Hvt irgendwann wieder an die Telekom oder ein anderes Unternehmen zurück. Bis dahin könnten aber bereits bewilligten Fördergelder verloren gehen, weil deren Fristen abgelaufen sind. Dann käme das Verfahren nochmal auf Anfang, und wertvolle Zeit wäre vertrödelt.
goetel gibt wenig Informationen
goetel selbst hält sich mit Informationen zurück. Markus Schaumburg von goetel wird in der Presse zitiert: "Wir haben mehr Kapazitäten, als wir verbauen können“. goetel wolle auch Glasfaserkabel bis an die Haustür bauen, aber dafür habe das Unternehmen noch nicht die entsprechenden Verträge.
„Im Vogelsberg ist die Not am größten“. Man habe einen festen Fahrplan: „Wir planen die Fertigstellung aller Vectoring-Anschlüsse im Cluster 1 bis Ende Oktober.“
Inzwischen ist das Jahr fast rum und passiert ist offenbar wenig oder nichts.
Neuer Anbieter: TNG mit Glasfaser
Überraschenderweise ist in Hessen nun ein weiterer Anbieter auf den Plan getreten, der bislang auch relativ "unbekannt" war, die TNG aus Kiel. Sie möchten eigenwirtschaftlich gleich echte Glasfaser bis hinein ins Haus (FTTH) ausbauen, erwartet dafür von 40 Prozent der erreichbaren Kunden Vorverträge, bevor sie ans Werk gehen kann. Das ist ein branchenübliches Verfahren.
„In Schleswig-Holstein sind wir mehr oder weniger fertig, es gibt keine größeren Gebiete mehr zu erschließen“, schildert TNG-Vostand Dr. Ing Volkmar Hausberg die Lage seines Unternehmens.
Auch gegenüber TNG bestand zunächst gewisse Skepsis. Nach Lage der Dinge hat TNG aber einige positive Referenzen und wird von Kennern als "gut und seriös" eingestuft.
TNG hat auf Infoveranstaltungen betont, das sie nach 2 Jahren ihr Netz auch für andere Anbieter öffnen wollen, was positiv vermerkt wurde. Nicht nur das: TNG wird die bereits vorhandene Kupfer-Infrastruktur der Telekom nicht anfassen, der Kunde hat damit ein (langsameres) Backup zur Verfügung, falls das Angebot von TNG nicht mehr gefallen sollte.
„Bis Ende 2022 wollen wir die Gemeinden ausbauen, die wir im Vogelsbergkreis erfolgreich vermarktet haben. Der Ausbau wird der Ortschaft Lingelbach und in Grebenau starten und künftig in mehreren Gemeinden parallel erfolgen“, wird Dr. Sven Willert, Vorstandsvorsitzender der TNG Stadtnetz GmbH zitiert. Die TNG hat die Stadtnetze Nord und Glasfaser Nord, ein Planungsbüro und Tiefbauer beauftragt. Bereits im November waren Vertreter aller drei vor Ort in Grebenau für Gespräche mit Verwaltung und Behörden, wie unter anderem der Unteren Naturschutzbehörde und Hessen Mobil.
Viele Orte - viel Bewegung
Auch für die weiteren Aktionsgebiete, zunächst Gemünden und Romrod, laufen die Planungen. Nach dem Start in Grebenau will TNG in mehreren Gemeinden parallel bauen. Zu den Ausbauplänen gehören auch Herbstein, Schwalmtal mit Bermuthshain, Hartmannshain, Herchenhain, Metzlos, Metzlos-Gehaag in Grebenhain, Heimertshausen in Kirtorf und Unter-Wegfurth in Schlitz.
Nach der bereits abgeschlossenen Aktionsphase in Berfa, Fischbach, Hattendorf, Heidelbach, Lingelbach und Münch-Leusel können sich bis Anfang 2021 noch weitere Ortschaften der Gemeinde Alsfeld für einen "kostenlosen" Glasfaser-Hausanschluss entscheiden. Konkrete Details verrät die TNG auf ihrer Webseite.
"Kostenlos" bedeutet, dass der Anschluss bis ans Haus gelegt wird. Kosten entstehen nur dann, wenn der neue Anschluss für den Kunden freigeschaltet ist und der alte Anbieter seinen alten Anschluss abgeschaltet hat. Somit soll eine Doppelzahlung (alter Anbieter/neuer Anbieter) vermieden werden.
In einigen betroffenen Orten habe sich einiges getan. Die ersten Leerrohre wurden verlegt und neue „graue Kästen“ gesetzt. Einerseits von der Telekom und sogar von goetel.
Auch im "Schlitzerland" könnte es einen Wettlauf um die Vergabe der Glasfaseranschlüsse geben: Nachdem goetel dort Interesse bekundet hatte, wurde die TNG bereits aktiv.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Das sind die Ergebnisse einer lieb gemeinten und politisch gewollten Deregulierung, die bei Streichhölzern oder Erdbeermarmelade sicher bestens funktioniert. Bei Daseinsvorsorge oder kritischer Infrastruktur, wie der Telekommunikation, funktioniert es nicht wie gedacht oder gewollt.
Wenn kleine Unternehmen in den TK-Markt einsteigen möchten, ist das sicherlich löblich. Man weiß zunächst nicht, ob diese Mini-Anbieter sich selbst überschätzen oder ob sie wirklich bauen können und wollen. Oder ob sie vielleicht eher das Ziel verfolgen, möglichst viel Geld absahnen zu können und ein kompletter Netzausbau gar nicht geplant ist, weil der nur Geld kosten würde, was aber nicht da ist. Wohlgemerkt, das sind alles Spekulationen, die entstehen, weil sich niemand richtig erklärt.
Die Kunden wollen Internet jetzt und sofort, am liebsten von der Telekom, weil die ihnen schon bekannt und von daher am ehesten "einschätzbar" ist.
Die Telekom bekommt es (mit starker Verzögerung) durchaus hin, auch mit kleinen lokalen Anbietern Belieferungsverträge zu verhandeln (der Endkunde kann dann bei der Telekom bleiben, nutzt aber die Leitungen des neuen Anbieters), aber dazu braucht die Telekom verlässliche Ansprechpartner. Wenn solche Miniunternehmen zwischendurch mal den Besitzer wechseln, wird das ganze schwer beherrschbar.
Alles zurück?
Jetzt alles zurückdrehen so wollen, hieße die Deregulierung de facto wieder - wohl zu Gunsten der Telekom - abzuschaffen. Die Telekom bekäme den Gesamtausbau vielleicht hin, aber sicher nicht zu den Preisen, die momentan im Wettbewerb bezahlt werden. Und steigende Preise und ein einziges schwerfälliges Monopolunternehmen will niemand mehr.
Eine mögliche Lösung?
Vielleicht sollte die Bundesnetzagentur nicht nur der Telekom, sondern speziell den neuen Anbietern viel strenger auf die Finger sehen: Sind die wirklich an einer Versorgung interessiert sind oder woran hakt es, dass nichts gebaut wird?
Es würde schon reichen, wenn der neue Anbieter dazu verdonnert wird, die Bestandskunden der Telekom mit schnellem (V)DSL weiter zu beliefern. Wenn der neue Anbieter bis dahin noch gar keine eigene Technik besitzt, muss er die von der Telekom zu regulierten Preisen mieten. Anbieter, die das nicht akzeptieren können oder wollen, bekommen keinen Platz im HvT oder Kvz reserviert. Fertig. Gerade jetzt in der aktuellen Krise können wir uns weitere Verzögerungen nicht mehr leisten.
Goetel hat auf unseren Artikel reagiert und einige Detailinfos zum Ausbau geliefert. Es bleiben aber noch viele Fragen offen.