Rückblick auf 40 Jahre Mobilfunk

Ein persönlicher Rückblick auf den Mobilfunk in Deutschland

Henning Gajek schaut 40 Jahre zurück auf alle Netze seit dem A-Netz
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Der Netzbetreiber Quam ist heute nur noch aus Erzählungen geläufig. Sie hatten "die besten Kaffeebars mit Handyshop, aber ohne Kunden" und hochkarätig besetzte Teams mit tollen Ideen. Die Quam-Tarife schienen anfangs kompliziert und unattraktiv, nach einer Tarifreform der Konkurrenten wurden sie über Nacht sehr interessant. Einem Kundenansturm durch günstige Bündelangebote ("mit Handy für 1 Euro") wurde Quam nicht mehr Herr und den Kostenrechnern dauerte es wohl zu lange, bis das eigene UMTS-Netz aufgebaut und nutzbar gewesen wäre. So zog die Muttergesellschaft in Spanien erst einmal die Notbremse und schaltete das (virtuelle) Netz (zu Gast bei E-Plus) am 15. November 2002 um 24:00 Uhr wieder ab.

Ich nahm an einer denkwürdigen "Quam-Abschaltparty" teil: Ein ehemaliger Kirchturm, in dem eine Kneipe als soziales Projekt betrieben wurde, war die Kulisse für ein Handyfreaktreffen. Um 23:00 Uhr meldeten alle vorhandenen Quam-Handys eine neue Nachricht auf der Mailbox. Dort verabschiedete sich das Quam-Team von allen Usern und wünschte noch viel Spaß mit "Sie können noch eine Stunde mobil telefonieren. Ihr Quam-Team!"

Das virtuelle Netz des kurzzeitigen UMTS-Anbieters Mobilcom war geräuschloser an den Start gegangen (Vorwahl 0156-6) und wurde genauso geräuschlos auch wieder abgeschaltet. Nur Mobilcom-Mitarbeiter hatten eine SIM-Karte erhalten, immerhin habe ich auf meinen Einzelnachweisen auch eine Verbindung in dieses Netz verzeichnet.

Mit der Weiterentwicklung des Marktes fand die Idee virtueller Netzbetreiber immer mehr Anhänger. Das erste autarke virtuelle Netz von vistream musste sich bei E-Plus eine Vorwahl "ausleihen", da Anfragen an die Bundesnetzagentur, für virtuelle Anbieter eine eigene Rufnummerngasse zu öffnen, nicht realisiert wurden. vistream startete verspätet als virtueller Netzbetreiber mit der Vorwahl 01570. Anfangs war diese Vorwahl exotisch und folglich nicht aus allen Netzen zuverlässig erreichbar. Alte Hasen der Branche mussten lernen, dass die Vorwahl - tariftechnisch gesehen - NICHT zu E-Plus gehörte. SMS-Dienstleister mussten lernen, dass sie zu vistream eine eigene Route legen mussten, denn E-Plus verweigerte (wie vertraglich vereinbart) die Annahme dieser Nachrichten.

Die Firma vistream trat in der Öffentlichkeit so gut wie nicht auf, sondern unterstützte unzählige neue Marken und Anbieter, von denen viele wieder verschwunden sind. Quasi von Anfang an ist Solomo dabei, die ihren Kunden inzwischen die Wahl zwischen Angeboten in den Netzen von Vodafone D2 und Telogic (dem neuen Namen von vistream) lässt. Meine erste Karte im vistream-"Netz" kam damals vom mittlerweile nicht mehr existierenden Reiseanbieter Sunsim.

UMTS-Lizenzen: Haben Sie mal 50 Milliarden übrig?

Die UMTS-Versteigerung mit einem Gesamtvolumen von 50 Milliarden Euro war legendär. Sechs Lizenzen wurden in Deutschland vergeben, die Schlussveranstaltung wirkte wie eine große Abiturfeier, gemischt mit einem bislang nicht gekannten Medienspektakel in einer ansonsten ruhigen Nebenstraße in Mainz. Fernsehteams hielten auf alles, was schöne Bilder versprach. Siemens, damals noch wichtiger deutscher Handyhersteller, zeigt Puderdosen und andere futuristische Endgeräte sowie ein mit "UMTS" lackiertes Siemens S35, das aber nur im GSM-Dual-Band funkte und nicht einmal E-GSM beherrschte. Gerhard Schmid vom Lizenzgewinner Mobilcom Multimedia hielt stolz sein UMTS-Lizenz-"Zeugnis" in die Kameras, Jürgen von Kuczkowski, damals Chef von Mannesmann D2, wurde von laufenden Kameras und Mikrofonen wie ein Popstar umringt. René Obermann stellte für die "T-Mobil" (D1) klar, dass die Lizenz sehr teuer gewesen war, sich der Aufwand aber lohnen würde. Horst Lennartz von E-Plus gelangte unerkannt auf den Campus und wurde vom damaligen Chef Wolfgang Scheuerle mit den Worten "Mein Beileid" begrüßt. Der Hintergrund: Aus der Bietergemeinschaft Auditorium (bestehend aus KPN, E-Plus und Hutchison-Whampoa) war wenige Sekunden vor Schluss der aus Hongkong stammende Anbieter Hutchison (bekannt später unter dem Markennamen "Drei") ausgestiegen. Die horrenden Lizenz-Kosten blieben bei den restlichen Mitgliedern des Konsortiums hängen. Ein Umstand, der bei KPN bis heute nachwirkt.

VIAG-Interkom-Chef Maximilian von Ardelt schimpfte lautstark in die Objektive und Mikrofone der Reporter, dass diese UMTS-Lizenz viel zu teuer gewesen sei, "da werden unsere Kinder und Enkel noch dran denken". Nicht von ungefähr wurde der Begriff "UMTS" beim damaligen Wirtschaftsminister Hans Eichel in "Unerwartete Mehreinnahmen zur Tilgung von Staatsschulden" umgedeutet. Die erst kürzlich versteigerten LTE-Lizenzen gingen wesentlich günstiger über den Ladentisch als damals die UMTS-Lizenzen.

Mobile Daten mit UMTS: Anfangs Skepsis, heute Standard

Mobiles Internet war in der Anfangszeit sehr langsam. Mobiles Internet war in der
Anfangszeit sehr langsam.
Foto: o2
Damals fragten viele Kunden und Beobachter, wofür UMTS denn gut sein sollte. Mobiles Internet war anfangs nur über CSD-Verbindungen zu erreichen. HSCSD und GPRS folgten später und waren langsam, rucklig und für ernsthafte Nutzung gnadenlos überteuert. Die Vorstellung, mit einem Laptop draußen im Grünen via Mobilfunk im Netz verbunden zu sein, war für viele völlig utopisch.

Das erste "UMTS-Mobil"-Gerät, das ich ausprobieren konnte, steckte in einem Mercedes-Kleintransporter und war eine "umgedrehte" Basis-Station. Endgeräte gab es noch nicht, wie seinerzeit bei GSM. Vor dem Handover am Düsseldorfer Seestern wurden alle Systeme gecheckt, dann konnte der mit elf Computern, Bildschirmen und Prozessrechnern vollgestopfte 7,5-Tonner weiterfahren - die Verbindung hielt. "Gewählt" wurde noch mit IP-Adressen.

Die ersten Demonstrationen von LTE erlebte ich auf einem Schiff, das beim GSM-Weltkongress in Cannes (Südfrankreich) in der Meeresbucht bedenklich in den Wellen schaukelte, später dann auf Demonstrationen in den Hauptquartieren von Telekom und Vodafone sowie zur CeBIT. Die Akkus mussten alle halbe Stunde gewechselt werden, denn der Stromverbrauch war enorm. Die Datengeschwindigkeiten sind im Moment noch beachtlich: Bis zu 100 MBit/s sind in einer menschenleeren LTE-1800-Zelle möglich - man darf gespannt sein, wie lange das noch der Fall sein wird.

Fazit: Mobilfunk erst Luxus, heute Standard

Mobilfunk war am Anfang etwas für Fans und Freaks oder für die schon immer vorhandene Zielgruppe der "wichtigen" Leute, die immer erreichbar sein sollten oder wollten. Für diesen Luxus war man bereit, einen gewissen Preis auszugeben, zumal man wusste, dass sich nicht jedermann so etwas leisten konnte oder wollte.

Heute ist Mobilfunk so normal wie Gas, Wasser oder Strom im Haushalt. Die Unterschiede der Netze und Anbieter sind scheinbar kaum spürbar, also orientieren sich die Kunden in erster Linie am Preis. Doch das ist ein Trugschluss.

Wer ein Mobiltelefon oder einen Surfstick intensiv nutzt, spürt schnell, welche Netze vor Ort welche Performance bieten. Wer etwas mehr Geld ausgeben mag und an der richtigen Stelle wohnt, kann heute schon mit LTE mobil online gehen, teilweise zu spürbar höheren Preisen. Bei der Telekom darf jeder Vertragskunde ins LTE-Netz (APN: internet.telekom verwenden!). Die maximale Geschwindigkeit hängt aber vom gewählten Vertrag ab, bei Vodafone muss gegebenenfalls die eigene Karte "freigeschaltet" werden. Bei o2 muss der richtige Tarif gebucht werden; wann E-Plus mit LTE für Endkunden startet, ist noch nicht bekannt. Und Prepaid-Kunden sind in allen Netzen bei LTE noch außen vor.

Wer einfach nur telefonieren will, kann heute mit einer Allnet-Flatrate für unglaubliche 20 Euro monatlich in den "kleinen" Netzen glücklich werden. Etwaige Funklöcher, Verbindungsabbrüche oder kurzzeitige Ausfälle werden für kleines Geld in Kauf genommen. Der Umkehrschluss, dass die teureren "D-Netze" in allen Punkten "besser" als die günstigeren "E-Netze" sind, gilt leider nicht uneingeschränkt. Mit nur einer Karte in nur einem Netz spielt heute immer ein gewisses Restrisiko mit, ausgerechnet hier und jetzt das "falsche Netz" gewählt zu haben.

Eine freakige Lösung ist der Einsatz einer ausländischen SIM-Karte, die sich als Roaming-Kunde in alle deutsche Netze einbuchen kann - nicht alle ausländischen Karten erfüllen diesen Anspruch. Ich selbst verwende eine Prepaid-Karte des Schweizer Netzbetreibers Swisscom, die allerdings nur vor Ort in der Schweiz erworben werden kann.

Die Statistik kann diese gefühlte Erfahrung belegen: Rechnerisch kommen auf jeden Bundesbürger heute etwa 1,5 SIM-Karten. Nicht berücksichtigt sind dabei die SIM-Karten in Autos und Maschinen (Fachwort: "M2M") oder Fans mit vier bis zehn SIM-Karten oder noch mehr, die von Senioren oder Kindern ohne Handy wieder ausgeglichen werden. Vielleicht wird die SIM-Karte in Zukunft durch ein Stück Software ersetzt? Die Welt des Mobilfunks bleibt spannend.

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