Kanada

Editorial: Wer wusste was wann?

Meng Wanzhou sitzt immer noch in Kanada fest - ihr Auslie­ferungs­pro­zess geht aber bald in die entschei­dende Phase
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Meng Wanzhou (l), Finanzchefin von Huawei und Tochter des Konzerngründers, bei ihrer Ankunft vor dem Obersten Gerichtshof von British Columbia. Meng Wanzhou (l), Finanzchefin von Huawei und Tochter des Konzerngründers, bei ihrer Ankunft vor dem Obersten Gerichtshof von British Columbia.
picture alliance/dpa/The Canadian Press/AP | Darryl Dyck
Huawei-Finanz­chefin Meng Wanzhou steht seit über zwei­ein­halb Jahren unter Haus­arrest in Kanada, weil die USA ihre Auslie­ferung bean­tragt haben. Sie soll die US-Bank HSBC über die Iran-Geschäfte der Huawei-Toch­ter­firma Skycom getäuscht und somit HSBC letzt­end­lich zum Komplizen bei Unter­laufen von US-Sank­tionen gegen den Iran gemacht haben.

Der Prozess ist aus Huaweis Sicht (und sicher auch aus Sicht der chine­sischen Führung) Teil eines von Donald Trump ange­sto­ßenen Handels­kriegs gegen China im Allge­meinen und Huawei im Beson­deren. Wanzhou befand sich auf einem Flug von China nach Südame­rika, als sie bei einer Zwischen­lan­dung in Kanada im inter­natio­nalen Bereich des Flug­hafens verhaftet wurde. Da Wanzhou in Kanada selbst nicht gesucht wurde, war das schon ein eher unge­wöhn­licher Vorgang.

Kalter Krieg

Meng Wanzhou (l), Finanzchefin von Huawei und Tochter des Konzerngründers, bei ihrer Ankunft vor dem Obersten Gerichtshof von British Columbia. Meng Wanzhou (l), Finanzchefin von Huawei und Tochter des Konzerngründers, bei ihrer Ankunft vor dem Obersten Gerichtshof von British Columbia.
picture alliance/dpa/The Canadian Press/AP | Darryl Dyck
Hinzu kommt, dass die Sank­tionen, die Wanzhou unter­laufen haben soll, im Rahmen des irani­schen Atom­abkom­mens alle­samt Ende 2015 aufge­hoben worden waren. Im Atom­abkommen wurde zwar nicht explizit eine Rück­wir­kung zu Zeiten von vor der Aufhe­bung verein­bart. Ande­rer­seits ist bei inter­natio­nalen Frie­dens­abkommen aber sehr wohl üblich, Kampf­hand­lungen aus der Zeit vor dem Frie­dens­schluss wech­sel­seitig nicht mehr weiter zu ahnden. Zwar gab es keinen herkömm­lichen Krieg zwischen den USA und dem Iran, aber das Bemühen des Irans um Zugang zu Waffen­tech­nologie, vor allem zur Herstel­lung und Anrei­che­rung von Uran, wie es für Atom­bomben benö­tigt wird, sowie die US-Gegen­maß­nahmen in Form von Sank­tionen, sind typi­sche Ausprä­gungen eines Kalten Kriegs. Eine solche Amnestie gilt grund­sätz­lich auch weiter, auch wenn der Frie­dens­ver­trag selber wieder gekün­digt wird, wie hier geschehen. Damit beginnt dann ein neuer (Kalter) Krieg.

Es gibt auch keine Vorwürfe, zumin­dest sind keine öffent­lich bekannt, dass Huawei Waffen, Nukle­artech­nologie oder anderes gemein­gefähr­liches Gut an den Iran gelie­fert haben soll. Es geht viel­mehr um Internet-Server, wie sie zum Aufbau eines Mobil­funk­netzes benö­tigt werden. Iran betreibt in der Tat zwei Mobil­funk­netze, die zumin­dest in den Groß­städten und entlang der Haupt­ver­kehrs­routen bereits mit 4G ausge­rüstet sind. Laut CIA World Fact­book gab es 2018 im Iran 88 Millionen Handys und Smart­phones, und damit etwas mehr als in Italien oder der Türkei. Die hohe Mobil­funk­durch­drin­gung - es gibt mehr Handys als Einwohner - dürfte auch am schlechten und schwer verfüg­baren Fest­netz liegen.

Unvoll­stän­dige Doku­mente

Die seit der Fest­nahme Wanz­hous eh bereits belas­teten Bezie­hungen zwischen China und Kanada haben am Freitag sicher einen weiteren schweren Knacks erhalten, als das für das Auslie­ferungs­ver­fahren zustän­dige Gericht in Vancouver entschieden hat, eine 300-seitige Samm­lung von HSBC-internen E-Mails nicht zum Verfahren zuzu­lassen: Deren Heraus­gabe hatte Huawei gegen HSBC vor einem Hong­konger Gericht erstritten. Die E-Mails zeigen nach Huaweis Angaben, dass HSBC bereits früh­zeitig von Skycoms Iran-Geschäften wusste. Wenn HSBC aber alles wusste, dann kann sie Wanzhou nicht getäuscht haben und das Haupt­ver­fahren fällt in sich zusammen.

TheGuardian schreibt, wie zurück­hal­tend das Kana­dische Recht ist, die Auslie­ferungs­anhö­rung zu einem grund­legenden Prozess darüber werden zu lassen, ob Wanzhou HSBC in die Irre geführt hat. Nur: Ange­sichts der auch unter US-Präsi­dent Biden immer noch ange­spannten poli­tischen Situa­tion in den USA erwartet niemand in China einen fairen Prozess gegen Wanzhou in den USA. Nimmt Kanada aber die Posi­tion eines neutralen Rich­ters ein, dann droht gewal­tiger poli­tischer Ärger mit dem Nach­barn USA, sollte man die Auslie­ferung verwei­gern. Die Rechten der USA werden Kanada dann vorwerfen, "von China einge­nommen" worden zu sein. Liefert man aus, droht dasselbe Spiel in China.

Besser, "wir" würden die Tele­kom­muni­kation aus der Politik draußen halten, und die Unter­nehmen das machen lassen, was sie am besten können: Produkte erzeugen, mit deren Hilfe wir besser als je zuvor über belie­bige Entfer­nungen hinweg mitein­ander kommu­nizieren können. Je mehr Kräfte darauf verwendet werden, bei jeder Liefe­rung oder jeder Rech­nungs­zah­lung erstmal zu ermit­teln, gegen wessen Embargos man gerade verstößt, desto weniger Zeit haben die Manager für die Verbes­serung der Produkte selber. Und je mehr Zeit Inge­nieure damit verbringen, das sprich­wört­liche Rad ein zweites oder ein drittes Mal zu erfinden, weil sie die Patente von der ersten Erfin­dung dank Sank­tionen nicht nutzen können, desto mehr Fehler passieren, und desto lang­samer verläuft der Fort­schritt insge­samt.

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