Spieß umgedreht: Liberty Global will Sunrise Schweiz kaufen
Sunrise wollte UPC kaufen und durfte nicht. Jetzt kauft die UPC-Mutter Liberty Global einfach Sunrise.
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Die Pressemitteilung von Sunrise, dem zweitgrößten Schweizer Mobilfunkanbieter nach der Swisscom, wäre beinahe untergegangen und klang zunächst sehr kryptisch. Da lesen wir: "Der Verwaltungsrat von Sunrise empfiehlt die Annahme des Barangebotes von Liberty Global für alle Sunrise-Aktien im Wert von 110 Schweizer Franken (ca. 102 Euro) pro Aktie."
Dazu muss man wissen, dass Liberty Global die Mutter des Schweizer Kabel-TV-Anbeters UPC ist. Den wollte die Sunrise AG vor rund einem Jahr eigentlich kaufen, um damit Synergien zu heben. UPC hat ein großes Kabel-TV- und Glasfasernetz, Sunrise hat Mobilfunk, die Parallelen zum in Deutschland damals noch umstrittenen Unitymedia-Deal von Vodafone waren unverkennbar.
Erster Anlauf: Deal mit Vehemenz abgelehnt
Sunrise wollte UPC kaufen und durfte nicht. Jetzt kauft die UPC-Mutter Liberty Global einfach Sunrise.
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Seinerzeit wurde diese Idee von der Mehrheit der Sunrise-Aktionäre mit Vehemenz abgelehnt, das sei ja "viel zu teuer" und lohne sich nicht. Insbesondere der deutsche Groß-Aktionär Freenet, der bei Sunrise-Schweiz 24,52 Prozent der Anteile hielt und schon in Deutschland die Unitymedia-Vodafone-Fusion deutlich kritisiert hatte, argumentierte am Ende mit der Mehrheit der Aktionäre überzeugend dagegen. Der damalige umtriebige Sunrise-Chef Olaf Swantee nahm daraufhin enttäuscht seinen Hut.
Neuer Anlauf
Nun dreht Liberty Global den Spieß einfach um. Sie bieten allen Aktionären an, die Sunrise-Aktie für 110 Euro das Stück zu kaufen, was einer Aktienrendite von ca. 90 Prozent seit dem Börsengang (IPO) von Sunrise im Jahre 2001 entspräche, wenn man seitdem die Dividenden nicht mehr reinvestiert hätte. Andernfalls läge die Rendite sogar bei 100 Prozent. Aktuell liegt das Angebot etwa ein Drittel über dem Durchschnittskurs der letzten 60 Tage.
Bei dem Kaufangebot von Liberty Global geht es insgesamt um 6,8 Milliarden Schweizer Franken (etwa 6,32 Milliarden Euro), gerechnet auf Basis einer Nettoverschuldung von 1,5 Milliarden Euro im ersten Quartal 2020 plus 186 Millionen Dividende (vom April 2020) und 45,4 Millionen Namensaktien.
Nach sorgfältiger Prüfung findet der Verwaltungsrat von Sunrise diese Transaktion als "im besten Interesse von Sunrise und ihren Aktionären", und hat daher einstimmig beschlossen, das Angebot seinen Aktionären zur Annahme zu empfehlen.
Jetzt könnte es hinhauen
Diesmal könnte der Deal sogar funktionieren, denn Vorstand und Aufsichtsrat der Freenet AG haben eine Verpflichtung unterschrieben, die derzeit gehaltenen 24,52 Prozent an Sunrise zum Preis von 110 Franken der Liberty Global "anzudienen" (auf gut deutsch anzubieten). Mit diesem Schritt würde Freenet über 1,1 Milliarden Euro erlösen, "als Folge geht unsere Leverage deutlich runter und wir gewinnen an Handlungsfreiheit", so eine Sprecherin des Unternehmens gegenüber teltarif.de.
Gleiche Argumente wie damals
Die Argumente für diesen Mega-Deal diesmal unter umgekehrten Vorzeichen bleiben im Wesentlichen die Gleichen: "Der Zusammenschluss schafft einen stärkeren, konvergenten Herausforderer auf dem Schweizer Telekommunikationsmarkt, von welchem Privat- wie Geschäftskunden profitieren", findet man bei Sunrise, der in allen Bereichen der "4P-Bundle-Angebote" (Glasfaser, Kabel, TV und Mobilfunk) tätig ist. Das kombinierte Unternehmen werde über die Größe verfügen, um Innovationen voranzutreiben, in neue Dienstleistungen zu investieren und Wachstum durch innovative Angebote zu wettbewerbsfähigen ("kompetitiven") Preisen zu erzielen.
Neuer starker Wettbewerber gegenüber Swisscom
Das kombinierte Unternehmen sei in der Lage, den Ausbau der Netzinfrastruktur der nächsten Generation, einschließlich 5G und zukünftiger Technologien, fortzusetzen und bis ins Jahr 2021 insgesamt 90 Prozent der Schweizer Haushalte mit Internet von bis zu 1 GBit/s zu versorgen, mit dem nächsten Ziel, die Geschwindigkeit im Laufe der Zeit auf bis zu 10 GBit/s (über Glasfaser oder Koax-Kabel mit dem DOCSIS-4.0-Protokoll) zu erhöhen. Das Festnetz der nächsten Generation von UPC Schweiz mit seinem ausgedehntem Glasfasernetz werde die Führungsposition von Sunrise bei 4G und 5G weiter stärken.
Thomas D. Meyer, Verwaltungsratspräsident der Sunrise, fühlt sich geehrt: “Mit dem Angebot anerkennt Liberty Global die Qualität und Widerstandsfähigkeit unseres Unternehmens und dessen Potenzial für die Zukunft." Und weiter: "Der Zusammenschluss von Sunrise und UPC Schweiz wird den führenden Fixed-Mobile-Herausforderer auf dem Schweizer Telekommunikationsmarkt schaffen, der über die Größe und Infrastruktur verfügt, um gegen Swisscom anzutreten."
André Krause (der Chef von Sunrise) findet, "wir haben eine seine qualitätsorientierte Strategie umgesetzt und eines der besten Mobilfunknetze weltweit aufgebaut. Wir sind sehr stolz auf das, was unsere Mitarbeitenden erreicht haben, und glauben, dass die Kombination mit UPC Schweiz es dem kombinierten Unternehmen ermöglichen wird, zum führenden vollständig konvergenten Herausforderer auf dem Markt zu werden."
Noch nicht alles in trockenen Tüchern
Bei all dieser Euphorie müssen noch Hürden genommen werden. Mindestens zwei Drittel der Sunrise-Aktien müssen so der Liberty Global angeboten werden. Die Schweizer Aufsichtsbehörden müssen den Mega-Deal beispielsweise kartellrechtlich absegnen und im Ebitda des laufenden Geschäftsjahres darf es bei Sunrise zu keinen unerwarteten "nachteiligen Auswirkungen" (beispielsweise durch Corona) kommen.
Sollte Sunrise - warum auch immer - einen Rückzieher machen, müsste eine "Break Fee" von 46,5 Millionen Euro an Liberty Global als "Strafe" gezahlt werden. Alle Beteiligten erwarten, dass die Transaktion gegen Jahresende abgeschlossen sein könnte.
Bis dahin wird Sunrise weiterhin unabhängig am Markt agieren, als ob nichts gewesen wäre. Wenn dann alles geklappt hat, würde die Liberty Global alle verbliebenen Aktionäre aus dem Unternehmen "drängen" (sog. "Squeeze out") und Sunrise wäre dann eine hundertprozentigen Tochtergesellschaft innerhalb der Liberty Global-Gruppe.
Wer ist Liberty Global?
Der Konzern "Liberty Global" ist weltweit in den Bereichen konvergente Videos, Breitband und Kommunikation tätig. In sechs europäischen Ländern tritt er unter der Verbrauchermarken Virgin Media, Telenet oder UPC auf. Die Netze von Liberty verbinden 11 Millionen Kunden, die 25 Millionen TV-, Breitband-Internet- und Telefoniedienste gebucht haben.
Daneben versorgt Liberty Global etwa 6 Millionen Mobilfunkteilnehmer und bietet WLAN/WiFi-Zugriff über Access Points an. Liberty Global besitzt 50 Prozent des niederländischen Anbieters Vodafone-Ziggo (4 Millionen Kunden, die 10 Millionen Festnetz- und 5 Millionen Mobilfunkdienste abonniert haben), ferner hält Liberty Anteile an den Unternehmen ITV, All3Media, ITI Neovision, Lionsgate, der Formel E-Rennserie und mehreren regionale Sportnetzwerken.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Dieser Deal verblüfft: Lange hatte man den Eindruck, dass sich Liberty Global aus verschiedenen Märkten in Europa zurückziehen wollte. Der Verkauf von UPC Österreich an Telekom/Magenta und der geplante Verkauf von UPC an Sunrise oder der erfolgreiche Verkauf von Unitymedia an Vodafone sprachen dafür.
Nun also umgekehrt: Liberty/UPC übernimmt Sunrise. Der neue Spieler wird im Schweizer Markt eine ähnliche Position wie Vodafone in Deutschland einnehmen. Danach kann die neue Sunrise/UPC über weite Teile des eidgenössischen Landes der etablierten Swisscom richtig Konkurrenz machen.
Die Swisscom ist keiner komfortablen Lage. Da sie vom Schweizer Staat kontrolliert wird, soll sie (möglichst) nur auf dem Schweizer Markt aktiv sein (es gibt eine Ausnahme in Italien) und keine großen Aktionen veranstalten, die den Wettbewerb durcheinander bringen könnten. Gleichzeit soll sie die Schweiz flächendeckend grundversorgen und muss die Kosten im Griff behalten, was während der Corona-Pandemie punktuell zu "Verwerfungen" geführt hat: Die Netze stiegen kurzzeitig aus, der Staat nahm Untersuchungen nach den Ursachen auf. Wurde da aus Kostengründen das Netz "auf Verschleiß" gefahren?
Die Leute bei Liberty Global sind absolute Finanzprofis. Sie werden sich schon genaue Pläne ausgemalt haben, wie sich dieses Investment für sie rechnen kann. Sollte es das eines Tages nicht mehr tun, wird es wieder verkauft und sie machen irgendetwas anderes. Ob die Preise in der Schweiz durch den Deal sinken werden, wird man sehen. Teurer wird es sicherlich nicht. Der interessierte Kunde muss weiterhin prüfen, welcher Anbieter ihm was und wo genau anbietet. Wer sich auskennt und gut informiert, kann davon profitieren.
Nicht nur Freenet war gegen die Unitymedia Fusion, auch die Telekom, Netcologe und Telecolumbus hatten dagegen geklagt. Ergebnisse liegen noch nicht vor.