Retourkutsche

Spieß umgedreht: Liberty Global will Sunrise Schweiz kaufen

Der Kauf des Schweizer Kabel-Anbie­ters UPC durch Sunrise wurde wegen Bedenken der Freenet AG ("Viel zu teuer") damals abge­sagt. Jetzt kann das Angebot von Liberty eigent­lich niemand ablehnen.
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Sunrise wollte UPC kaufen und durfte nicht. Jetzt kauft die UPC-Mutter Liberty Global einfach Sunrise. Sunrise wollte UPC kaufen und durfte nicht. Jetzt kauft die UPC-Mutter Liberty Global einfach Sunrise.
Foto: tara - Fotolia.com, Logos: Anbieter, Montage: teltarif.de
Die Pres­se­mit­tei­lung von Sunrise, dem zweit­größten Schweizer Mobil­funk­an­bieter nach der Swisscom, wäre beinahe unter­ge­gangen und klang zunächst sehr kryp­tisch. Da lesen wir: "Der Verwal­tungsrat von Sunrise empfiehlt die Annahme des Baran­ge­botes von Liberty Global für alle Sunrise-Aktien im Wert von 110 Schweizer Franken (ca. 102 Euro) pro Aktie."

Dazu muss man wissen, dass Liberty Global die Mutter des Schweizer Kabel-TV-Anbe­ters UPC ist. Den wollte die Sunrise AG vor rund einem Jahr eigent­lich kaufen, um damit Syner­gien zu heben. UPC hat ein großes Kabel-TV- und Glas­fa­ser­netz, Sunrise hat Mobil­funk, die Paral­lelen zum in Deutsch­land damals noch umstrit­tenen Unity­media-Deal von Voda­fone waren unver­kennbar.

Erster Anlauf: Deal mit Vehe­menz abge­lehnt

Sunrise wollte UPC kaufen und durfte nicht. Jetzt kauft die UPC-Mutter Liberty Global einfach Sunrise. Sunrise wollte UPC kaufen und durfte nicht. Jetzt kauft die UPC-Mutter Liberty Global einfach Sunrise.
Foto: tara - Fotolia.com, Logos: Anbieter, Montage: teltarif.de
Seiner­zeit wurde diese Idee von der Mehr­heit der Sunrise-Aktio­näre mit Vehe­menz abge­lehnt, das sei ja "viel zu teuer" und lohne sich nicht. Insbe­son­dere der deut­sche Groß-Aktionär Freenet, der bei Sunrise-Schweiz 24,52 Prozent der Anteile hielt und schon in Deutsch­land die Unity­media-Voda­fone-Fusion deut­lich kriti­siert hatte, argu­men­tierte am Ende mit der Mehr­heit der Aktio­näre über­zeu­gend dagegen. Der dama­lige umtrie­bige Sunrise-Chef Olaf Swantee nahm daraufhin enttäuscht seinen Hut.

Neuer Anlauf

Nun dreht Liberty Global den Spieß einfach um. Sie bieten allen Aktio­nären an, die Sunrise-Aktie für 110 Euro das Stück zu kaufen, was einer Akti­en­ren­dite von ca. 90 Prozent seit dem Börsen­gang (IPO) von Sunrise im Jahre 2001 entspräche, wenn man seitdem die Divi­denden nicht mehr reinves­tiert hätte. Andern­falls läge die Rendite sogar bei 100 Prozent. Aktuell liegt das Angebot etwa ein Drittel über dem Durch­schnitts­kurs der letzten 60 Tage.

Bei dem Kauf­an­gebot von Liberty Global geht es insge­samt um 6,8 Milli­arden Schweizer Franken (etwa 6,32 Milli­arden Euro), gerechnet auf Basis einer Netto­ver­schul­dung von 1,5 Milli­arden Euro im ersten Quartal 2020 plus 186 Millionen Divi­dende (vom April 2020) und 45,4 Millionen Namens­ak­tien.

Nach sorg­fäl­tiger Prüfung findet der Verwal­tungsrat von Sunrise diese Trans­ak­tion als "im besten Inter­esse von Sunrise und ihren Aktio­nären", und hat daher einstimmig beschlossen, das Angebot seinen Aktio­nären zur Annahme zu empfehlen.

Jetzt könnte es hinhauen

Diesmal könnte der Deal sogar funk­tio­nieren, denn Vorstand und Aufsichtsrat der Freenet AG haben eine Verpflich­tung unter­schrieben, die derzeit gehal­tenen 24,52 Prozent an Sunrise zum Preis von 110 Franken der Liberty Global "anzu­dienen" (auf gut deutsch anzu­bieten). Mit diesem Schritt würde Freenet über 1,1 Milli­arden Euro erlösen, "als Folge geht unsere Leverage deut­lich runter und wir gewinnen an Hand­lungs­frei­heit", so eine Spre­cherin des Unter­neh­mens gegen­über teltarif.de.

Gleiche Argu­mente wie damals

Die Argu­mente für diesen Mega-Deal diesmal unter umge­kehrten Vorzei­chen bleiben im Wesent­li­chen die Glei­chen: "Der Zusam­men­schluss schafft einen stär­keren, konver­genten Heraus­for­derer auf dem Schweizer Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­markt, von welchem Privat- wie Geschäfts­kunden profi­tieren", findet man bei Sunrise, der in allen Berei­chen der "4P-Bundle-Ange­bote" (Glas­faser, Kabel, TV und Mobil­funk) tätig ist. Das kombi­nierte Unter­nehmen werde über die Größe verfügen, um Inno­va­tionen voran­zu­treiben, in neue Dienst­leis­tungen zu inves­tieren und Wachstum durch inno­va­tive Ange­bote zu wett­be­werbs­fä­higen ("kompe­ti­tiven") Preisen zu erzielen.

Neuer starker Wett­be­werber gegen­über Swisscom

Das kombi­nierte Unter­nehmen sei in der Lage, den Ausbau der Netz­in­fra­struktur der nächsten Genera­tion, einschließ­lich 5G und zukünf­tiger Tech­no­lo­gien, fort­zu­setzen und bis ins Jahr 2021 insge­samt 90 Prozent der Schweizer Haus­halte mit Internet von bis zu 1 GBit/s zu versorgen, mit dem nächsten Ziel, die Geschwin­dig­keit im Laufe der Zeit auf bis zu 10 GBit/s (über Glas­faser oder Koax-Kabel mit dem DOCSIS-4.0-Proto­koll) zu erhöhen. Das Fest­netz der nächsten Genera­tion von UPC Schweiz mit seinem ausge­dehntem Glas­fa­ser­netz werde die Führungs­po­si­tion von Sunrise bei 4G und 5G weiter stärken.

Thomas D. Meyer, Verwal­tungs­rats­prä­si­dent der Sunrise, fühlt sich geehrt: “Mit dem Angebot aner­kennt Liberty Global die Qualität und Wider­stands­fä­hig­keit unseres Unter­neh­mens und dessen Poten­zial für die Zukunft." Und weiter: "Der Zusam­men­schluss von Sunrise und UPC Schweiz wird den führenden Fixed-Mobile-Heraus­for­derer auf dem Schweizer Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­markt schaffen, der über die Größe und Infra­struktur verfügt, um gegen Swisscom anzu­treten."

André Krause (der Chef von Sunrise) findet, "wir haben eine seine quali­täts­ori­en­tierte Stra­tegie umge­setzt und eines der besten Mobil­funk­netze welt­weit aufge­baut. Wir sind sehr stolz auf das, was unsere Mitar­bei­tenden erreicht haben, und glauben, dass die Kombi­na­tion mit UPC Schweiz es dem kombi­nierten Unter­nehmen ermög­li­chen wird, zum führenden voll­ständig konver­genten Heraus­for­derer auf dem Markt zu werden."

Noch nicht alles in trockenen Tüchern

Bei all dieser Euphorie müssen noch Hürden genommen werden. Mindes­tens zwei Drittel der Sunrise-Aktien müssen so der Liberty Global ange­boten werden. Die Schweizer Aufsichts­be­hörden müssen den Mega-Deal beispiels­weise kartell­recht­lich absegnen und im Ebitda des laufenden Geschäfts­jahres darf es bei Sunrise zu keinen uner­war­teten "nach­tei­ligen Auswir­kungen" (beispiels­weise durch Corona) kommen.

Sollte Sunrise - warum auch immer - einen Rück­zieher machen, müsste eine "Break Fee" von 46,5 Millionen Euro an Liberty Global als "Strafe" gezahlt werden. Alle Betei­ligten erwarten, dass die Trans­ak­tion gegen Jahres­ende abge­schlossen sein könnte.

Bis dahin wird Sunrise weiterhin unab­hängig am Markt agieren, als ob nichts gewesen wäre. Wenn dann alles geklappt hat, würde die Liberty Global alle verblie­benen Aktio­näre aus dem Unter­nehmen "drängen" (sog. "Squeeze out") und Sunrise wäre dann eine hundert­pro­zen­tigen Toch­ter­ge­sell­schaft inner­halb der Liberty Global-Gruppe.

Wer ist Liberty Global?

Der Konzern "Liberty Global" ist welt­weit in den Berei­chen konver­gente Videos, Breit­band und Kommu­ni­ka­tion tätig. In sechs euro­päi­schen Ländern tritt er unter der Verbrau­cher­marken Virgin Media, Telenet oder UPC auf. Die Netze von Liberty verbinden 11 Millionen Kunden, die 25 Millionen TV-, Breit­band-Internet- und Tele­fo­nie­dienste gebucht haben.

Daneben versorgt Liberty Global etwa 6 Millionen Mobil­funk­teil­nehmer und bietet WLAN/WiFi-Zugriff über Access Points an. Liberty Global besitzt 50 Prozent des nieder­län­di­schen Anbie­ters Voda­fone-Ziggo (4 Millionen Kunden, die 10 Millionen Fest­netz- und 5 Millionen Mobil­funk­dienste abon­niert haben), ferner hält Liberty Anteile an den Unter­nehmen ITV, All3Media, ITI Neovi­sion, Lions­gate, der Formel E-Renn­serie und mehreren regio­nale Sport­netz­werken.

Eine Einschät­zung (von Henning Gajek)

Dieser Deal verblüfft: Lange hatte man den Eindruck, dass sich Liberty Global aus verschie­denen Märkten in Europa zurück­ziehen wollte. Der Verkauf von UPC Öster­reich an Telekom/Magenta und der geplante Verkauf von UPC an Sunrise oder der erfolg­reiche Verkauf von Unity­media an Voda­fone spra­chen dafür.

Nun also umge­kehrt: Liberty/UPC über­nimmt Sunrise. Der neue Spieler wird im Schweizer Markt eine ähnliche Posi­tion wie Voda­fone in Deutsch­land einnehmen. Danach kann die neue Sunrise/UPC über weite Teile des eidge­nös­si­schen Landes der etablierten Swisscom richtig Konkur­renz machen.

Die Swisscom ist keiner komfor­ta­blen Lage. Da sie vom Schweizer Staat kontrol­liert wird, soll sie (möglichst) nur auf dem Schweizer Markt aktiv sein (es gibt eine Ausnahme in Italien) und keine großen Aktionen veran­stalten, die den Wett­be­werb durch­ein­ander bringen könnten. Gleich­zeit soll sie die Schweiz flächen­de­ckend grund­ver­sorgen und muss die Kosten im Griff behalten, was während der Corona-Pandemie punk­tuell zu "Verwer­fungen" geführt hat: Die Netze stiegen kurz­zeitig aus, der Staat nahm Unter­su­chungen nach den Ursa­chen auf. Wurde da aus Kosten­gründen das Netz "auf Verschleiß" gefahren?

Die Leute bei Liberty Global sind abso­lute Finanz­profis. Sie werden sich schon genaue Pläne ausge­malt haben, wie sich dieses Invest­ment für sie rechnen kann. Sollte es das eines Tages nicht mehr tun, wird es wieder verkauft und sie machen irgend­etwas anderes. Ob die Preise in der Schweiz durch den Deal sinken werden, wird man sehen. Teurer wird es sicher­lich nicht. Der inter­es­sierte Kunde muss weiterhin prüfen, welcher Anbieter ihm was und wo genau anbietet. Wer sich auskennt und gut infor­miert, kann davon profi­tieren.

Nicht nur Freenet war gegen die Unity­media Fusion, auch die Telekom, Netco­loge und Tele­co­lumbus hatten dagegen geklagt. Ergeb­nisse liegen noch nicht vor.

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