Sexuelle Nötigung

Editorial: Facebooks Gegenangriff

Face­book unter­stützt einen Hacking-Angriff auf den Computer eines Erpres­sers: Gute Hilfe oder ein Schritt zu weit?
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Facebooks Dienste werden regelmäßig auch von Menschen benutzt, die böses im Sinn haben Facebooks Dienste werden regelmäßig auch von Menschen benutzt, die böses im Sinn haben
Bild: dpa
Face­books Dienste werden regel­mäßig auch von Menschen benutzt, die böses im Sinn haben. Ein beson­deres Problem ist dabei insbe­son­dere die sexu­elle Beläs­ti­gung von Frauen. Gerade junge Frauen schalten aus diesem Grund ihre Profile auf nicht öffent­lich sichtbar, um der dauernden Beläs­ti­gung zu entgehen. Auf dem Weg verschwinden sie aber zumin­dest teil­weise aus der Internet-Öffent­lich­keit, was in einer gleich­be­rech­tigten Gesell­schaft aber eigent­lich nicht sein sollte.

Ein beson­ders krasser Fall wurde jüngst in den Medien disku­tiert: Buster H., der sich online "Brian Kil" nannte, suchte gezielt puber­tie­rende Mädchen, die frei­zü­gige Fotos von sich posteten. Er klagte sie dann in privaten Nach­richten an, "schmut­zige Bilder" von sich an Jungs geschickt zu haben. Er behaup­tete gegen­über den Opfern wahr­heits­widrig, einige dieser Bilder weiter­ge­leitet bekommen zu haben und verlangte weitere sexuell expli­zite Fotos und Videos. Für den Fall, dass das Opfer das verwei­gerte, drohte er damit, die Bilder, die er bereits hat, zu veröf­fent­li­chen. Als Medien für seine Terror-Nach­richten benutzte er neben Face­book auch private Chats und E-Mail.

Doch damit nicht genug: H. lies von den Opfern nicht ab, sondern verlangte unter immer grau­sa­meren Drohungen immer mehr Bilder und Videos. Opfern drohte er mit Verge­wal­ti­gungen, Mord oder einem Bomben­an­schlag auf ihre Schule. Viele Mädchen ließen sich so wohl gefügsam machen. Andere erstat­teten Anzeige oder leiteten Chat-Proto­kolle an die Admins weiter.

Die US-Bundes­po­lizei (FBI) tappte bei ihren Ermitt­lungen gegen H. hingegen lange im Dunkeln: Er verwischte alle Spuren seiner Online-Tätig­keit, indem er das auf Sicher­heit opti­mierte Linux-Betriebs­system "Tails" von einem USB-Stick bootete. Für sämt­liche Online-Zugriffe verwen­dete er das TOR-Netz­werk, das die origi­nalen IP-Adressen verbirgt.

Der Gegen­an­griff

Facebooks Dienste werden regelmäßig auch von Menschen benutzt, die böses im Sinn haben Facebooks Dienste werden regelmäßig auch von Menschen benutzt, die böses im Sinn haben
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Für soziale Netz­werke wie Face­book sind Täter wie H. ein doppeltes Problem: Zum einen bereiten sie den Admins jede Menge Arbeit, die immer wieder Chat-Proto­kolle prüfen und dann Accounts blockieren oder löschen müssen. Zum anderen rampo­nieren sie das Ansehen der Netz­werke, wenn es Tätern dort immer wieder gelingt, sich mit neuen Fake-Accounts einzu­schlei­chen. In der Folge werden die Anmel­de­hürden immer höher - aber nicht nur für Krimi­nelle, sondern auch für legi­time Nutzer.

Im Fall von H. entschloss man sich daher bei Face­book offenbar, nicht nur mit tech­ni­schen Gegen­maß­nahmen seine Anmel­dungen möglichst früh­zeitig zu erkennen und Accounts dann zu blocken, sondern blies zum Gegen­an­griff: Face­book schal­tete "für einen sechs­stel­ligen Betrag" eine Cyber-Sicher­heits­firma ein, die im Gegenzug einen Zero-Day-Exploit für Tails lieferte, eine noch nicht öffent­lich bekannte Sicher­heits­lücke.

Ein Opfer, das sich an die Polizei gewandt hatte, schickte in Zusam­men­ar­beit mit dem FBI ein mit dem von Face­book besorgten Exploit präpa­riertes Video via Dropbox an den Täter. Der Exploit, der einen Fehler im Video­player von Tails ausnutzte, machte dann die IP-Adresse des Täters sichtbar. Der Rest der Geschichte ist dann wohl mehr oder weniger normale Poli­zei­ar­beit, bei der der Täter noch eine Zeit lang bei seinen ille­galen Akti­vi­täten obser­viert und dann verhaftet wurde. Er hat sich vor Gericht bereits in 41 Ankla­ge­punkten als "schuldig" bekannt. Ange­sichts der harten Strafen im US-Recht wird H. wohl längere Zeit in Gefäng­nissen verbringen können.

Legal?

Ein m.E. vergleich­barer Fall aus der "analogen" Welt ist der eines Entfüh­rers, der mit Mord an der Geisel droht, wenn man ihm kein Löse­geld zahlt. Das Löse­geld wird dann tatsäch­lich bezahlt, doch im Löse­geld­koffer befindet sich nicht nur das verspro­chene Bargeld, sondern auch ein versteckter Peil­sender, mit dem der Täter verfolgt und nach Frei­las­sung der Geisel verhaftet werden kann. Der Peil­sender im Geld­koffer ist das Gegen­stück zum Trojaner in der Video­datei. Nun gilt ein solcher versteckter Peil­sender allge­meinen als ange­mes­sene und legale Gegen­wehr gegen die ille­galen Taten des Erpres­sers. Das gilt auch dann, wenn die Polizei leider schlecht ausge­stattet ist und ein Fürspre­cher des Entfüh­rungs­op­fers (oder der Löse­geld­zahler) den Peil­sender an die Polizei spendet.

Es gibt aller­dings einen wesent­li­chen Unter­schied: Der Peil­sender im Geld­koffer verän­dert nicht die Sicher­heit der anderen vom Täter verwen­deten Geräte und Einrich­tungen (z.B. Fahr­zeuge oder Wohnungen). Folg­lich haben normale Bürger keine Nach­teile dadurch zu befürchten, dass die Polizei die Tech­no­logie zum Einbau von Peil­sen­dern in Geld­koffer beherrscht. Anders bei der verseuchten Video-Datei: Eine solche kann auch zum Ausspio­nieren unbe­schol­tener Bürger verwendet werden. Jeder, der den Tails-Video­player (oder denselben Video­player auf einem anderen Unix-Derivat) einsetzt, ist poten­ziell verwundbar.

Die vom Exploit verwen­dete Lücke im Tails-Video­player ist inzwi­schen geschlossen, sie war zum Zeit­punkt der Poli­zei­ak­tion wohl bereits in Fach­kreisen bekannt und ein Fix in Vorbe­rei­tung. Das passt auch zu dem vergleichbar geringen "nur" sechs­stel­ligen Preis, den Face­book bezahlt hat, da schon offi­zi­elle Ankaufs­preise für wirk­lich neue Zero-Day-Exploits bis in den sieben­stel­ligen Bereich reichen. Verkaufs­preise einschlä­giger Dienst­leister sind dann natür­lich noch höher.

Vergleich mit dem Bundestro­janer

In Deutsch­land ist die hier verwen­dete Form der Durch­su­chung des vom Beschul­digten verwen­deten PCs gesetz­lich in § 100b StPO gere­gelt, der Volks­mund spricht vom Bundestro­janer. Diese Ermitt­lungs­maß­nahme ist in Deutsch­land nur nach gericht­li­cher Zustim­mung nach § 100e StPO zulässig.

In Deutsch­land ist der Einsatz des Bundestro­ja­ners zudem an einen recht eng einge­grenzten Straf­ta­ten­ka­talog gebunden, der unter anderem räube­ri­sche Erpres­sung (also die Erpres­sung von Geld unter der Andro­hung einer Gefahr für Leib und Leben), die Erstel­lung von Kinder­por­no­grafie und Verge­wal­ti­gung umfasst. Wenn der Täter aber nicht Geld, sondern "nur" Bilder und Videos erpresst hat, alle Opfer 15 oder älter waren (was dann unter "Jugend­por­no­grafie" statt unter "Kinder­por­no­grafie" fällt) und kein Opfer zu Sex mit ihm genö­tigt hat, dann könnte es sein, dass der Täter haar­scharf an der Anwen­dung des Bundestro­ja­ners gegen ihn vorbei­ge­schrammt wäre. Aller­dings ist es nicht unwahr­schein­lich, dass der Gesetz­geber diese offen­sicht­liche Geset­zes­lücke füllt, sobald sie auffällt, und die Erpres­sung von intimen Fotos und Videos unter Andro­hung von Gefahr gegen Leib und Leben in die Liste des § 100b StPO aufnimmt.

In den USA gibt es ein dem Bundestro­janer vergleich­baren Daten­sammler namens CIPAV, dessen Exis­tenz und Anwen­dung - anders als beim Bundestro­janer - bisher kaum in der Öffent­lich­keit disku­tiert wurde. CIPAV war wohl Vorbild für den Bundestro­janer und wird in den USA wohl vor allem vom FBI einge­setzt. Wahr­schein­lich gibt es aber keinen Vektor, über den CIPAV das beson­ders gehär­tete Tails-Linux infi­zieren kann. Hier kam dann Face­books Hilfe­stel­lung.

Gibt es keine anderen Möglich­keiten?

Außer Frage steht, dass das Erpressen von Nackt­bil­dern eine schänd­liche Tat ist und verfolgt gehört. Grund­sätz­lich haben die Poli­zei­be­hörden auch das Recht, zur Aufklä­rung solcher Taten die Computer der Täter zu hacken. Es bleibt aber dabei, dass die Nutzung der dazu erfor­der­li­chen Zero-Day-Exploits durch die Poli­zei­be­hörden frag­lich ist. Denn dieselben Exploits können durch Indus­trie­spio­nage oder durch die Auskund­schaf­tung persön­li­cher Details, die dann zur Erpres­sung verwendet werden, erheb­li­chen Schaden anrichten.

Es ist davon auszu­gehen, dass dieselben "Sicher­heits­un­ter­nehmen" die Zero-Day-Exploits für legi­time Zwecke an die Polizei oder an Face­book verkaufen, diese auch ille­gi­time Zwecke an andere verkaufen. Ebenso besteht immer die Gefahr, dass entspre­chende Soft­ware, die zunächst für gute Zwecke bestimmt war, in dunkle Kanäle gerät und dann für böse Zwecke miss­braucht wird.

Besser wäre daher, gene­rell Sicher­heits­lü­cken öffent­lich zu machen, statt sie für Ermitt­lungs­zwecke zu nutzen. Face­book hat den Exploit zwar gekauft, um seine Nutze­rinnen und Nutzer vor einem Sex-Täter zu schützen. Sie haben dadurch aber den Handel mit eben­sol­chen Exploits beför­dert, was der öffent­li­chen Sicher­heit aus den genannten Gründen abträg­lich ist.

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