USA

Editorial: Nur etwas Entspannung mit China

Biden hat von Trump den Kampf gegen China und dessen Unter­nehmen geerbt. Was ist jetzt das beste weitere Vorgehen?
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Präsident Joe Biden geht an Board der Air Force One Präsident Joe Biden geht an Board der Air Force One
Bild: picture alliance/dpa/AP | Evan Vucci
Nach einem Auszähl­krimi und einem Sturm aufs Capitol verlief am 20. Januar der Macht­wechsel in den USA dann doch fried­lich. Statt per Twitter kommu­niziert der neue Präsi­dent Joe Biden seine Entschei­dungen nun wieder über die übli­chen Kanäle. Und da sich die Demo­kraten eine hauch­dünne Mehr­heit im Senat und auch eine gewisse Mehr­heit im Reprä­sen­tan­ten­haus sichern konnten, kann Biden die kommenden Jahre eigent­lich "durch­regieren". Das wird auch drin­gend nötig sein, wenn er alles das, was er auf die Agenda gesetzt hat, auch errei­chen will. Sein demo­kra­tischer Vorgänger Barack Obama wollte auch sehr viel ändern - kam aber am Ende kaum über die allge­meine Kran­ken­ver­siche­rung - spöt­tisch oft "Obamacare" genannt - hinaus. Schlimmer noch, es gelang ihm noch nicht einmal bei der Kran­ken­ver­siche­rung der große Wurf.

Für mich wird die Viel­zahl der drän­genden und unge­lösten Probleme in den USA in einer Zahl ganz beson­ders sichtbar: der durch­schnitt­lichen Lebens­erwar­tung. In den Indus­trie­län­dern der west­lichen Welt, aber auch in den Schwel­len­län­dern Asiens und Südame­rikas, und selbst in den meisten afri­kani­schen Ländern ist die Lebens­erwar­tung in den letzten Jahren unauf­haltsam gestiegen. Das ist auch wenig verwun­der­lich: Fort­schritte in der Medizin machen früher tödliche Krank­heiten heute behan­delbar. Natür­lich gibt es Ausnahmen: Viele Krebs­arten sind bis heute kaum heilbar, und Covid-19 hat große Teile der west­lichen Welt im letzten Jahr in den Ausnah­mezu­stand versetzt. Doch die Impf­kam­pagnen sind ange­laufen und erste Ergeb­nisse stimmen doch sehr positiv.

Smart­phone und Internet mit Anteil an gestie­gener Lebens­erwar­tung

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Bild: picture alliance/dpa/AP | Evan Vucci
Zugleich verbes­sert sich die Versor­gungs­lage welt­weit, es gibt weniger Hungers­nöte als früher (wenn auch immer noch zu viele). Auch Smart­phone und Internet haben an der gestie­genen Lebens­erwar­tung ihren Anteil, beispiels­weise in Form der schnel­leren Alar­mie­rung der Rettungs­dienste nach Unfällen oder der besseren Vertei­lung von Wissen (inklu­sive medi­zini­schem Wissen) und lebens­not­wen­digen Gütern.

Dem globalen Aufwärts­trend bei der Lebens­erwar­tung stehen aber auch einige Ausreißer gegen­über, meist bedingt durch Kriege oder Macht­über­nahmen auto­kra­tischer Herr­scher. In Simbabwe betrug die Lebens­erwar­tung 1985 noch 61,36 Jahre, zu diesem Zeit­punkt ein recht guter Wert für Afrika. Sie stürzte jedoch bis 2004 auf gerade einmal 43,06 Jahre ab.

In den USA ging in den letzten Jahren die Lebens­erwar­tung eben­falls zurück, wenn auch bei weitem nicht so dras­tisch, nämlich von 79,1 Jahren noch 2014 auf 78,6 Jahre 2017. Zwar wurde der 2014er Wert nach­träg­lich nach unten korri­giert (Google zeigt beispiels­weise 78,84 Jahre an), ältere Quellen wie die von mir verlinkte nennen hingegen über­wie­gend über 79 Jahre. Im 10-Jahres-Vergleich steigt die Lebens­erwar­tung zwar auch in den USA noch an. Nur: Während die meisten west­lichen Indus­trie­länder von 2007 bis 2017 ca. 1,5 Jahre an Lebens­erwar­tung gewinnen konnten, waren es in den USA nur 0,5 Jahre.

Drän­gende lokale Probleme

Als Auslöser der in den USA seit 2014 gesun­kenen Lebens­erwar­tung werden zumeist Suizide und stark gestie­gener Drogen­miss­brauch genannt. So gab es 2017 über 70.000 Drogen­tote. 2018 ging die Zahl leicht auf 67.000 zurück. 2019 wurde eine neue Rekord­marke mit 71.000 erreicht, und 2020 könnte auch ange­sichts der durch die Covid-Pandemie ausge­lösten Probleme sogar die Marke von 80.000 Drogen­toten über­schritten werden. Bei Selbst­morden sieht es ähnlich schlimm aus: Der Trend geht die letzten zwei Jahr­zehnte konti­nuier­lich nach oben.

Nun haben andere Indus­trie­staaten diese Probleme nicht, bzw. auf einem ganz anderen Niveau. Die EU meldet 2017 beispiels­weise 8.200 Drogen­tote. Umge­rechnet auf die Bevöl­kerungs­zahl ist das Risiko, an einer Über­dosis zu sterben, in den USA also über zehnmal höher als in der EU. Dabei haben die USA eigent­lich die besseren Start­vor­aus­set­zungen: Ein viel größeres Staats­gebiet, entspre­chend weniger Probleme mit Über­bevöl­kerung, und ein doppelt so hohes Brut­toso­zial­pro­dukt pro Kopf. Offen­sicht­lich reicht aber mate­rieller Wohl­stand alleine nicht aus, damit es der Bevöl­kerung auch gut geht. Und genauso bewirken die vielen Sank­tionen der USA gegen andere Länder (die USA haben in den letzten Jahren unter anderem Sank­tionen und Einrei­sebe­schrän­kungen gegen China, Russ­land, Deutsch­land (wegen NordStream II), Iran und einige weitere isla­mische Länder ausge­spro­chen) was Gutes im Inneren.

Fokus auf China

Nun wird China oft vorge­worfen, an den Verwer­fungen in den USA mit schuldig zu sein: Durch die hohen Handels­über­schüsse beim Export von Waren in die USA oder nach Europa würde China diese Länder gewis­ser­maßen "aussagen", ihnen die Wirt­schafts­kraft nehmen, was dann irgend­wann auch Einfluss auf das Wohl­ergehen dieser Bevöl­kerung hat. Nur: Wenn China Schuld wäre, dann müssten auch die Staaten der EU leiden, denn auch die EU - Deutsch­land einge­schlossen - erzielt hohe Handels­bilanz­defi­zite mit China.

Wenn man dennoch das "China-Problem" zur Chef­sache erklärt, und dazu beispiels­weise Huawei mit Sank­tionen über­zieht oder die Spaß-App TikTok zu verbieten sucht, dann wird das zum Bume­rang: Weil man damit eben nicht die wirk­lichen Ursa­chen der Probleme im eigenen Land bekämpft, aber zugleich Kapa­zitäten der Admi­nis­tra­tion bindet, verschlech­tert man die Situa­tion für die Allge­mein­bevöl­kerung sogar noch.

Die Biden-Admi­nis­tra­tion hat nun zumin­dest beim Kampf gegen TikTok und WeChat eine "Feuer­pause" einge­legt und den für die Beru­fungs­ver­hand­lungen zustän­digen Gerichten mitge­teilt, dass man über­prüfe, ob die Apps tatsäch­lich eine Gefahr darstellten. Zwar gibt es tatsäch­lich das Problem, dass Face­book und WhatsApp in China gesperrt sind, und es folg­lich unfairer Wett­bewerb ist, wenn chine­sische Social-Media-Apps dennoch in den USA ange­boten werden dürfen. Doch wenn man dieses angehen will, dann sollte man das nicht auf der Basis präsi­dialer Notfall­ver­fügungen tun, sondern auf Basis eines Gesetzes, das zur Förde­rung des freien Zugangs zum Internet die Sper­rung von Anbie­tern aus solchen Ländern ermög­licht, die kein freies Internet bieten. Man sollte sich in den USA aber auch bewusst sein, dass ein solches Gesetz ziem­lich sicher zur Folge hätte, dass als Gegen­maß­nahme die "Great Fire­wall of China" noch ein gutes Stück dichter wird und noch mehr US-ameri­kani­sche Inhalte in China gesperrt werden. Dem freien Kultur­aus­tausch - eine der größten Errun­gen­schaften der west­lichen Welt und sicher einer der größten Garanten für Frei­heit und Wohl­stand - täte das nicht gut.

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