Funkloch

Hochschwarzwald: Zu viele Funklöcher behindern Wirtschaft

Alle jammern über Funk­löcher. Das mögen manche belä­cheln. Wenn aber die Wirt­schaft drunter leidet und erschre­ckende Fakten darlegt, hört der Spaß auf. Die IHKs im Südwesten wollen jetzt massiv Druck machen.
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Die Rothaus-Brauerei im Hochschwarzwald. Neben gutem Bier gibt es dort viel zu viele Funklöcher. Die Wirtschaft rebelliert. Die Rothaus-Brauerei im Hochschwarzwald. Neben gutem Bier gibt es dort viel zu viele Funklöcher. Die Wirtschaft rebelliert.
Foto: Picture-Alliance / dpa
Das Thema Funk­ver­sor­gung in Deutsch­land ist und bleibt ein Dauer­brenner. Wenn ein paar Freaks darüber sinnieren, dass es im Keller der Lieb­lings­kneipe noch nicht geht, mag das die Netz­betreiber viel­leicht kalt lassen.

Wenn aber Indus­trie­betriebe, vertreten durch die Indus­trie- und Handels­kam­mern (IHK), also gene­rell die Wirt­schaft sich zu Wort melden, sollte es bei den Netz­betrei­bern laut klin­geln. Wobei die Schuld des Nicht­aus­baus nicht ganz alleine nur bei den Netz­betrei­bern liegt, aber der Reihe nach. Die Rothaus-Brauerei im Hochschwarzwald. Neben gutem Bier gibt es dort viel zu viele Funklöcher. Die Wirtschaft rebelliert. Die Rothaus-Brauerei im Hochschwarzwald. Neben gutem Bier gibt es dort viel zu viele Funklöcher. Die Wirtschaft rebelliert.
Foto: Picture-Alliance / dpa

Wirt­schaft im Südwesten schlägt Alarm

"Wirt­schaft im Südwesten" heißt eine Webseite und gedruckte Zeitung der Indus­trie- und Handels­kam­mern (IHK) für Hoch­rhein-Bodensee, Schwarzwal-Baar-Heuberg und Südli­cher Ober­rhein, Außen­ste­henden eher als "Hoch-Schwarz­wald" bekannt. Da gibt es viele ruhige Ecken, wo sich Fuchs und Hase buch­stäb­lich Gute Nacht sagen, aber da gibt es auch wich­tige Indus­trie­betriebe, die bereits über 5G nach­denken, obwohl vor Ort noch selbst die 2G- oder gar 4G-Versor­gung fehlt oder eher lücken­haft ist.

Wenn Ver- oder Einkäufer aus dem In- und Ausland auf dem Weg zum Kunden im Schwarz­wald sind, bricht immer mal wieder das Gespräch ab, denn im südli­chen Schwarz­wald gibt es sehr viele Funk­löcher. Den in der IHK zusam­men­geschlos­senen Unter­nehmen ist das jetzt zu bunt, sie machen massiv Druck.

Schneider Schreib­geräte produ­ziert im Funk­loch

Die Firma Schneider Schreibgeräte hat sich auf eigene Kosten eine eigene Glasfaserleitung legen lassen. Die Firma Schneider Schreibgeräte hat sich auf eigene Kosten eine eigene Glasfaserleitung legen lassen.
Foto: Picture-Alliance / dpa
Die IHK nennt als Beispiel die Schneider Schreib­geräte, die mitten im Schwarz­wald im Ort Tennen­bronn, genauer zwischen St. Georgen und Schram­berg produ­zieren, dort ist aber ein Funk­loch. Martina Schneider, im Fami­lien­unter­nehmen für Presse und Öffent­lich­keit zuständig, wehrt sich gegen den Eindruck, als "rück­ständig und provin­ziell" ange­sehen zu werden, weil es dort kein Netz gibt. "Wir sind eine inter­national aufge­stellte Firma.“

Schneider produ­ziert nicht nur in Tennen­bronn, sondern auch in Werni­gerode (Harz). Im Harz gibt es Netz, in Tennen­bronn nicht. Schneider produ­ziert Kugel­schreiber, Füller, Marker und andere Schreib­geräte, die sie in 130 Länder liefern. 430 von 600 Beschäf­tigten arbeiten im Funk­loch. Zum Glück nicht ganz: Auf dem Werks­gelände in Tennen­bronn hat der Firmen­chef Schneider ein eigenes WLAN-Netz aufbauen lassen, damit ist wenigs­tens WiFi-Calling der Mobil­funk-Anbieter möglich.

5 km Glas­faser auf eigene Kosten

Weil die Tele­kom­muni­kati­ons­anbieter nicht in Bewe­gung kamen, ließ der Unter­neh­mens­chef schon vor rund fünf Jahren von Langen­schiltach auf das Werks­gelände eine rund 5 km lange Glas­faser­lei­tung legen, wofür er einen sechs­stel­ligen Betrag ausgab. Schon 2016 wurde im Unter­nehmen eine Mitar­beiter-App einge­führt.

Die Idee einer „Mitfahrapp“ musste Schneider fallen­lassen. Er wollte darüber Fahr­gemein­schaften zur Arbeit orga­nisieren, das ist nicht möglich, weil viel zu oft kein Netz empfangbar ist.

IHK lässt sich beraten

Die IHK hat sich beraten lassen. Die renom­mierte WIK-Consult, die auch TK-Studien für den Verband VATM erstellt, hat für die dortigen IHKs eine Studie durch­geführt und daraus eine Karte mit Funk­löchern gezeichnet. Einige wenige Flecken davon sollen bald gestopft werden, größere Bereiche bleiben weiterhin dunkel.

Funklöcher im Hochschwarzwald. Die blauen Flecken sollen ausgebaut werden, die orangenen vorerst noch nicht. Funklöcher im Hochschwarzwald. Die blauen Flecken sollen ausgebaut werden, die orangenen vorerst noch nicht.
Grafik: IHK / WIK-Consult
Die blauen und orangen Gegenden im Regie­rungs­bezirk Frei­burg sind derzeit nicht mit dem Mobil­funk­stan­dard LTE versorgt. In den blau markierten Gebieten soll sich dies voraus­sicht­lich bald ändern. Die orangen bleiben wohl erstmal unter­ver­sorgt.

Erschre­ckende Zahlen zu Funk­löchern

Das Beispiel der Firma Schneider Schreib­geräte ist kein Einzel­fall. Alleine im Regie­rungs­bezirk Frei­burg sind insge­samt mehr als 11.400 Gebäude nicht mit dem heutigen Mobil­funk­stan­dard LTE (4G) versorgt. Darunter sind rund 350 Firmen-, knapp 3300 Misch- und circa 7800 Wohn­gebäude. Hinzu kommen Verkehrs­wege in den betrof­fenen Gebieten. Eine erschre­ckende Bilanz.

Gerade in länd­lichen Berei­chen im Schwarz­wald und speziell entlang der Schweizer Grenze finden sich viele Funk­löcher. Das hat die WIK-Consult alleine dadurch ermit­telt, indem sie die offi­ziellen Daten der Mobil­funk­netz­betreiber ausge­wertet haben. Die Wahr­heit könnte noch schlimmer sein.

Schweiz sendet nach Deutsch­land

Gerade im Grenz­bereich zur Schweiz nutzen viele deut­schen Mobil­funk­kunden die Schweizer Netze, die funk­tech­nisch bedingt bis weit nach Deutsch­land hinein­strahlen. Einige haben sich sogar ganz bewusst Schweizer SIM-Karten besorgt, weil deut­sche Tarife von Voda­fone oder o2 die Schweiz nicht oder nur gegen Aufpreis beinhalten. Einzig die Telekom sieht die Schweiz in den Vertrags­tarifen als EU-Mitglieds­land an, bei Prepaid nur teil­weise.

Die Indus­trie- und Handels­kam­mern, die zusammen 100.000 mittel­stän­dische Betriebe vertreten, fordern Politik und Mobil­funk­netz­betreiber auf, endlich für eine flächen­deckende und leis­tungs­fähige Mobil­funk­abde­ckung zu sorgen.

Dabei müssten zuerst Gewer­bege­biete und Verkehrs­wege ans Mobil­funk­netz ange­bunden werden. „Je besser die Unter­nehmen mit Mobil­funk versorgt sind, umso wett­bewerbs­fähiger sind sie“, sagt Birgit Hakenjos, Präsi­dentin der IHK Schwarz­wald-Baar-Heuberg. Die digi­tale Infra­struktur sei die neue Eisen­bahn. „Funk­löcher behin­dern die Arbeit von Unter­nehmen und redu­zieren ihre Inves­titi­ons­bereit­schaft.“ Eigent­lich logisch.

Bernd Sörries von WIK-Consult rechnet vor, dass die Anwender heute doppelt so viele Daten wie vor drei Jahren produ­zieren. Die Coro­napan­demie hat mehr Video­kon­ferenzen, Online­messen und -events und mobiles Arbeiten erzeugt. Nur "der aktu­elle Zustand des Mobil­funk­netzes hält den gestie­genen Anfor­derungen an vielen Stellen nicht mehr stand.“

Hotels verlieren Gäste wegen fehlendem Netz

Viele Hotels in der Region haben schlechten oder eher gar keinen Mobil­funk­emp­fang. Sie leiden massiv darunter, wenn Geschäfts­rei­sende nicht erreichbar sind oder nicht mobil ins Internet kommen. Manches Hotel kann nur noch Gäste bekommen, indem sie kosten­loses WLAN und eine Telefon-Flat über die hotel-eigene Tele­fon­anlage anbieten.

Vorbild Schweiz

Dass es auch anders geht, zeigt die Schweiz. Dort gibt es in allen Zügen (bis auf wenige Ausnahmen) flächen­deckenden Handy­emp­fang, selbst in Tunneln bricht dieser nicht ab. "In Deutsch­land tele­foniert man im Zug lieber nicht“, findet der Experte.

Suche nach Abhilfe

Ein Kies- und Beton­werk kommu­niziert mit den Fahrern, die im Grenz­bereich zu Baustellen unter­wegs sind, über ein Tele­matik­system. Viele Firmen haben ihre Werks­gelände mit WLAN ausge­stattet. Damit bleibt die Produk­tion lauf­fähig, aber Kommu­nika­tion ist ein Drama. Die Wirt­schafts­ver­treter hoffen, dass es bald eine 4G-Versor­gung gibt, wissen aber von Protesten in der Bevöl­kerung, als vor einigen Jahren in Nach­bar­orten Mobil­funk­masten errichtet werden sollten.

Probleme durch Wider­stand gegen und Ängste vor Funk­sta­tionen

Auch die IHK kennt die Probleme. Wider­stände gegen neue Mobil­funk­masten verzö­gern die ohnehin viel zu lang dauernden Geneh­migungs­ver­fahren in den Kommunen. Die tech­nisch nicht infor­mierte Bevöl­kerung hat "Angst vor der Strah­lung". Dabei ist Fach­leuten lange klar, dass die aktuell verwen­deten Frequenzen gesund­heit­lich unbe­denk­lich sind. Einzig für künf­tige Frequenzen, die aber so hoch liegen, dass sie für eine flächen­ver­sor­gung nicht in Frage kommen, gibt es noch Forschungs­bedarf.

Die härteren Auflagen der Mobil­funk­ver­stei­gerung von 2019 könnten eine Besse­rung bringen, aber WIK-Consult ist sich im Klaren: "Es bleiben noch weiße Flecken.“

Jürgen Anders, Professor für Digi­tale Infra­struk­turen im Länd­lichen Raum an der Hoch­schule Furt­wangen weiß, wo es hakt: „Mobil­funk­masten werden dort gebaut, wo Menschen wohnen. Mobil­funk­anbieter haben wenig Inter­esse, dort zu bauen, wo niemand wohnt, also entlang der Straßen und Schie­nen­wege.“ Er kriti­siert, dass auch beim aktu­ellen Ausbau der Schwer­punkt auf bewohnte Gebiete gelegt wird.

"Nur" 76.000 Sende­masten in Deutsch­land

In Deutsch­land gibt etwa 76.000 Mobil­funk­masten, allein gut 30.000 von der Telekom. In Südkorea - flächen­mäßig nur ein Drittel so groß wie Deutsch­land - gibt es alleine 150.000 Sende­masten. Kein Wunder, dass hier nichts richtig funk­tio­niert.

Unter­nehmen oder Gemeinden, die ein besseres Netz wollen, haben es oft schwer, bei den Mobil­funk­betrei­bern kompe­tente Ansprech­partner zu finden und gehört zu werden. Die IHKs im Südwesten wollen die Inter­essen auf Landes­ebene bündeln und den Bund in die Pflicht zu nehmen, dessen Mobi­lin­fra­struk­tur­gesell­schaft (MIG) in Naum­burg an der Saale helfen soll. „Das ist Chef­sache“, sagt Eber­hard Lieb­herr, der Präsi­dent der IHK Südli­cher Ober­rhein. Thomas Conrady, vom Hoch­rhein-Bodensee in Konstanz, betont, dass seine Unter­nehmen koope­rati­ons­bereit seien und sich regional mit einbringen wollen, was beispiels­weise Stand­orte für Antennen angeht. „Uns ist bewusst, dass ein flächen­deckender Ausbau nur gemeinsam gelingen kann“, so Conrady.

Firmen hoffen auf 5G

Während die einen noch auf Mobil­funk­emp­fang über­haupt warten, brau­chen andere Unter­nehmen längst das viel leis­tungs­fähi­gere 5G-Netz.

Neben dem auto­nomen Fahren (was ohne 5G im Schwarz­wald für lange Zeit erst einmal Illu­sion bleiben dürfte), braucht die Land­wirt­schaft 5G. Auch viele Ferti­gungs­betriebe setzen auf 5G. Die Firma Gewatec in Wehingen ist ein Anbieter von ERP- und MES-Soft­ware für den ferti­genden Mittel­stand. Seine Kunden sind vor allem Auto­mobil­zulie­ferer, Medizin- und Kunst­stoff­spritz­technik-Unter­nehmen. Viele Kunden fertigen längst vernetzt. So kann man erkennen, welche Teile in welchen Ferti­gungs­schritten sich wo in der Produk­tions­halle befinden. Bisher wurde das mit WLAN gemacht, künftig soll das mit 5G, irgend­wann sogar "welt­umspan­nend" möglich sein.

Viele Betriebe lieb­äugeln längst mit eigenen selbst­ver­wal­teten 5G-Campus-Netzen, weil es viel zu lange dauern würde, bis die Netz­betreiber die Indus­trie­bereiche von sich aus versorgen können.

Mobil­funk braucht Glas­faser

Und eins ist den Indus­trie und Wirt­schafts­ver­tre­tern und ihren Bera­tern auch klar: „Mobil­funk geht nicht ohne Glas­faser, man muss beides zusammen denken.“ Für den notwen­digen Netz­ausbau wird noch viel Geld benö­tigt. Mit Preis­kriegen zwischen Billgs­tan­bie­tern und über Ramscht­arife wird das wohl nicht zu verdienen sein.

Derweilen wird die Bundes­netz­agentur mit Beschwerden wegen betrü­geri­schen Anrufen geflutet.

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