Werbliche Einträge

Streit: Wikipedia schmeißt bezahlte PR-Schreiber raus

PR-Agentur wehrt sich gegen Vorwurf tendenziöser Werbe-Artikel
Von mit Material von dpa

Streit: Wikipedia schmeißt bezahlte PR-Schreiber raus Streit: Wikipedia schmeißt bezahlte PR-Schreiber raus
Logo: Wikimedia
Die Online-En­zy­klo­pädie Wiki­pedia kämpft gegen bezahlte Mani­pulationen von Artikeln. Mehr als 250 Nutzer­profile seien gesperrt oder von der Seite verbannt worden. Die betreffende Agentur wehr sich gegen die Vorwürfe.

"Derzeit sieht es so aus, als wären einige Autoren - möglicher­weise bis zu mehrere hundert - für Wikipedia-Artikel bezahlt worden, die für Organi­sationen oder Produkte werben", schrieb Sue Gardner, Leiterin der Wikimedia-Stiftung, die hinter dem Online-Nach­schlage­werk steht.

Problem: PR-Agenturen kennen Wikipedia-Regeln nicht oder ignorieren sie

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Bei der Wikipedia kann grund­sätzlich jeder Inter­net­nutzer mit­schreiben. Aller­dings gibt es Regeln: Personen oder Gruppen müssen wichtig genug für einen Eintrag sein, diese Regeln werden unter dem Stichwort "Rele­vanz­kri­terien" zusammen­ge­fasst. Be­hauptungen müssen mit Ver­weisen auf un­ab­hängige Quellen belegt werden. Die Mit­autoren diskutieren häufig über Änderungen an Artikeln. Immer wieder gibt es Berichte, dass einzelne Nutzer oder Unter­nehmen versucht hätten, Einträge zu mani­pu­lieren, meist ohne Rück­sprache mit den Mit­autoren.

Wikimedia-Leiterin Gardner verwies auf einen Artikel der Webseite "Daily Dot", die von einem riesigen Netzwerk an falschen Profilen berichtete. Sie sollen - teilweise gegen Bezahlung - Artikel über Unternehmen und Personen geschönt haben. "Im Gegensatz zu einer Universitätsprofessorin, die einen Wikipedia-Artikel über ihr Fachgebiet bearbeitet, ist bezahltes Schreiben für Werbezwecke extrem problematisch", schrieb Gardner. Es widerspreche den grundlegenden Werten der Wikipedia als neutrale Quelle.

Die deutschsprachige Wikipedia-Version sei von den Profil-Sperren nicht betroffen, sagte eine Sprecherin der deutschen Wikimedia-Stiftung der dpa. Auch dort gebe es aber Diskussionen um den Umgang mit bezahlten Einträgen oder Autoren. Ein Mitschreiber arbeite gemeinsam mit anderen Autoren an Regeln für Mitarbeiter von Unternehmen. Dabei geht es auch darum, interessengeleitete Einträge möglichst klar zu kennzeichnen. Es gibt bereits ein deutsches Verzeichnis von Profilen, die Unternehmen, Werbeagenturen oder Vereinen gehören. "Natürlich kann jeder mitmachen", sagte die Sprecherin, "aber nach den Regeln der Wikipedia."

"Sockenpuppen"-Phänomen betrifft auch Wikipedia

Das Phänomen von (teils gefälschten) Mehrfach-Accounts in Internet-Foren und -Communities nennt man "Sockenpuppe". Auch die Wikipedia ist davon betroffen. Die Absicht eines Sockenpuppen-Accounts ist es in der Regel, mehrfach an Abstimmungen teilzunehmen oder die Regeln der Community zu umgehen. PR-Agenturen, die vom selben IP-Adressenbereich aus mit mehreren Accounts auf die Wikipedia zugreifen und dort eventuell tendenziöse Änderungen vornehmen, die alle in dieselbe Richtung gehen, sind für geübte Augen als Sockenpuppen-Netzwerk zu enttarnen.

Die meisten bezahlten PR-Agenturen, die die Wikipedia verändern, tun dies, um Firmen oder Produkte in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Das hat als erstes den Effekt, dass die Glaubwürdigkeit von Wikipedia leidet, weil viele Leser nach der Entdeckung von PR-Artikeln die Enzyklopädie nicht mehr als seriöse Quelle betrachten. Und Autoren werden verschreckt, wenn ihre vielleicht mühsam erstellten Fach-Artikel innerhalb weniger Sekunden durch PR-Sprech ersetzt oder dementsprechend abgeändert werden. Sue Gardner schreibt, dass PR-artige Veränderungen an Unternehmens-Artikeln grundsätzlich immer ein schlechtes Licht auf die Firma selbst werfen.

Wiki-PR: Autoren haben Relevanzkriterien "falsch verstanden"

Die Firma Wiki-PR, die für die jüngsten Vorkommnisse verantwortlich sein soll, wehrt sich gegen die Vorwürfe. Gegenüber der Washington Times entschuldigt sich der Agentur-Leiter Jordan French erst einmal für das "PR" im Namen seiner Agentur und meint, dies wäre eine Fehlbezeichnung. Die Aufgabe seines Unternehmens sei es, Artikel zu recherchieren und zu schreiben. Seine Autoren seien stets bemüht, die von der Wikipedia vorgegebenen Regeln zu beachten. Allerdings hätten die Schreiber die Relevanzkriterien der Wikipedia mitunter "falsch verstanden". Bei der Agentur gehe es um bezahltes Schreiben und Editieren und nicht um das Durchdrücken von Interessen. Bei den Inhabern der Accounts würde es sich um "echte Personen" handeln, die "freiwillig in ihrer Freizeit" an der Wikipedia arbeiten.

Bei der Wikipedia gelten Quellen-Links in den Fußnoten als Beweis für die Richtigkeit von Informationen in Artikeln. Und hier hatte die Agentur ganz bewusst die Leser in die Irre geführt und Links auf Nachrichtenseiten gesetzt, bei denen jeder Artikel ungeprüft abliefern kann und die daher ebenfalls werbliche Artikel enthielten. Zum Teil hatten die Quellen-Links auch mit dem Inhalt des Wikipedia-Artikels gar nichts zu tun, gaben aber eine seriöse Quelle vor.

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