Hintergrund

Wikileaks: Das Informations-Leck im Internet

Journalisten und Blogger veröffentlichen brisante Dokumente
Von dpa / Björn Brodersen

Die Betreiber des Internetportals Wikileaks wollen brisante Dokumente aus anonymen Quellen öffentlich zugänglich machen. Dass der Name an Wikipedia erinnert, ist gewollt: Wie bei dem großen Mitmach-Lexikon kann jeder etwas veröffentlichen. Bei Wikileaks geht es speziell um geheime Dokumente, das englische Wort "leak" bedeutet "undichte Stelle".

Die Idee dahinter: Kritische Journalisten und Blogger sollen die geheimen Informationen aufgreifen und die Öffentlichkeit informieren. Die Informanten werden auch als "Whistleblower" (Hinweisgeber) bezeichnet. Die Macher von Wikileaks bezeichnen ihre Plattform als unzensierbar - eine komplexe technische Infrastruktur soll gewährleisten, dass die Dokumente nach Veröffentlichung nicht mehr zu löschen sind. Das Material gelangt auf unterschiedlichen Wegen zu den Mitarbeitern, am häufigsten über die Website Wikileaks.org.

Veröffentlichung von brisanten Dokumenten

Wikileaks: Das Informations-Leck im Internet Bild: Tomasz Trojanowski - Fotolia.com Zunächst nannte Wikileaks als primäres Ziel, "von Unterdrückung geprägte Regime" zu unterwandern. Schlagzeilen machen allerdings vor allem Veröffentlichungen aus der westlichen Welt. Zuletzt im April: Die Plattform veröffentlichte ein Video, in dem zu sehen war, wie US-Soldaten von einem Helikopter aus wehrlose Menschen auf dem Boden erschossen. Auch brisante Dokumente aus Deutschland stehen online - seit November 2009 etwa der einst unter Verschluss gehaltene Mautvertrag zwischen der Bundesregierung und dem Betreiberkonsortium Toll Collect. Über Jahre hatten Journalisten und Bundestagsabgeordnete vergeblich versucht, Einsicht in den Vertrag zu bekommen.

Mit ihrer Arbeit machen sich die Wikileaks-Aktivisten bei Regierungsbehörden und Streitkräften keine Freunde. Sie selbst und auch Experten gehen davon aus, dass die Organisation im Visier der Geheimdienste steht. Die meisten Mitarbeiter treten daher nur mit Pseudonym in die Öffentlichkeit. Renommierte Medien wie die Zeitungen "New York Times" und "Guardian" oder eben auch das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" greifen mittlerweile immer wieder auf Dokumente von Wikileaks zurück. Kritiker vermissen redaktionelle Kontrolle. Um keinen Fälschungen aufzusitzen, prüfen die Mitarbeiter alle Dokumente vor der Veröffentlichung, so gut sie eben können. Das entbindet Journalisten aber nicht von der Pflicht, selbst nachzurecherchieren.

Journalistischer Aktivismus

Die Wikileaks-Macher treten zwar für Transparenz ein, über sich selbst geben sie indes kaum etwas preis. Hinter dem Projekt steckt eine Non-Profit-Organisation namens The Sunshine Press - über die allerdings auch nicht viel bekannt ist. Die Organisation selbst erklärt, sie sei unter anderem von Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Anwälten ins Leben gerufen worden. Als führender Kopf von Wikileaks gilt der Aktivist Julian Assange.

Mit seinen schlohweißen Haaren sieht Julian Assange viel älter aus als 39 Jahre. Doch der Chef der Enthüllungsplattform ist ein Kind der siebziger Jahre. Als Jugendlicher wählte er sich mit seinem Heim-Computer, einem Commodore 64, nicht nur in Mail-Box-Systeme ein, sondern brach auch in Netzwerke von Unternehmen und Behörden ein. Schon damals hatte er amerikanische Militärrechner im Visier. Der Australier möchte sich heute nicht mehr "Hacker" nennen lassen. "Dieses Wort ist inzwischen vor allem mit der russischen Mafia verknüpft, die die Bankkonten Ihrer Großmutter plündern möchten", sagte Assange kürzlich auf der Medienkonferenz TED in Oxford. "Ich bin ein journalistischer Aktivist." "Großherzige Menschen schaffen keine Opfer, sie kümmern sich um Opfer", erläutert Assange seine Motive. "Ich selbst bin eher ein kämpferischer Typ. Zu meinen Stärken gehört nicht unbedingt die Fürsorge. Man kann sich aber auch um die Opfer kümmern, in dem man die Täter verfolgt." In die Kategorie "Täter" gehören aus Sicht von Assange auch die Militärs, die in Konflikten unbeteiligte Zivilisten töten.

Um Agenten der amerikanischen Heimatschutzbehörde aus dem Weg zu gehen, sagte der Australier erst vor zwei Wochen einen lange geplanten Auftritt auf einer Konferenz in New York ab. Dem Magazin "New Yorker" sagte er, er lebe zurzeit auf Flughäfen. Selbst in Europa fühlt Assange sich unter Beobachtung: "Wir haben hier in den letzten Monaten einige Vorfälle entdeckt", sagte der Wikileaks-Chef vor einer Woche der "Süddeutschen Zeitung".

Kritiker: Geheimniskrämerei schadet der Glaubwürdigkeit

Kritiker werfen Assange vor, mit einer großen Geheimniskrämerei die Glaubwürdigkeit des Enthüllungsnetzwerks Wikileaks zu unterlaufen. Der Wikileaks-Chef verteidigt seine Verschwiegenheit mit einem Hinweis auf den Schutz seiner Quellen. Andere Kritiker bemängeln einen zu lockeren Umgang mit den Persönlichkeitsrechten von Betroffenen. So seien mit der Veröffentlichung der E-Mails der US-Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin auch viele Menschen ins Visier der Öffentlichkeit geraten, die lediglich einen privaten Umgang mit Palin hatten.

Assange räumt ein, dass Wikileaks nicht jedes Geheimnis veröffentlichen darf. "Uns kommt es darauf an, um welche Information es sich handelt und ob eine Veröffentlichung dazu beitragen kann, einen Reformprozess in Gang zu setzen", sagte der Wikileaks-Chef auf der TED-Konferenz. Wenn Organisationen sich anstrengen, eine Information zu verbergen, sei dies ein gutes Indiz dafür, dass diese Information besser veröffentlicht werden sollte. Es gebe aber auch legitime Geheimnisse: "Ihre Unterlagen bei Ihrem Arzt gehören beispielsweise dazu."

In einem Artikel der "taz" hieß es über Wikileaks: "Konsequent zu Ende gedacht müsste irgendwann auf Wikileaks ein Dokument auftauchen, das die Namen der angeblich nur fünf Hauptamtlichen und um die 1 000 freien Mitarbeiter offenlegt."

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