Editorial: 14 Jahre alte Prospekte
Streit um den dritten Börsengang der Telekom
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14 Jahre alte Prospekte hebt normalerweise niemand mehr auf.
Es sei denn, es geht um einen Kauf, mit dem man sich den ganz großen
Traum erfüllt hat. Oder bei dem man ganz groß enttäuscht wurde. Wie
damals beim "dritten Börsengang" der
Deutschen Telekom. Wer beim ersten Börsengang
1996 für 28,50 DM (14,57 Euro) nicht zugeschlagen und
1999 auch den zweiten Börsengang für 39,50 Euro verpasst hatte, der
musste 2000 natürlich beim dritten Börsengang für 66,50 Euro zuschlagen.
Schließlich suggerierten die immer höheren Preise doch eines: Es kann
nur nach oben gehen!
Streit um den dritten Börsengang der Telekom
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Mit dem Platzen der dot-com-Blase rauschte in den folgenden Jahren
auch die T-Aktie in den Keller. Am 30. September 2002 erreichte
sie mit 8,42 Euro ihren Tiefststand. Seitdem ist der Kurs wieder
etwas gestiegen, vergangenen Freitag ging die T-Aktie
bei 12,71 Euro aus dem Handel. Das liegt weiterhin unter dem Kurs
des ersten Börsengangs. Man sollte aber nicht vergessen, dass seit dem
ersten Börsengang in Summe 10,14 Euro Dividende pro Aktie ausgeschüttet
wurde. Geld verloren haben die Aktionäre der ersten Stunde also
nicht. Reich geworden sind sie aber auch nicht, wenn sie die Aktie
gehalten haben. Wer von den Käufern des ersten Börsengangs seine
T-Aktien hingegen 1999 oder 2000 verkauft hat, der hat ein sehr gutes
Geschäft gemacht.
Ein sehr gutes Geschäft machte auch die Telekom beim zweiten Börsengang 1999, der ihr knapp 11 Milliarden Euro in die Kassen spülte. Leider hat sie dieses Geld nicht sonderlich gut verwendet, sondern für den kleinen US-Anbieter Voicestream und mehrere UMTS-Lizenzen überhöhte Preise bezahlt.
Beim dritten Börsengang der Telekom waren es nicht neue Aktien, die platziert wurden, sondern alte Aktien, die der Staat noch hielt. Folglich ging der Erlös - ca. 13 Milliarden Euro - nicht an die Telekom, sondern direkt an den Staat. Der einzige Fehler aus Sicht des Staates damals war, "nur" 200 Millionen Aktien zu platzieren, und nicht auch noch die weiteren 1,4 Milliarden T-Aktien, die Bund und KfW bis heute halten.
Die großen Verlierer im Aktien-Monopoly sind die, die 1999 oder 2000 gekauft und dann nicht rechtzeitig verkauft haben. Die konnten nach den Höchstständen vom März 2000 Monat für Monat zusehen, wie ihr Vermögen dahinschmolz. Parallel zum Schmelzen des Vermögens festigte sich bei einigen von ihnen die Überzeugung: Beim dritten Börsengang kann es nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Deswegen wird bis heute über den Prospekt dieses dritten Börsengangs vor Gericht gestritten.
dot-com-Hype
Wenn ein vorher schon großes Unternehmen wie die Telekom an der Börse binnen vier Jahren seinen Wert vervierfacht, dann hängt das normalerweise damit zusammen, dass ein großer Durchbruch erzielt wurde: Das kann die Entwicklung eines neuen Patents sein, oder die Erschließung neuer Märkte. Nun trägt die Telekom selber kaum zur Entwicklung von TK-Diensten bei, sondern kauft entsprechende Systeme von den Ausrüstern wie (damals vor allem) Siemens, Nokia, Ericsson oder Alcatel. Die Patente - und damit die Wertsteigerungen - liegen also bei letzteren. Und großartig neue Märkte hatte die Telekom auch nicht erschlossen - ihre teuer eingekauften Auslandsaktivitäten kompensierten kaum die durch die Deregulierung entstandenen Marktanteilsverluste im Inland.
Somit war der T-Kurs im Jahr 1999 und 2000 vor allem eines: heiße Luft. Die Anleger hatten riesige Erwartungen in die Telekommunikation und das gerade aufkeimende Internet. Letzteres war in den Jahrzehnten zuvor jährlich jeweils um 100 Prozent gewachsen - die Anleger erwarteten, dass es so weitergehen würde, und übersahen, dass schon bald Sättigungseffekte eintreten würden.
Doch wie soll ein Börsenprospekt in der Lage sein, derartige Hypes korrekt darzustellen? Keiner kann wissen, ob die Korrektur der Bewertungen zwei Wochen, zwei Monate, zwei Jahre oder doch erst zwei Jahrzehnte nach Drucklegung erfolgen wird. Folglich wurde vor Gericht in den Verfahren um Prospektfehler auch nicht um den dot-com-Hype gestritten. Sondern um die Bewertung von Immobilien und die korrekte Darstellung der Beteiligungen.
Die Sache mit der Immobilienbewertung - in den Medien wurde sie in den Folgejahren immer und immer wieder breitgetreten - ist nun endgültig vom Tisch. Zwar musste die Telekom den Wert ihres Immobilienvermögens in den Folgejahren tatsächlich nach unten korrigieren. Wie das Oberlandesgericht Frankfurt am Main feststellte, war das Vermögen zwar hoch, aber eben "nicht wesentlich zu hoch" angesetzt worden. Dieses wurde nun vom Bundesgerichtshof bestätigt.
Falsche Angabe der Beteiligungen
Schwerer wiegt jedoch, dass der Bundesgerichtshof feststellt, dass "selbst für einen bilanzkundigen Anleger bei der gebotenen sorgfältigen und eingehenden Lektüre des gesamten Prospekts nicht ersichtlich war, dass die Musterbeklagte die Sprint-Aktien nicht - wie im Prospekt dargestellt - verkauft, sondern im Wege der Sacheinlage auf ihre 100-prozentige Konzerntochter, die NAB Nordamerika Beteiligungs Holding GmbH (NAB), übertragen hat (sog. Umhängung)." In der Folge führt der Bundesgerichtshof auf, dass das zur Folge hat, dass die Anleger beim Lesen des Prospektes über die Risiken aus dem (rückblickend betrachtet überteuert zugekauften) Nordamerika-Geschäft getäuscht werden.
Das Verfahren ist nun an das Oberlandesgericht Frankfurt zurückverwiesen. Dieses muss nun klären, ob sich aus diesem Fehler auch eine Haftung ergibt. Auch dieses Urteil wird sicher erneut vor dem Bundesgerichtshof geprüft werden. Beides wird wieder Jahre dauern. Es ist eher unwahrscheinlich, dass es ein Endurteil gibt, bevor der Prospekt 20 Jahre alt geworden ist. Es deutet sich aber an, dass das Urteil zugunsten der Anleger ausfallen könnte. Für die Telekom ist das keine gute Nachricht.