Vodafone mahnte Handyboxx ab - Shop machte aber weiter
Wir haben über den Fall der Handyboxx, einem Handyshop in Bottrop (Nordrhein-Westfalen) berichtet, der in die Insolvenz ging, nachdem ein "Schneeballsystem" von Provisionen, Werbekostenzuschüssen und Sonderprovisionen aufgrund großer Kundennachfrage nicht mehr funktionierte. Kritiker berichten schon seit Jahren, dass dies eher die Spitze eines Eisbergs und kein Einzelfall sei.
Schon 2021 abgemahnt
Vor zwanzig Jahren entstand aus der ehemaligen Mannesmann Mobilfunk ("D2-Privat") die heutige Vodafone (zunächst Vodafone D2).
Foto: Picture Alliance / dpa
Wie uns Branchen-Insider Inan Koc und die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ, gehört zu Funke-Medien) ergänzend berichten, sei Handyboxx schon 2021 abgemahnt worden. Diese Abmahnung sei von Bünyamin Kaya unterschrieben worden (obwohl der Laden offiziell auf seine vom ihm geschiedene Ex-Ehefrau Vivien Kaya lief), das Spiel sei danach munter weiter gegangen.
Der Informant der WAZ kann belegen, dass der Betreiber von "Handyboxx" gegen die Unterlassungserklärung "mit Wissen des Konzerns" verstoßen habe. Diesen Vorwurf hat der Informant schon länger erhoben. Er zitiert dabei in endlosen Mails, die auch an Vodafone-Manager gingen (und teltarif.de vorliegen), zahlreiche weitere Fälle, wo andere Shops geschlossen wurden und wo sich Vodafone sogar von Vertriebspartnern getrennt habe, die dann später, so der Informant, wieder an anderer Stelle aktiv geworden seien.
Klare Unterlassungserklärung, aber...
In der erwähnten Erklärung sollte sich Handyboxx gegenüber der Vodafone GmbH verpflichten, „bei zukünftigen Vertragsvermittlungen keine Einzahlungen auf Kundenkonten der Vodafone Kunden mehr zu versprechen oder zu tätigen“ und "gegenüber den Kunden versprochene eigene Gutschriften als solche transparent zu machen und die Gutschriften im versprochenen Umfang den Kunden gewähren“.
Dabei dürfe der Laden nicht „den unzutreffenden Eindruck“ erwecken, dass Vodafone Rabatte auf seine Tarifpreise gewähren würde. Diese Forderung ist durchaus nachvollziehbar, weil ja sonst andere Kunden ähnliche Rabatte eingefordert hätten.
Durfte keine Zahlungen an Vodafone leisten
Nun schielen viele Kunden auf günstige Grundgebühren. Bei Auszahlung der Rabatte direkt an den Kunden wäre der Handyvertrag ja als "teuer" wahrgenommen und die Auszahlung vielleicht sofort für andere Anschaffungen verwendet worden. Das wusste der Shop-Betreiber und zahlte also weiter auf das jeweilige Vodafone-Kundenkonto ein. Bei Vodafone ist es z. B. möglich, auch Rubbelgutscheine für Prepaid-Karten auf ein Laufzeit-Vertragskonto einzuzahlen, in der Branche einmalig. Manche Kunden nutzen diese Möglichkeit gerne, um ihren Mobilfunkvertrag "abzusichern", damit sie nicht mit unerwarteten Abbuchungen vom vielleicht chronisch überlasteten Girokonto zu tun haben.
Die Unsitte Cashback
In der Branche ist aktuell mal wieder bei allen Anbietern und Produkten das "Cashback", also die Rückzahlung von Geld an den Kunden, in Mode. Man kauft einen Artikel zum Preis X, muss sich dann mit Rechnungskopie bei einem speziellen Dienstleister melden und bekommt dann irgendwann später das Geld in bar oder als vielleicht nur als Einkaufsgutschein zurück. Das Verfahren verschleiert die wahren Kosten, und heikle Kundendaten werden weit umher verteilt, was eigentlich nicht sein müsste.
Rabatte sind reizvoll
Beim Mobilfunk reizte der günstige Preis von z. B. 19 Euro im Monat, obwohl der Vertrag eigentlich 49 Euro kostete. Die fehlenden 30 Euro bekam der Kunde dann nicht auf sein eigenes Bankkonto, wie es korrekt gewesen wäre, sondern direkt auf sein Kundenkonto bei Vodafone überwiesen. Viele Kunden sind der gelernten Ansicht, dass Handyverträge viel zu teuer sind, und springen förmlich auf solche Angebote.
Die WAZ zitiert den Informanten, dass nach dem Unterzeichnen der Unterlassungserklärung noch mindestens 170 Daueraufträge an die Vodafone GmbH neu eingerichtet wurden, und die alten liefen so lange weiter, solange noch Geld da war. Herr Kaya wird zitiert mit dem Satz: "Ich sehe ein, dass ich das nicht machen durfte“, aber man habe ihn aufgefordert, das so zu machen.
Bei Vodafone werden diese Überweisungen als „Einzelfälle“ dargestellt, berichtet die Zeitung. Kenner der Szene können aber belegen, dass es sehr, sehr viele "Einzelfälle" gibt. Und Vodafone hätte von den Überweisungen wissen müssen. Eine E-Mail vom 19. Januar 2023 ging von Bünyamin Kaya mit angehängter Excel-Tabelle an den zuständigen Vodafone-Vertriebsbeauftragten, sie liegt dem Informanten vor.
Was ist ein "Vodafone Shop“?
Alle Verträge, die über Bünyamin Kara liefen, enthalten die Fußzeile „Ihr Vodafone Shop, Vivien Kara, ... 46236 Bottrop“ und wurden von Vodafone ausgefertigt. "Der Begriff 'Vodafone Shop' ist systemisch vorgegeben und berücksichtigt die Anforderungen von allen Vodafone-Vertriebskanälen“, erklärt das Unternehmen Vodafone dazu. Doch die meisten Shops gehören gar nicht Vodafone selbst, sondern werden von sogenannten Partneragenturen betrieben, die nur Vodafone-Produkte und Verträge verkaufen dürfen, und somit unter starkem Druck stehen, um ihre eigenen Kosten für Mieten und Personal wieder einzuspielen.
Kaya wurde angespornt
Der Informant legte WhatsApp-Chats vor: Vodafone-Mitarbeiter hatten den Shopbetreiber permanent motiviert. Der nahm ein Werbevideo auf für ein „mega geiles Angebot“: Ein Vertrag für monatlich 44,99 Euro, inklusive eines 600-Euro-Gutscheins. Im Video wurde das als „Dann zahle ich im Endeffekt ja nur 19,99 Euro" erklärt, was aber sachlich falsch ist. Der Kunde zahlt weiter 44,99 Euro monatlich und muss noch schauen, wo und wie er diesen "Gutschein" überhaupt verwenden kann, eine Barauszahlung ist nicht vorgesehen.
Frustrierte Kunden
Den Kunden, die in Bottrop unterschrieben haben und weder das versprochene Handy noch die Gutschriften bekommen haben, habe Vodafone laut der Zeitung eine "individuelle Lösung" versprochen. Die sei in der Praxis aber nicht so einfach umsetzbar, berichten Betroffene der Zeitung, da die Kundenhotline sich bislang "wenig kooperativ" gezeigt habe. Wahrscheinlich werden die Verträge der betroffenen Kunden auf Wunsch vorzeitig beendet, eine Nachlieferung des fehlenden Handys oder eine dauerhafte Rabattierung wird es wohl nicht geben, vermuten Kenner der Branche.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Viele Kunden empfinden Handyverträge als "zu teuer" und greifen nur noch zu, wenn der Preis günstig genug erscheint. Davon lebten Läden wie die Handyboxx. Welche Kalkulation im Hintergrund läuft, wie die Unternehmen oder Anbieter finanziell aufgestellt sind, interessiert die Kunden nicht. Hauptsache, ich muss wenig zahlen.
Das Provisionsprinzip verspricht Erfolg und Prämien, wenn möglichst viele Verträge "geschrieben" werden. Ob die Karte des Vertrages jemals zum Telefonieren oder Surfen genutzt oder nur zum Finanzieren von neuen Handys, Tablets, Laptops oder Waschmaschinen (sic!) verwendet werden, interessiert da niemand.
teltarif.de kennt genügend Fälle, wo ein Vodafone-Shop mehrere Verträge für den Kunden abschloss, damit der sein neues Handy möglichst günstig bekommen konnte. Teilweise wurden die SIM-Karten für diese Zweit- oder Drittverträge dem Kunden niemals ausgehändigt. Erst auf der nächsten Monatsrechnung konnte man dann die Rufnummern finden, die dem Kunden völlig unbekannt waren. Ein drastisch formuliertes Kündigungsschreiben (per Einschreiben mit Rückschein) beendete - nach Ende der Mindestlaufzeit - diesen Spuk.
Muss erst der Gesetzgeber noch die beliebte Kopplung von Handyvertrag und neuem Handy untersagen, damit die Branche mal aufwacht? Hätte ein generelles Verbot von längeren Laufzeiten als einen Monat (wie es vom Gesetzgeber geplant war) ab Datum der Unterschrift das Problem gelöst?
Zufriedene Kunden würden nicht kündigen. Solange aber permanent mit für den Anbieter unrentablen "Schnäppchen" geworben wird, findet dieses Vertrags- und Anbieter-Hopping statt. Langzeit-Kunden, die weder Anbieter noch Vertrag wechseln, bringen den Händlern halt gar nichts mehr.
Die "Airtime-Provision", die früher den Händler am Umsatz des Kunden beteiligte, ist verschwunden, weil Datenschützer Bedenken hatten, wenn der Händler mitbekommen hätte, wie viel der Kunde telefoniert oder surft, und außerdem ist das Thema im Zeitalter von Flatrates eh vorbei.
Bliebe eine rückwirkende Provision, die erst ausgezahlt wird, wenn der Kunde "unfallfrei" mindestens zwei Jahre dabei geblieben ist. Aber wovon sollen die Shops während der Übergangszeit leben? In vielen Ländern wurden Ein-Marken-Shops schon längst geschlossen. Die Kunden kaufen beim Netzbetreiber nur noch eine SIM-Karte (oft über das Internet). Das Handy kaufen sie in einem separaten Handyladen, der vielleicht nur Handys, aber gar keine Verträge mehr verkauft.
In Italien kauft man seine SIM-Karte für den Discount-Anbieter am Automaten. Dazu hält man seinen Personalausweis vor oder tippt am Gerät seine Kundendaten ein. Nach Freigabe rumpelt eine SIM-Karte in den Ausgabeschacht und die kann dann später ins Handy eingelegt werden. Die weitere Administration des Vertrages erfolgt rein online im Internet. Im Laden steht nur noch ein Wächter, der verhindern soll, dass frustrierte Kunden den Automaten beschädigen. Zum Angebot, seinen Bedingungen etc. kann der Wächter keine Auskunft geben.
Nicht nur die Telekom, auch Vodafone hat den Dienst SMS ins Festnetz eingestellt.