Schizophrenie?

Upload-Filter und Urheberrecht: Neuer Gesetzesentwurf für Sharing-Plattformen

Prof. Dr. Torsten J. Gerpott analy­siert den ersten Entwurf des Urhe­ber­rechts-Diens­te­an­bieter-Gesetzes zu Upload-Filtern auf großen Online-Platt­formen zum Teilen von Inhalten.
Von Torsten J. Gerpott

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Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Am 24. Juni 2020 veröf­fent­lichte das Bundes­mi­nis­te­rium der Justiz und für Verbrau­cher­schutz (BMJV) einen Diskus­si­ons­ent­wurf für ein zweites Gesetz zur Umset­zung der euro­päi­schen Richt­linie (RL) 2019/790 „über das Urhe­ber­recht und die verwandten Schutz­rechte im digi­talen Binnen­markt“ (Digital Single Market [DSM]-RL) in Deutsch­land. Nach Artikel 17 dieser RL sollen große Betreiber digi­taler Online-Platt­formen, auf denen Dritte geschützte Inhalte (Video, Foto, Audio, Text) öffent­lich zugäng­lich machen, prin­zi­piell für urhe­ber­recht­liche Verstöße ihrer Nutzer verant­wort­lich sein. Platt­form­be­trei­bern wie Youtube oder Face­book, soll aber die Möglich­keit einge­räumt werden, sich von dieser Haftung auf Scha­dens­er­satz und Unter­las­sung gegen­über den Rech­te­inha­bern durch beson­dere „Anstren­gungen“ zur Vermei­dung ille­galer Uploads zu befreien.

Angst vor „Over­blo­cking“

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Solche tech­ni­schen Maßnahmen, die nutzer­ge­ne­rierte Inhalte vor dem Hoch­laden auto­ma­tisch auf Urhe­ber­rechts­ver­let­zungen prüfen und gege­be­nen­falls sperren, wurden im Vorfeld der DSM-RL beson­ders intensiv und kritisch debat­tiert. Gegner der Maßnahmen, die um die Meinungs­frei­heit im Internet fürchten, ist es gelungen, für entspre­chende Systeme zur Klas­si­fi­ka­tion von digi­talen Inhalten in Abhän­gig­keit von der Wahr­schein­lich­keit der Verlet­zung von Urhe­ber­rechten den Begriff Upload-Filter populär zu machen und so einseitig das Risiko des fälsch­li­chen Blockie­rens legaler Inhalte (Over­blo­cking) gegen­über der Chance, geis­tiges Eigentum zu schützen, in den Vorder­grund zu rücken. Netz­ak­ti­visten machten während der Entste­hung der DSM-RL massiv Druck, um ein Verbot von Upload-Filtern zu errei­chen. Davon zeigte sich im April 2019 auch die Bundes­re­gie­rung beein­druckt. In einer Proto­koll­notiz zur DSM-RL versprach sie, Filter „weit­ge­hend unnötig zu machen“ (S. 5) – obwohl nicht zuletzt auch durch die RL für große Platt­form­be­treiber Upload-Filter alter­na­tivlos bleiben, wenn sie Haftungs­ri­siken nicht ausufern lassen wollen.

Entwurf Urhe­ber­rechts-Diens­te­an­bieter-Gesetz

Mit dem jetzt vorge­legten Entwurf für ein „Urhe­ber­rechts-Diens­te­an­bieter-Gesetz (UrhDaGE), das am 7. Juni 2021 in Kraft treten soll, erneuert das BMJV den Anspruch, dazu beizu­tragen, „die Anwen­dung von Filter­tech­no­lo­gien und dadurch verur­sachtes Over­blo­cking möglichst zu verhin­dern“ (Diskus­si­ons­ent­wurf, S. 35). Hierzu verbietet Para­graph 8 Platt­formen eine Sper­rung oder Löschung von Inhalten über ein „Pre-flag­ging“-Verfahren: Betreiber müssen es Anwen­dern vor dem Hoch­laden ermög­li­chen, „die Nutzung als vertrag­lich oder gesetz­lich erlaubt zu kenn­zeichnen“ (§ 8, Abs. 1 Nr. 2). Nicht klar regelt der Entwurf, ob Platt­form­be­treiber bei Nutzern, die gewünschte Kenn­zeich­nungen verwei­gern, ohne weiteres den jewei­ligen Upload blockieren dürfen. Die Betreiber haben bei koope­ra­tiven Nutzern deren Einstu­fung zu vertrauen – es sei denn, dass sie „offen­sicht­lich unzu­tref­fend“ (§ 8, Abs. 2, Satz 1) ist. Um Streit darüber, wann die Unbe­denk­lich­keits­er­klä­rung von Nutzern, nicht als glaub­haft anzu­sehen ist, entgegen zu wirken, gibt Para­graph 12 vor, dass von einem falschen Pre-flag­ging ausge­gangen werden darf, wenn der Upload „zu mindes­tens 90 Prozent mit ... [von Dritten entlehnten] Infor­ma­tionen über­ein­stimmt“ (§ 12, Satz 2).

Sieht man davon ab, dass die 90-Prozent-Grenze unbe­gründet vom Himmel fällt, so hat das BMJV eine ausge­wo­gene Lösung zur Umset­zung von Artikel 17 der DSM-RL gefunden. Der Gesetz­ent­wurf versucht der Angst von Netz­fun­da­men­ta­listen vor einem Over­blo­cking durch vier zusätz­liche Rege­lungen entge­gen­zu­treten. Erstens werden in Para­graph 5 öffent­liche Wieder­gaben von Zitaten, Kari­ka­turen, Parodien und Pasti­ches als „maschi­nell nicht über­prüf­bare gesetz­lich erlaubte Nutzungen“ einge­stuft. Zwei­tens werden in Para­graph 6 unter der Über­schrift „maschi­nell über­prüf­bare gesetz­lich erlaubte Nutzungen“ nicht gewerb­liche Baga­tell-Uploads (Video oder Audio: bis zu 20 Sekunden, Text: bis zu 1.000 Zeichen, Foto/ Grafik: bis zu 250 KB) – wiederum ohne auch nur ein Wort zur Erklä­rung der Grenz­werte für diese Nutzungs­fälle zu verlieren – mit der Maßgabe gestattet, dass der Betreiber – und nicht etwa der Platt­form­nutzer – an die Urheber „eine ange­mes­sene Vergü­tung für die öffent­liche Wieder­gabe“ (§ 7, Abs. 1, Satz 1) zahlt. Drit­tens können sich Nutzer gegen Sper­rungen bei Betrei­bern beschweren, bei denen hier­über inner­halb einer Woche von unpar­tei­ischen „natür­li­chen Personen“ (§ 14, Abs. 3) Entschei­dungen zu fällen sind. Vier­tens können Platt­formen, die wieder­holt „fälsch­li­cher­weise erlaubte Nutzungen“ (§ 19, Abs. 4) blockieren, im Weg einer Verbands­klage auf Unter­las­sung ange­halten werden. Diese Sank­tion wirkt, ebenso wie der Ausschluss von der Platt­form­nut­zung „für einen ange­mes­senen Zeit­raum“ (§ 19 Abs. 1 und 3) bei mehr­fach fälsch­li­chem Pre-flag­ging oder halt­losem Bean­spru­chen von Rechten, zu harmlos. Wenn ernst­haft vor Miss­brauch abge­schreckt werden soll, dann darf man sich nicht scheuen, entspre­chende Straf­zah­lungen unter Nennung konkreter Beträge einzu­führen.

Verne­be­lung der Sach­lage durch Bundes­re­gie­rung

Das BMJV verne­belt mit der Glie­de­rung der beiden explizit erlaubten Upload-Fall­klassen in „maschi­nell nicht über­prüfbar“ und „maschi­nell über­prüfbar“ aller­dings die Sach­lage. Bei welt­weiten Video-Upload-Volu­mina von mehreren hundert Stunden pro Minute ist Jeder­mann einsichtig, dass es für Youtube und andere große Platt­formen zur Vermei­dung von Rechts­ver­let­zungen sinn­voll ist, wie auch bisher, Soft­ware­sys­teme einzu­setzen, die auto­ma­tisch sämt­liche Uploads daraufhin analy­sieren, wie wahr­schein­lich es ist, dass sie Verstöße gegen Urhe­ber­rechte beinhalten. Da das neue Gesetz Platt­for­m­an­bieter letzt­lich aber nicht dazu zwingt, Filter­al­go­rithmen einzu­setzen, steht es auch nicht im Wider­spruch zu Para­graph 7, Absatz 2 des Tele­me­di­en­ge­setzes, gemäß dem Platt­for­m­an­bie­tern keine allge­meine Pflicht aufer­legt werden darf, Nutzer-Inhalte „zu über­wa­chen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechts­wid­rige Tätig­keit hinweisen.“

Dass den Parteien der Regie­rungs­ko­ali­tion der Mut fehlt, offensiv der Öffent­lich­keit zu verdeut­li­chen, mit dem UrhDaG-E – konform zum EU-Rechts­rahmen – großen Platt­formen unver­än­dert den Spiel­raum dafür zu belassen, mit Augenmaß Upload-Filter einzu­setzen, verdeut­licht eben­falls ein Tweet der SPD-Vorsit­zenden vom 24. Juni 2020: In ihm versteigt sich Saskia Esken, der es bislang erfolg­reich gelungen ist, ihre beson­dere netz­po­li­ti­sche Kompe­tenz in den Hinter­grund treten zu lassen, zu der irre­füh­renden These, dass man bei der Umset­zung von Artikel 17 der DSM-RL einen „weitest gehenden Verzicht auf Upload-Filter“ erreicht habe. Auf ein auto­ma­ti­siertes Filtern könnten die großen Diens­te­an­bieter theo­re­tisch zwar dann verzichten, wenn es sich bei den von ihnen veröf­fent­lichten Uploads ausschließ­lich um die eng defi­nierten Baga­tell-Nutzungen handeln würde. Bereits kurze Besuche der Internet-Präsenzen großer Platt­formen offen­baren jedoch, dass diese Bedin­gung in der Praxis nicht erfüllt ist.

Alles in allem ist die Kommu­ni­ka­tion der Regie­rungs­par­teien im Bund bei Upload-Filtern im Zusam­men­hang mit der Umset­zung von Artikel 17 der DSM-RL kein Beispiel für aufrich­tige Öffent­lich­keits­ar­beit. Die mutlose Kommu­ni­ka­tion ist umso unver­ständ­li­cher, als dass mit dem UrhDaG-E ein guter Weg einge­schlagen wurde, um auf Upload-Platt­formen den Schutz der Rechte von Inhal­te­pro­du­zenten und -pake­tie­rern gegen­über markt­mäch­tigen und hoch­pro­fi­ta­blen Konzernen wie Google, Face­book, Amazon oder Apple zu verbes­sern, ohne damit das Ende des freien Inter­nets in demo­kra­tisch verfassten Welt­re­gionen einzu­läuten. Die defen­sive Argu­men­ta­tion lässt gar den Eindruck leichter Schi­zo­phrenie aufkommen, weil dieselben Poli­tiker im Zusam­men­hang mit der Bekämp­fung von Hass­kri­mi­na­lität und Rechts­ex­tre­mismus in sozialen Online-Medien, Diens­te­an­bie­tern den Einsatz von Upload- Filter­al­go­rithmen faktisch aufer­legen, um rechts­wid­rige Inhalte melden und ihre Veröf­fent­li­chung abstellen zu können.

Zur Person

Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehr­stuhl für Unter­neh­mens- und Tech­no­lo­gie­pla­nung an der Mercator School of Manage­ment Duis­burg der Univer­sität Duis­burg-Essen.

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