Editorial: Dreimal durchgefallen
Ganz so klapprig werden Basistationen in Deutschland in der Regel zum Glück nicht aufgebaut.
Foto: teltarif.de
Wenn die aktuelle Corona-Krise ein Gutes hat, dann ist es die Nachricht,
dass der Staat wieder lernt, sich gegen die Industrie, die meist ohne
Auflagen und Einschränkungen wirtschaften will, zugunsten der Bevölkerung
auch mal wieder durchzusetzen. Beim Diesel-Skandal, wo die
Automobilhersteller massenhaft illegale Abschalteinrichtungen für die
Abgasreinigung verbaut hatten, war das noch nicht gelungen. Statt
klarer Regeln zur Hardware-Nachrüstung ausreichend dimensionierter
dauerfunktionsfähiger Filter, alternativ die Rücknahme der nicht
zulassungsfähigen Autos, gab es einen windelweichen Kompromiss zu ein
paar Software-Updates. Am Ende waren bzw. sind die Diesel-Käufer die
Leidtragenden, die von immer mehr Diesel-Fahrverboten betroffen sind.
Beim Corona-Virus muss sich der Staat hingegen durchsetzen, andernfalls muss die Armee wie in Bergamo aushelfen, die Särge der Seuchenopfer abzutransportieren.. Konkret heißt das: Die Kontaktverbote bleiben überwiegend bestehen, viele Geschäfte geschlossen und Großveranstaltungen abgesagt, solange das Virus weiterhin tausendfach in Deutschland grassiert. Und beim Mobilfunk heißt es: Alle drei Netzbetreiber müssen nachrüsten, wenn sie ihre LTE-Lizenzen behalten wollen. Denn keiner hat die ab 2020 geltende Versorgungsverpflichtung erfüllt, an die die 2015er Frequenzversteigerung gekoppelt war: 98 Prozent der Bevölkerung deutschlandweit bzw. 97 Prozent der Bevölkerung auch im am schlechtesten versorgten Bundesland, sowie 100 Prozent der Autobahnen und wichtigsten Schienenwege.
Mit nur 80 Prozent Versorgung liegt Telefónica/o2 abgeschlagen auf dem letzten Platz und weit, weit hinter dem Versorgungsziel. Die o2-Funklöcher sind zusammengenommen zehnmal größer, als sie sein dürften. Der aus der Fusion der beiden Mobilfunkanbieter E-Plus und o2 (ehemals Viag Interkom) hervorgegangene Anbieter wird also nicht umhinkommen, sein Netz nochmals kräftig auszubauen. Hoffentlich gelingt es CEO Markus Haas, die dafür nötigen Gelder beim Mutterkonzern in Spanien lockerzumachen. Und hoffentlich gelingt es Haas nicht, über inoffizielle Kontakte zur Bundesnetzagentur letztere davon zu überzeugen, bei der nächsten Überprüfung der Versorgungsauflagen vielleicht nicht ganz so genau zu prüfen wie bei der letzten.
Aber auch die beiden alteingesessenen Anbieter Deutsche Telekom und Vodafone haben geschlampt und müssen nachsitzen, äh, nachrüsten. Beide haben sowohl noch gewisse Lücken bei den Autobahnen und Schienenwegen, als auch das 97-Prozent-Ziel in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland knapp verfehlt. Vodafone hat die 97-Prozent-Hürde zudem auch in Hessen gerissen. Im Vergleich zu o2, die von 80 auf 98 Prozent aufrüsten müssen, scheint es bei den beiden alteingesessenen Anbietern aber "nur" noch um die jeweils letzten Lückenschüsse zu gehen.
Der Teufel steckt im Detail - und in der Angst der Bevölkerung
Ganz so klapprig werden Basistationen in Deutschland in der Regel zum Glück nicht aufgebaut.
Foto: teltarif.de
Das Wort "nur" steht bei den Lücken von Telekom und Vodafone in
Anführungszeichen, weil, was auf dem Papier einfach aussieht, in der
Praxis dennoch schwer sein kann. Wenn ein Landkreis partout keine neuen
freistehenden technischen Einrichtungen (egal, ob Fabrikschornsteine,
Funkmasten, Windräder oder Hochspannungsleitungen) genehmigt, der
einzige bestehende Funkmast schon bis zur Belastungsgrenze mit Antennen
bestückt ist und der langjährige Mietvertrag für die Basisstation in
der Kirchturmspitze von der Kirche bereits gekündigt ist und demnächst
ausläuft, dann müssen natürlich neue Standorte her. Nur: Immer dann,
wenn sich ein Netzplaner eines der drei Netzbetreiber mit einem der
Eigentümer der anderen hohen Gebäude in der Region trifft, dann
bekommen die Mobilfunkgegner Wind davon, und fangen an, die Bewohner
oder Gewerbetreibenden ebendieser Gebäude über die Gefahren der
Mobilfunkstrahlung "aufzuklären". Wenn dann laufend besorgte Mieter
beim Eigentümer anrufen und nachfragen, ob die Basisstation auf dem
Dach wirklich kommen wird, dann gibt der Eigentümer den Plan, sich ein
paar tausend Euro im Monat dazuzuverdienen, ganz schnell wieder auf.
Nun nimmt die Smartphone-Nutzung auch in den Regionen, in denen die Mobilfunkgegner neue Standorte systematisch verhindern, dennoch zu, und damit auch die Auslastung der bestehenden Antennen. Der effektive Radius der Mobilfunkzellen nimmt aber mit zunehmender Auslastung ab. Das Funkloch wächst also ganz von alleine, auch ohne, dass die Netzbetreiber Standorte verlieren wie die genannte Kirchturmspitze.
Indem sie an den bestehenden Funkmasten alte Antennen durch moderne ersetzt, können die Netzbetreiber sicher ein paar Reserven herausholen. Zaubern kann man damit aber nicht, insbesondere keine großflächigen Funklöcher füllen.
Klare Ausbauregeln nötig
Nötig sind klare Regeln. Entweder sagt der Staat: "Ich habe die Lizenzen vergeben, die Frequenzen dürfen bei Einhaltung der Standards, insbesondere der Emissionsgrenzwerte, auch benutzt werden. Alle Gemeinden sind verpflichtet, auf Nachfrage der Netzbetreiber diesen geeignete Grundstücke zu regulierten Preisen anzubieten, auf denen diese dann ihre Anlagen bauen können". Oder der Staat erklärt: "Weist ein Netzbetreiber nach, dass trotz ernsthafter Bemühungen in einer Region die Akquise eines geeigneten Standorts auf dem freien Markt nicht möglich ist, dann verfällt die Mobilfunklizenz für ebendiese Region. Die Lizenzkosten werden vom Staat für diese Region anteilig und rückwirkend zurückgezahlt, gleichzeitig entfällt für diese Region die Versorgungsverpflichtung."
Es gibt gute Argumente für beide Varianten: Die erste entspricht der Durchsetzung geltenden Bundesrechts, notfalls auch gegen die politischen Interessen einzelner Gebietskörperschaften. Die zweite Variante gibt hingegen den Gemeinden und Landkreisen entsprechend mehr Autonomie. Um zumindest einen Anreiz zu schaffen, dennoch Mobilfunkmasten zu dulden, könnte der Staat zum Beispiel die Subventionen für den gerade auf dem Land stark erwünschten und von den Mobilfunklizenzen bezahlten Festnetz-Ausbau an ebendiese Duldung koppeln: Landkreise, in denen sich die Genehmigung von Mobilfunkmasten ungewöhnlich lange hinzieht, bekommen dann eben auch keine Festnetz-Subventionen mehr zugeteilt.
Es ist gut, dass sich der Staat gegen die Lobby der Netzbetreiber durchgesetzt hat und die mangelhafte Versorgung offiziell attestiert hat. Es wäre jetzt noch besser, wenn der Staat nun auch die Vorraussetzungen schafft, dass Telefónica/o2 die zahllosen noch fehlenden Standorte auch aufbauen kann, oder alternativ eben in den Regionen, wo das wirklich nicht geht, die entsprechenden Verpflichtungen zurücknimmt. Was von beidem passieren soll, sollte von der Politik trotz des aktuellen Fokus auf die Corona-Krise schon bald entschieden werden. Denn wenn diese Entscheidung unterbleibt, dann wird Telefónica/o2 wegen der vielen Widerstände in der Bevölkerung nicht den vorgeschriebenen Netzausbau erreichen. In der Folge werden sie gegen die amtliche Feststellung, dass sie es nicht geschafft haben, Klage einreichen. Dann entscheiden zwar in fünf bis zehn Jahren die Gerichte, aber bis dahin bleibt der Netzausbau eine Hängepartie - zum Nachteil aller.