National Routing

EU hält nichts von abgeschottetem Internet in Deutschland (Update)

Justizsenator: Strenge Überprüfung von Geheimdienst-Befugnissen
Von mit Material von dpa

Neelie Kroes hält nichts von abgeschottetem Internet in Deutschland Neelie Kroes hält nichts von abgeschottetem Internet in Deutschland
Bild: teltarif.de - Martin Müller
EU-Digitalkommissarin Neelie Kroes hält nichts von einem ab­ge­schottetem Internet in Deutschland. Die Telekom hatte vorgeschlagen, eine nationale Cloud und sogar ein nationales Internet zu schaffen. Laut Kroes mache es aber keinen Sinn, 28 Clouds in Europa zu haben.

Die Kommissarin hat indessen die Ent­hüllungen des früheren US-Ge­heim­dienst­mitar­beiters Edward Snowden begrüßt. "Über seine Methoden kann man sicher streiten. Aber dass diese Infor­mationen publik sind, ist durchaus hilfreich", sagte sie dem Hamburger Nach­richten­magazin "Der Spiegel". "Die Snowden-Affäre hat uns allen gezeigt, dass wir endlich aufwachen müssen", ergänzte Kroes. "Wir brauchen eine starke europäische IT-Industrie - und wir müssen schlicht besser aufpassen, was mit unseren Daten angestellt wird."

Neelie Kroes hält nichts von abgeschottetem Internet in Deutschland Neelie Kroes hält nichts von abgeschottetem Internet in Deutschland
Bild: teltarif.de - Martin Müller
Die Telekom hatte vor einigen Tagen anlässlich der NSA-Schnüffelei die Idee ins Spiel gebracht, den Internetverkehr über die USA und Großbritannien so gut wie möglich zu reduzieren. Das so genannte "National Routing" soll so funktionieren, dass E-Mails, Downloadanfragen, http-Aufrufe und andere Datenpakete nicht mehr den Weg über ausländische, sondern nur noch über innerdeutsche Internet-Knotenpunkte nehmen. Dies würde dann auch die Anbieter deutscher Cloud-Dienste stärken, da man den Cloud-Nutzern dieses National Routing natürlich nur bei der Verwendung deutscher Cloud-Dienste zusichern könnte, nicht aber bei US-amerikanischen Diensten wie Dropbox, Google Drive oder Microsoft Skydrive.

"Ich verstehe ja, wenn Deutschland seine hohen Sicherheitsstandards besser vermarkten will", kommentierte Neelie Kroes diese Pläne gegenüber dem Magazin. "Aber es macht keinen Sinn, bald 28 Clouds in Europa zu haben, das wäre ein Fehler. Wir können den globalen Markt nicht erobern, wenn wir unsere Daten in nationalen Grenzen einsperren."

Europa soll mit einer Stimme gegenüber der NSA auftreten

Mit den bisherigen Reaktion der Kommission auf die NSA-Enthüllungen ist die Kommissarin nicht gerade zufrieden, hat aber das Problem, dass auch innerhalb Europas sich Staaten und Geheimdienste untereinander bespitzeln. "Es hilft natürlich nicht unserer Glaubwürdigkeit, wenn offenbar das EU-Mitglied Großbritannien das EU-Mitglied Belgien bespitzelt, selbst – oder gerade – wenn es nach britischem Recht legal sein sollte", resümierte Kroes. "Wenn wir uns in Europa nicht mal auf eine gemeinsame Abwehrstrategie gegen Cyber-Attacken verständigen können, wie sollen wir dann mit einer Stimme gegenüber der NSA auftreten?"

Nach "Spiegel"-Informationen überwacht der amerikanische Geheimdienst NSA auch den südlichen Nachbarn Mexiko umfassender als bislang bekannt. Aus Dokumenten Snowdens gehe hervor, dass es einer Spezialabteilung der NSA bereits 2010 gelungen sei, unter anderem den E-Mail-Account des damaligen Präsidenten Felipe Calderón zu hacken. Auch den heutigen Präsidenten Enrique Peña Nieto soll die NSA bereits während seiner Wahlkampfphase überwacht haben.

Update 16:00 Uhr: Befugnisse und Praxis der Geheimdienste genau prüfen

Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) hat sich klar für eine strenge Überprüfung von Befugnissen und Praxis der in Deutschland tätigen Geheimdienste ausgesprochen. "Schon jeder Anschein einer Gesetzesverletzung ist ein Problem", schrieb Heilmann in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung". Das gelte auch für staatliche Institutionen befreundeter Demokratien, betonte Heilmann und bezog damit Position gegen die Ausspähungen des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA. "Was die NSA offenbar tut, ist in Deutschland verboten", heißt es im Beitrag des CDU-Politikers.

Zwar könne diese Frage der Überwachung der Geheimdienste nur international beantwortet werden, "das sollte uns aber nicht daran hindern, in Deutschland zu beginnen und die gesetzlichen Befugnisse unserer Geheimdienste und deren Praxis genau anzuschauen". Klar sei, den Parlamenten dürfe "die Vorherrschaft über die Ermächtigung jeden staatlichen Eingriffs in keinem Fall genommen werden".

An die künftige Bundesregierung stellte der Justizsenator die Forderung, mit einem umfassenden Plan drei Gefahrenquellen für die Datensicherheit auszutrocknen: unseriöse Verkäufer, fremde Geheimdienste und kriminelle Hacker. Kriminelle tarnten sich als Bank oder Verkäufer im Netz, stellten öffentliche WLAN-Netze auf ihre Rechner um und läsen die Daten aller angeschlossenen Rechner. Um ihnen auf die Schliche zu kommen, sei die halbjährige Speicherung von Daten bei Telekommunikationsunternehmen auch künftig unerlässlich.

"Jeder private Internetnutzer in Deutschland wird im Schnitt um mehr als 200 Euro im Jahr betrogen", schreibt Heilmann und beruft sich auf einen Bericht des CRIM-Komitees im Europäischen Parlament, der Schäden von Cyber-Kriminalität mit 290 Milliarden Euro beziffert.

Mehr zum Thema Überwachung