Julian Assange

Editorial: Doppelte Überwachung

Eine spani­sche Sicher­heits­firma verkauft Über­wachungs­daten illegal weiter und verhin­dert so die Frei­heit von Julian Assange
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Julian Assange, Gründer von WikiLeaks, lebte lange in der Botschaft von Ecuador in London Julian Assange, Gründer von WikiLeaks, lebte lange in der Botschaft von Ecuador in London
Foto: Picture Alliance / dpa
Die Berichte über den Vortrag von Andy Müller-Maguhn auf dem 36. Chaos Commu­nica­tion Congress lesen sich wie ein Spio­nage­krimi: Gleich mehrere Geheim­dienste und Regie­rungen haben Inter­esse an der Über­wachung der Ziel­person. Obwohl diese zu zahl­reichen Gegen­maßnahmen greift und so tatsäch­lich mehrere Lausch­angriffe erfolg­reich abwehrt, siegt am Ende der US-Geheim­dienst und verhin­dert die geplante Flucht der gesuchten Person. Eine Sicher­heits­firma, die für (mindes­tens) zwei Auftrag­geber arbei­tete, spielt dabei eine beson­dere Rolle. Letzend­lich ein Fall von Doppel­spio­nage zum Nach­teil der Ziel­person.

Die über­wachte Person war Julian Assange, Gründer der Enthül­lungs­platt­form Wiki­leaks. Assange hatte 2010 durch die Veröf­fent­lichung von Bradley Manning gele­akten geheimen Doku­menten und Videos zu den US-Mili­tärein­sätzen im Irak und in Afgha­nistan den Ärger der US-Admi­nistra­tion auf sich gezogen. Insbe­sondere zeigte ein Video schwere Menschen­rechts­verlet­zungen, nämlich tödliche Schüsse auf wehr­lose Zivi­listen. Eine offi­zielle Anklage durch die USA gegen Assange folgte jedoch zunächst nicht.

Durch weniger ehren­wertes Verhalten handelte sich Assange im August 2019 auch noch Anzeigen wegen Verge­walti­gung und sexu­eller Nöti­gung in Schweden ein: Zwar waren beide Frauen, die ihn anzeigten, nach eigener Aussage jeweils zu Sex mit Assange bereit gewesen, hatten aber auf der Benut­zung eines Kondoms bestanden. Bei der ersten Frau war dann während des Geschlechts­verkehrs - mögli­cher­weise aufgrund einer Mani­pula­tion durch Assange - das Kondom gerissen, und Assange weigerte sich anschlie­ßend, ein neues Kondom über­zustreifen oder den Sex abzu­brechen. In die zweite Frau drang er von vorn­herein unge­schützt ein, während sie schlief. Vorher hatte sie ihn wieder­holt zu Sex mit Gummi aufge­fordert gehabt. Einem von beiden Frauen nach­träg­lich verlangten HIV/AIDS-Test verwei­gerte sich Assange, worauf die Frauen dann Anzeige erstat­teten. Entspre­chendes Verhalten wäre wohl auch nach aktu­ellem deut­schen Sexu­alstraf­recht ("nein heißt nein") strafbar: Weiter­zuma­chen, obwohl die Frau den Abbruch verlangt, ist sicher nicht richtig.

Flucht nach Groß­britan­nien

Julian Assange, Gründer von WikiLeaks, lebte lange in der Botschaft von Ecuador in London Julian Assange, Gründer von WikiLeaks, lebte lange in der Botschaft von Ecuador in London
Foto: Picture Alliance / dpa
Während sich das schwe­dische Verfahren noch in der Anhö­rungs­phase befand, reiste er nach Groß­britan­nien. Dort ereilte ihn dann ein inter­natio­naler Haft­befehl aus Schweden. Assange wurde verhaftet, kam während des Auslie­ferungs­verfah­rens aber zunächst auf Kaution und gegen Auflagen (u.a. Tragen einer elek­troni­schen Fußfessel) frei. Sein Wider­spruch gegen die Auslie­ferung nach Schweden wurde jedoch abge­lehnt. Bevor Assange erneut verhaftet werden konnte, floh er in die ecua­doria­nische Botschaft, die ihm von 2012 bis 2019 Asyl gewährte.

Selbst, als die Vereinten Nationen im Dezember 2015 die Situa­tion von Assange als "will­kürliche Verhaf­tung" geißelten, waren weder Schweden noch Groß­britan­nien bereit, die Haft­befehle aufzu­heben und Assange ziehen zu lassen. Haupt­grund für die UN-Entschei­dung war, dass es nach schwe­dischem Sexu­alstraf­recht keine Möglich­keit gibt, das Verfahren auch in Abwe­senheit des Beschul­digten weiter­zuführen oder alter­nativ zumin­dest einen Wider­spruch gegen den Haft­befehl gericht­lich zu verhan­deln. Assange war damit vom Rechtsweg in Schweden komplett abge­schnitten.

Durch sein Asyl in der ecua­doria­nischen Botschaft war Assange formal zwar noch in Frei­heit, real aber trotzdem gefangen. Wieder­holt weigerte er sich, sich fest­nehmen und nach Schweden auslie­fern zu lassen, um dort seine Strafe abzu­sitzen, was ihn wahr­schein­lich weniger Lebens­zeit gekostet hätte als das Botschafts-Exil, da Schweden aufgrund der gene­rellen Bereit­schaft der Frauen zum Geschlechts­verkehr wohl jeweils von einem minder schweren Fall der sexu­ellen Nöti­gung bzw. Verge­walti­gung ausging. Als Argu­ment für die Weige­rung nannte Assange stets die Gefahr, dass er nach Verbü­ßung der Strafe in Schweden von dort an die USA ausge­liefert werden könnte.

Auch wenn viele Assanges Angst in der Vergan­genheit als unbe­gründet abgetan haben, hat sie sich im Nach­hinein als berech­tigt heraus­gestellt. So been­dete Ecuador nach einem Regie­rungs­wechsel das Botschafts­asyl und ermög­lichte Groß­britan­nien die Verhaf­tung von Assange in der Botschaft. Und während Schweden die Anklage zwischen komplett fallen­gelassen hat, sitzt Assange weiter in briti­scher Auslie­ferungs­haft in der Isola­tions­zelle - wegen eines Auslie­ferungs­gesuchs der USA. Dort droht ihm wegen schweren Geheim­nisverrat eine lange Haft­strafe.

Über­wachung

Nun zum Inhalt des CCC-Vortrags, wie ihn Fefe und heise schil­dern: Während seines Botschafts­aufent­halts hatte Ecuador die spani­sche Sicher­heits­firma Under­cover Global mit der Über­wachung Assanges beauf­tragt. Von der Firma wurden zunächst Kameras ohne Mikro­fone instal­liert. Zudem wurden Besu­cher Assanges scharf kontrol­liert und beispiels­weise deren Pässe komplett kopiert. Alle Maßnahmen dienten sicher­lich zum einen tatsäch­lich der Sicher­heit Assanges, sodass beispiels­weise kein Mörder zu ihm gelangen konnte. Die Maßnahmen dienten aber offen­sicht­lich von Anfang an auch der Über­wachung Assanges, zu dem Ecuador wohl nur ein einge­schränktes Vertrauen hatte.

Assange wusste, dass nicht nur Ecuador, sondern auch die USA an seiner Über­wachung inter­essiert waren, und versuchte diese durch Gegen­maßnahmen zu verhin­dern. So instal­lierte er Rausch­gene­ratoren im Konfe­renz­raum und rich­tete die Laut­spre­cher auf die Fens­terscheiben, sodass es nicht möglich war, das im Raum gespro­chene Wort per Laser von den Fens­terscheiben abzu­greifen. Manche Gespräche verlegte er sogar ins Bade­zimmer und ließ die Dusche laufen. So konnten die USA anfangs tatsäch­lich nicht mithören.

Mit einem Honorar von 200 000 US-$ im Monat "über­zeugte" die CIA jedoch schließ­lich Under­cover Global, auch für sie tätig zu werden. Unter einem Vorwand ersetzten sie die bishe­rigen Kameras durch neue mit höherer Auflö­sung und Mikrofon. Im Konfe­renz­raum verwanzten sie sogar einen Feuer­löscher. Mit dieser Wanze gelang es der CIA, die bereits vorbe­reitete Flucht Assanges zu verhin­dern: 2017 hatte Schweden die Ermitt­lungen gegen Assange einge­stellt und den Haft­befehl aufge­hoben. Ecuador hatte daraufhin (noch unter der alten Regie­rung) einen Diplo­maten­pass für Assange und eine Abbe­rufung an eine andere Botschaft ausge­stellt. Beide hätten wahr­schein­lich gereicht, damit Assange trotz des Verge­hens in Groß­britan­nien (Verlet­zung von Kauti­onsauf­lagen) das Land verlassen kann. Doch post­wendend lag am nächsten Tag ein inter­natio­naler Haft­befehl der USA vor.

Ans Licht kamen die Machen­schaften wohl deswegen, weil Mitar­beiter von Under­cover Global, die sich bei der Vertei­lung des CIA-Hono­rars über­gangen fühlten, gegen­über der spani­schen Staats­anwalt­schaft gesungen haben. Es bleibt abzu­warten, was noch alles ans Licht kommt.

Über­wachung schadet.

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