verkuppelt?

Editorial: Böses Tinder!?

Ist Dating via App besonders gefährlich? Oder verzerrt die Medienaufmerksamkeit für bestimmte Taten und Tathergänge die Wirklichkeit?
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Date im Restaurant Nicht immer führen Tinder, Badoo und Co. zu einem schönen Date
Fotolia © Monkey Business
Eine aktuelle dpa-Meldung wirft wieder mal ein Licht darauf, wie unsere Medien funktionieren: Wenn etwas Böses mit Hilfe eines gehypten Internet-Dienstes oder einer gehypten App passiert, läuft die zugehörige Meldung um die Welt. Hingegen schaffen es vergleichbare "gewöhnliche" Straftaten nur bis ins Lokalblatt - selbst, wenn sie für die Opfer ähnlich gravierend sind.

Nun, in Neuseeland war ein 28-Jähriger von zwei Teenagern (einem 15-jährigen Mädchen und einem 14-jährigen Jungen) via der Dating-App "Tinder" in die Falle gelockt worden. Statt des versprochenen Dates mit einem jungen Mädchen gab es einen Überfall. Der 28-Jährige wurde mit Messern attackiert. Er konnte sich aber offensichtlich befreien und wurde schwerverletzt mit einer tiefen Wunde unterhalb des Schlüsselbeins ins Krankenhaus eingeliefert. Immerhin waren die Verletzungen dem Bericht zufolge nicht lebensgefährlich - Lunge oder Herz sind also anscheinend nicht getroffen worden. Die beiden Teenager konnten kurze Zeit später festgenommen worden.

Date im Restaurant Nicht immer führen Tinder, Badoo und Co. zu einem schönen Date
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So weit, so schlecht. Zu der Frage, ob das Mädchen das Opfer mit eigenen Fotos anlockte, ob sie diese gegebenenfalls retuschierte, damit sie älter aussahen, und wie sie die Altersgrenze von Tinder ("ab 18") aushebelte, nimmt der Artikel keine Stellung. Klar ist es dumm von einem Mann, sich von einer 15-Jährigen zu einem Date locken zu lassen, zumal das "age of consent" in Neuseeland bei 16 Jahren liegt. Andererseits: In der Tinder-App müssen mindestens "18 Jahre" gestanden haben, und eine abgebrühte 15-Jährige muss sicher nicht viel an ihren Fotos retuschieren, damit sie wie 18+ aussieht.

Am Ende der Meldung steht dann noch in einem Satz, dass das Täterpärchen vorher bereits eine Tankstelle überfallen habe. Offensichtlich hatte es dort keine oder nicht genug Beute gemacht. Nur: Hätte es die Meldung über diese Tat auch bis in die deutschen Medien geschafft, wenn nicht der per Tinder gelockte Mann, sondern der Tankwart mit Messerstichen verletzt worden wäre? Wohl kaum.

Sucht man bei Google nach "Date Überfall", findet man zahlreiche ähnliche Meldungen wie den Fall aus Neuseeland: Vor gut einem Jahr wurde in Berlin ein 31-Jähriger via "Badoo" von einer Täterin und zwei Tätern in die Falle gelockt. In Hettstedt hatte es einen 24-Jährigen erwischt, in Wilsdruff einen 38-Jährigen, in München einen 32-Jährigen.

Kann man aus dieser Häufung bei Google schließen, dass Dates mit Internet-Bekanntschaften für die Männerwelt besonders gefährlich sind? Wohl kaum. Die Polizeiliche Kriminalstatistik für Deutschland nennt für das Jahr 2014 über 45.000 Fälle von Raub, im Schnitt also über 100 täglich, von denen ca. die Hälfte als "Handtaschenraub" oder "sonstige Raubüberfälle auf Straßen, Wegen oder Plätzen" eingeordnet wird. Nur finden diese, wenn überhaupt, nur den Weg in die Regionalpresse, während die internet-bezogenen Taten überregional die Runde machen - und dann bei Google zum top-Treffer werden.

Zudem lässt sich die Mehrzahl der genannten Taten durch die vielen Datenspuren, die beim Dating via Tinder und Co. hinterlassen werden, rasch aufklären. In Neuseeland wurden die Täter wohl binnen weniger als 24 Stunden festgenommen. Und zu Recht schreibt "Bild" über den vorgenannten Berliner Fall: "Zwei Tage [nach dem Raub] wurden alle drei verhaftet. Stephanie H. hätte genau so gut eine Visitenkarte hinterlassen können: [Das Opfer] hat Fotos von ihr, kennt ihre Lieblingskneipe, die Sex-Chats lassen sich zu ihr zurückverfolgen."

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