Editorial: Die Milliardenklage
Endlich wagt ein Inhalte-Anbieter die Rebellion: Epic Games hat beim erfolgreichen Kampfspiel "Fortnite" bewusst gegen die Regeln von Apples App-Store und Googles Play-Store verstoßen und so den Rauswurf provoziert. Doch statt nun eine angepasste Version ihres Spiels erneut einzustellen, klagt Epic Games gegen Apple und Google wegen des Rauswurfs. Die Klageschrift war übrigens bereits vor dem Rauswurf geschrieben worden, Epic Games wusste also, worauf sie sich einlassen. Gewinnt Epic Games, was nicht ganz unwahrscheinlich ist, verlieren die beiden Tech-Giganten absehbar Milliarden. Kleine, mittlere und große Entwickler und Inhalteanbieter würden hingegen profitieren.
Die Regel, die Epic Games verletzt hat, verlangt, dass der In-App-Kauf von Addons über den App-Store bzw. Play-Store abgewickelt werden muss, wenn die App von dort installiert wurde. Beide Stores verlangen aber 30 Prozent Provision, während eine Zahlung über Paypal oder über Kreditkarte unter Umgehung des offiziellen Stores nur wenige Prozent Provision kostet. Epic Games, die ihr Geld vor allem mit dem Verkauf von virtueller Spiele-Ausrüstung verdienen, etwa stärkeren Waffen oder besseren Rüstungen, sieht jedoch nicht ein, die Store-Betreiber derartig für ein Spiel zu alimentieren, das nun mal sie und nicht Apple oder Google entwickelt haben.
Dieselben Waffen
Kampf Goliath gegen Goliath - Epic Games gegen Apple und Google
Bildquelle: Fortnite/Epic Games, Screenshot: teltarif.de
Interessant ist an dem anstehenden Rechtsstreit zwischen Google und Apple
auf der einen und Epic Games auf der anderen Seite, dass Epic Games bei
Fortnite mit demselben Vendor-Lock-In sein Geld verdient wie Apple und
Google auch. Denn in einer freien IT-Welt würde Epic Games die Spielewelt
programmieren und dafür natürlich Lizenzgebühren von den Spielern verlangen.
Ihre (virtuellen) Waffen könnten die Spieler dann aber nicht nur von Epic
Games, sondern auch von anderen Spielern oder gar unabhängigen Programmierern
erwerben.
Bei früheren Online-Spielen wie "World of Warcraft Classic" war es tatsächlich üblich, dass man im Spiel nützliche Gegenstände, wie Waffen, Rüstungen, Edelsteine etc., nicht kaufen konnte, sondern als Belohnung für gewonnene Kämpfe und gelöste Rätsel bekam. Doch über das Internet entwickelte sich dann doch ein Markt für diese Gegenstände: Erfahrene Spieler spielten die Quests immer und immer wieder und sammelten so entsprechende Gegenstände, die sie dann über Ebay und anderen Plattformen außerhalb des Spiels an andere Spieler verkauften, die nicht so viel Zeit und/oder Geschick hatten, diese Quests selber zu bestehen.
Anfangs mühten sich die Spieleentwickler sehr, diesen Grauhandel von Waffen und Ausrüstung zu unterbinden, wurde dieser doch als "unfaire Abkürzung" einzelner Spieler wahrgenommen. Doch im Laufe der Jahre änderten die Spieleentwickler ihre Einstellung und machten aus der Not eine Tugend: Statt gegen immer wieder neue Wege anzukämpfen, die die Ausrüstungshändler für die Abwicklung ihrer Verkäufe fanden, begannen sie kurzerhand selber, die begehrten Add-Ons im Spiel anzubieten. "Free to Play" heißt das neue Zauberwort der ganzen Spielebranche: Das Spiel selber ist kostenlos, aber wer nicht alle Level mühsam selber durchkämpfen will, der kann sich im Spiel gegen echtes Geld bessere virtuelle Ausrüstung kaufen.
Gegen den Graumarkt des Weiterverkaufs von Waffen und Ausrüstung außerhalb des Spiels gehen die Spiele-Hersteller hingegen weiterhin vor. Aber nicht mehr, weil sie den Weiterverkauf unfair finden, sondern, weil sie nicht wollen, dass andere ihre Preise kaputt machen.
iPhone mit iOS als "Spielewelt"
Auch Apple sieht das iPhone mit dem iOS-Betriebssystem als "Spielewelt", in der andere sich betätigen. Und genauso, wie Epic Games gerne 100 Prozent der Wertschöpfung abgreifen möchte, die innerhalb von Fortnite möglich ist, möchte Apple möglichst viel von der Wertschöpfung mit der iPhone-/iOS-Plattform abgreifen. Und damit sind wir wieder zurück bei den 30 Prozent: Apple unterbindet die Direktzahlung mit Kreditkarte in Fortnite genauso, wie Epic Games den Graumarkt mit Fortnite-Items bekämpft.
Es handelt sich hier also nicht um die Klage eines kleinen Davids gegen einen großen Goliath. Vielmehr streiten sich jeweils zwei Monopolisten (Epic Games gegen Apple und Epic Games gegen Google) jeweils darum, wer wie viel von dem großen Reibach abbekommt, der durch den Hersteller-Lock-In möglich ist. Auch, wenn Epic Games obsiegt, werden sie die Spiele-Items nicht billiger machen. Fortnite-Spieler haben von dem Streit also auch auf lange Sicht keinen direkten Nutzen zu erwarten, sehr wohl aktuell aber den Schaden, das Spiel nicht aus dem App- bzw. Play-Store installieren zu können. Während damit iOS-Nutzer komplett außen vor sind, kommen Android-User immerhin über Umwege weiterhin an Fortnite.
Vorteil Epic Games
Vor Gericht dürfte Epic Games die besseren Karten haben: Mit Fortnite machen sie zwar einen Milliardenumsatz und beherrschen einen nicht unerheblichen Teil des Spielemarkts. Andererseits entwickelt sich der Spielemarkt schnell, was dieses Jahr noch "hip" ist, kann in ein bis zwei Jahren schon wieder mega-out sein. Und so streiten sich drei Konsolen-Hersteller (Sony, Microsoft und Nintendo) mit der PC-Welt und der Smartphone-Welt um die Gunst der Spieler. Jährlich erscheinen hunderte neue attraktive Spiele-Titel sehr vieler verschiedener Studios. Wird bei einem davon das Gameplay aufgrund überteuerter In-Game-Käufe unbezahlbar, können die Nutzer jederzeit auf andere Spiele ausweichen.
Anders hingegen bei Android und iOS: Seitdem Microsoft aufgegeben hat, gibt es keine ernsthafte Konkurrenz bei den Smartphone-Betriebssystemen mehr. Huawei hat zwar als Reaktion auf den Google-Bann eine Alternative namens Harmony OS vorgestellt. Doch um diese ist es seit der Ankündigung vor ziemlich genau einem Jahr auch schon wieder ziemlich ruhig geworden. Zu ruhig, als dass sich Nutzer davon eine wichtige Alternative erhoffen könnten.
Google und Apple verhalten sich im Smartphone-Markt wie ein klassisches Duopol: Bei Produkt-Details herrscht zwar weiterhin intensiver Wettbewerb, so versucht jeder, seine Plattform für die Nutzer attraktiver zu machen als die der Konkurrenz. Bei den Erlös-Quellen ist der Wettbewerb hingegen längst erloschen. Dass Apple und Google Fornite fast gleichzeitig aus dem jeweiligen Store werfen, weil diese sich um die 30-Prozent-Provision drücken, ist kein Zufall, sondern klassisches synchrones Handeln von Duopolisten, die sich gemeinsam ihre Erlösquelle sichern.
Kein Entkommen aus dem Duopol
Die Nutzer können dem Apple-Google-Duopol auch nicht entkommen, es sei denn, sie verzichten ganz auf die Nutzung eines Smartphones. Und genau für solche Langzeit-Monopole und -Duopole gelten die Antitrust-Regeln, die die Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung zur Steigerung der eigenen Rendite auf Kosten anderer verbieten. Entsprechend gut stehen die Chancen von Epic Games, vor Gericht gegen den Store-Rauswurf zu obsiegen. Für Google und Apple wäre ein Sieg hingegen teuer: Neben Schadensersatz an Epic Games für entgangene Umsätze - möglicherweise sogar in Milliardenhöhe - müssten sie Fortnite wieder in ihre Stores aufnehmen und auch anderen Spiele-Anbietern die Nutzung eigener Zahlungsabwickler für In-Game-Käufe erlauben. Die Provisionserlöse würden dadurch drastisch sinken, während die Inhalteanbieter mehr vom Geld der Nutzer erhalten würden. Letzteres würde die Konkurrenzsituation der Inhalteanbieter verbessern. Am Ende hätten die Nutzer also doch noch was vom Streit der Großen: Mehr und/oder bessere und/oder günstigere Inhalte - und das nicht nur von den Großen, sondern wahrscheinlich auch von den Kleinen.