Verwirrung um 1&1: Wie geht es dem vierten Handy-Netz?
Ein Thema beherrschte die Diskussionen der Branchenvertreter aus Deutschland auch während der MWC-Messe in Barcelona. Was wird aus dem vierten Netz in Deutschland? Die Kommentare und Einschätzungen reichen von Mitleid bis absoluter Ratlosigkeit. Welches Konzept verfolgt der United-Internet- / 1&1-Chef Ralph Dommermuth beim Aufbau seines eigenen Mobilfunknetzes? Er gilt als harter Verhandler und erfahrener Fuchs und die meisten gehen davon aus, dass "er einen Plan" hat. Nur welchen?
1&1 Chef Ralph Dommermuth hat mit seinem "eigenen" Mobilfunknetz gewaltige Probleme
Foto/Logo: United Internet AG, Montage: teltarif.de
Er hätte, wie schon öfters berichtet, bis zum Jahreswechsel 1000 eigene Sende-Stationen bauen sollen. Davon scheint es nach Auskunft informierter Kreise inzwischen fünf zu geben, wovon drei bereits im offiziellen Betrieb (also buchbar) sind. Von der Community gesichtet wurden noch Stationen in München, Ratingen, Mainz und Montabaur - einige scheinen auch wieder offline zu sein. Und wo sind die 995 anderen Stationen?
Hoffen auf ein Wunder?
Sortiert man das Bild zusammen, so zeigt sich, dass "nur noch ein Wunder" den vierten Netzbetreiber retten könnte. Kenner der Szene vermuten, dass die Bundesnetzagentur nach intensiver Prüfung wohl nicht drum herumkommen dürfte, pro fehlender Basisstation ein Bußgeld zu verhängen, was am Ende etwas unter 50 Millionen Euro auf dem Bescheid bedeuten dürfte.
Gar kein Core-Netz vorhanden?
Aber selbst wenn sich die Anzahl der fehlenden Stationen kurzfristig noch verringern sollte, dann fehle noch das "Core-Netz", um die Stationen zusammenzuschalten und mit anderen Netzen zu verbinden, war zu hören.
Für europäische Beobachter erschien verwirrend, dass die Ingenieure des System-Lieferanten Rakuten sehr häufig mit den Kollegen in Japan konferieren. Das wurde von Außenstehenden so missverstanden, als ob nur Personal der "B-" oder "C-Ebene" nach Deutschland geschickt worden sei. Dabei ist diese enge Kooperation tatsächlich ein Teil der japanischen Unternehmenskultur, wie uns ein Japan-Kenner erläuterte. In Japan werden Probleme gemeinsam ausdiskutiert und dann Entscheidungen getroffen.
Insgesamt gilt das relativ neue Open-RAN-Konzept als schwierig, ist aber der Herzenswunsch der gesamten Branche, die unabhängiger von bestimmten Lieferanten werden möchte. Das braucht aber noch Zeit.
Vodafone hat Standorte mit eigenem 5G "gefüllt"
Die eigentlich für 1&1 geplanten Standorte von Vantage Towers seien inzwischen teilweise "voll", da Vodafone dort eigene 5G-Anlagen montiert habe. Und jede Änderung an einem Standort und jede zusätzliche Sendestation muss erst vom Grundstückseigentümer (der in der Regel gar nicht Vantage Towers heißt), dann von den Bauämtern, der Bundesnetzagentur (Stichwort "EMVU") und so weiter abgenommen werden, was erfahrungsgemäß dauern kann.
DFMG hatte Standorte angeboten
Dabei hätte 1&1 alle Standorte von beispielsweise der DFMG (Telekom) haben können, das sei dem 1&1-Chef aber "zu teuer" gewesen. Ralph Dommermuth soll, so ein weiteres Branchengerücht, persönlich in Barcelona unterwegs gewesen sein, um intensive Gespräche mit alten oder neuen Partnern zu führen. Ob das stimmt und welche Lösungen sich abzeichnen könnten, war nicht zu erfahren.
Neue Investoren?
Überlegt wurde, ob Dommermuth einen Investor suchen und finden könnte. Genannt werden die Namen "Xavier Niel" (Free/ Illiad / Salt) oder Patrick Drahi (Altice/SFR), die eine günstige Gelegenheit nutzen könnten, den deutschen Markt zu betreten. Nur: Ob Dommermuth danach noch das alleinige Sagen in seinem Unternehmen behielte, wird stark bezweifelt. Und wie könnte ein neuer Preisbrecher-Anbieter aussehen? Die deutschen Kunden gelten als vorsichtig und zurückhaltend.
Alles Kalkül?
Gerätselt wird auch, ob es vielleicht zum Kalkül gehört, das Mobilfunknetz am Ende gar nicht aufzubauen, sondern sich den "Verzicht" durch Zugeständnisse bei einem verlängerten oder neuen Service-Provider- oder MVNO-Roaming-Vertrag "vergolden" zu lassen. Nach teltarif.de-Informationen wäre es prinzipiell möglich, dass United Internet/1&1 Mobilfunk seine ersteigerten 5G-Frequenzen an einen Mitbewerber verkauft. Dazu müsste aber die Bundesnetzagentur ihre Zustimmung geben. Mit den Vorgängen vertraute Personen rechnen aber nicht damit, dass Dommermuth diese Option nutzen wird.
1&1: Wenig offizielle Informationen
Zum Rätselraten über die Pläne bei 1&1 führt vielleicht auch, dass die Informationspolitik des Unternehmens bis heute ziemlich "zurückhaltend" ist. Konkrete Informationen zum Stand der Dinge und den Planungen sind kaum zu bekommen. Sicher spielt hier die große Angst eine Rolle, der Konkurrenz mögliche Schwächen des Konzepts zu verraten.
Kommende Auktion: Nur drei Teilnehmer?
Um an der kommenden Frequenzauktion der "niedrigen" Frequenzen (700-900 MHz) teilnehmen zu können, muss ein Unternehmen "fachliche Zuverlässigkeit" nachweisen, so sehen es die Regeln vor. Durch den Nichtaufbau von mindestens 995 Stationen habe 1&1 diese "Zuverlässigkeit" vermissen lassen, wurde uns in verschiedenen Gesprächen versichert. Diese Beurteilung scheint auch die Bundesnetzagentur in Betracht zu ziehen.
Folglich erscheint es durchaus denkbar, dass diese Frequenzen bald nur noch unter den drei etablierten Anbietern (Telekom, Vodafone, Telefónica-o2) versteigert werden könnten. Ein neuer (fünfter) Anbieter, der den Markt betreten möchte, gilt als ziemlich unwahrscheinlich. Das hat in der Branche zu einem leichten Aufatmen geführt, weil eine teure Auktion allen Managern nach wie vor Kopfzerbrechen bereitet.
Kritik an der Politik
Dabei gibt es in der Branche immer noch Hoffnungen, dass die Politik ein Einsehen hat, die Branche vor einer sündhaft teuren Auktion zu bewahren, die am Ende nur für steigende Endkundenpreise und/oder weitere Verzögerungen beim Netzausbau führen würde. Mit der Politik sind führende Industriemanager ohnehin unzufrieden: "Herr Wissing soll endlich liefern, wir warten nach wie vor drei Jahre, bis ein Sendemast komplett genehmigt ist. Es hat sich nichts geändert."
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Ralph Dommermuth hat eine spannende Karriere hinter sich. Aus dem Nichts baute er sein Unternehmens-Imperium auf und nannte es 1&1, die Marke kennt heute jedes Kind. Weil er fürchtete, von den Netzbetreibern nicht ernst genommen oder ausgehungert zu werden, bewarb er sich um eigene Frequenzen. Da die erst später nutzbar gewesen wären, mietete er sich bei o2 sofort verfügbare Frequenzen auf 2600 MHz. Einem schnelleren Netzstart wäre nichts entgegen gestanden.
Er hätte am Tag nach der Auktion sofort starten können und müssen, notfalls mit konventioneller Single-RAN-Technik, hätte Publikum und Fachpresse in seine Pläne einweihen und begeistern müssen. Das geschah nicht. Kurz vor Schluss wurden drei Stationen eingeschaltet und mögliche "Schuldige" benannt. Da wurde wohl sehr viel Zeit "vertrödelt".
Ich wage eine Prognose: 1&1 wird eine Schonfrist gewährt, die fehlenden Stationen doch noch aufzubauen und einzuschalten. Dafür erhalten sie ein Bußgeld für die Nichteinhaltung der Fristen, müssen aber auf die Teilnahme an der Low-Band-Vergabe (als Auktion oder als Verlängerung) verzichten. Diese Lowband-Frequenzen müssten sie später dann bei den etablierten Anbietern "mieten" oder schlicht darauf verzichten. Das Netz von 1&1 bleibe als Citynetz und als lokaler Festnetzersatz und hätte sonst weiterhin Roaming z.B. bei o2.
Immerhin: Dommermuth hat früh angekündigt, dass er nicht mit drastisch sinkenden Preisen in den Markt gehen werde, doch die meisten hofften weiter. "Anderswo geht das doch auch?" Doch in vielen Ländern sind nicht nur die Preise, sondern auch die Netzqualität niedrig.
Kunden von 1&1 und der verschiedenen Drillisch-Marken sollten wissen, dass mit dem Start von 262-23 (1&1-Mobilfunk) als eigenem Netz der Zugriff auf 5G im o2-Netz komplett wegfällt. 5G stünde den Kunden dann nur dort zur Verfügung, wo 1&1 selbst mit 5G versorgen kann oder könnte. Kostenbewussten Kunden dürfte das vorerst ohnehin egal sein, da 5G mit hohen Geschwindigkeiten und hohen Kosten oder schneller verbrauchtem Datenvolumen gleichgesetzt wird. Wer einen neuen Vertrag abschließen oder verlängern will, sollte darauf achten, möglichst nicht um zwei Jahre zu verlängern, um im Falle eines Falles flexibel bleiben zu können.
Bleibt die Frage, ob Dommermuth seinen großen Plan doch noch umsetzt oder sich irgendwann eingestehen muss, dass es vielleicht ganz anders gekommen ist als gedacht.
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