Weltfunkkonferenz: EU für Rundfunk und Kultur
Im Vorfeld der Weltfunkkonferenz WRC-23 wird aktuell intensiv darüber diskutiert, ob der Frequenzbereich 470-694 MHz (UHF) künftig dem (digitalen) Mobilfunk zugeschlagen werden könnte, um die drohende Frequenzknappheit bei weiter reichenden Frequenzen zu mildern.
Alternativ könnten die Anbieter auch ihre Sender dichter aufstellen (und dann höhere Frequenzen nutzen), was aber aufwendiger und teurer wäre.
EU plädiert für Rundfunk und Kultur
Bei der von der ITU ausgerichteten Weltfrequenzkonferenz geht es um die Zukunft des UHF-Bereiches 470-694 MHz
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In der Nacht zum Dienstag hat die EU entschieden, dass der Rundfunk der alleinige primäre Dienst im TV-UHF-Band (470-694 MHz) bleibt. Der Mobilfunk/BOS bekomme diesen Status nicht. Das soll die Haltung der EU bei der Weltfunkkonferenz sein. Dies erfuhr teltarif.de aus mit den Vorgängen vertrauten Kreisen.
Region 1 will (fast) keine Änderungen
Für die Rundfunkveranstalter ("Kulturfrequenzen") ist das ein Erfolg. Andere Unterregionen in der Weltregion 1 hatten sich in den letzten Tagen wie folgt entschieden:
- Afrika: No change (keine Änderungen)
- Russland und GUS: No change (Das sei allerdings kein Bekenntnis zur Kultur, das Band wird in Russland überwiegend militärisch genutzt.)
- Arabische Länder: oberhalb 614 MHz "co-primär", unterhalb 614 MHz "no change" (also für die Kulturfrequenzen durchaus ein kleiner Fortschritt)
WRC-Vorschlag der EU angenommen
Der EU Ministerrat beschloss am Montagabend: "The Council also adopted without discussion the items on the lists of legislative and non-legislative A items."
Die Council Decision on the EU position in the International Telecommunication Union World Radiocommunication Conference 2023 (Dubai, UAE, 20. November bis 15. Dezember 2023)" wurde unter den Top 25 angenommen.
Was bedeutet das nun für BOS?
Die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) könnten bei einer "co-primären" Entscheidung das Frequenzband nutzen, dürften aber keinen ausländischen Rundfunk stören bzw. von ihm Schutz verlangen (also die Forderung, der Rundfunk dürfe den BOS-Funk niemals stören). Das würde konkret bedeuten, dass die UHF-Frequenzen nur in einem "bananenförmigen" Gebiet, der sogenannten "Kasseler Banane" lokal genutzt werden könnten.
Bei Absprache mit einzelnen Nachbarstaaten, welche die TV-Frequenzen nicht mehr nutzen (z.B. Schweiz) wäre auch im Deutsch-Schweizer Grenzgebiet ggf. ein "lokal primärer BOS-Dienst möglich", vermuten Experten.
BOS: Überall und immer was eigenes
Kenner wissen aber, dass sich die BOS ein Frequenzband vorstellen, das "stets überall verfügbar" ist. Als Kompromiss soll nun ein Frequenzband im 800-MHz-Bereich für BOS "reserviert" werden. Dazu hatte die Bundesnetzagentur vergangene Woche eine Konsultation gestartet.
Beobachter vermuten, dass bereits hinter den Kulissen an einer BOS-Lösung im 800-MHz-Band gearbeitet wird. Als Gegenleistung verspreche man den Telekommunikationsunternehmen, dass die Verlängerung der Frequenzen kostenfrei erfolge.
"Win-Win-Win" für alle?
Mit dieser Lösung könnte es eine "Win-Win-Win"-Situation für alle geben, findet die Organisation "sos-save-our-spectrum.org": "Die Frequenzen für Rundfunk (Fernsehen) und Kultur (drahtlose Mikrofone) bleiben geschützt. Deutschland gehe in keinen Frequenz-Konflikt mit Frankreich."
Die Behördenfunker (BOS) bekämen einen Vorrang im 800-MHz-Bereich und hätten damit ein "eigenes Netz" für schnelle Datenübertragungen. Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica oder 1&1 bliebe Geld für Investitionen, da es keine Versteigerung gibt.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Vor Jahren hatten schon Mobilfunkspezialisten vorgeschlagen, alles oberhalb von 150 MHz dem digitalen Mobilfunk zuzuweisen. Klassische Funkanwendungen, die von direkten Kontakten leben, wären dann außen vor gewesen. Rundfunk und Fernsehen hätten dabei die Netze der Mobilfunker nutzen (und bezahlen) müssen.
In Europa wird der UHF-Bereich (470-694 MHz) für Fernsehen und drahtlose Mikrofone (Theater, Konzerte, moderierte Veranstaltungen, Filmproduktionen etc.) genutzt. Vor kurzem war man bereits aus dem Bereich 700 und 800 MHz ausgezogen, was die Branche schon viel Geld und Nerven gekostet hatte.
Die Behördenfunker hatten schon in den 90er-Jahren Angebote, bereits vorhandene öffentliche Netze mit Priorität mitnutzen zu können, beispielsweise das Chekker-Bündelfunknetz der Telekom. Später schlug Mannesmann (heute Vodafone) vor, auf GSM-Basis eine Erweiterung für BOS aufzusetzen. Dem schloss sich die Telekom an. Dadurch wären mit staatlichen Mitteln die Netze viel schneller flächendeckend ausgebaut worden und in kritischen Fällen hätte das Feuerwehrkommandofahrzeug eine eigene BTS an Bord gehabt.
Doch die Behördenfunker sagten wieder einmal "Nein, wir wollen was eigenes". Die Wahl fiel auf ein spezielles TETRA-Netz, das aus dem Nichts aufgebaut werden musste und bis heute nicht flächendeckend zur Verfügung steht. Zum Glück gibt es noch ein analoges BOS-Netz im UKW-Bereich (unterhalb 87,5 MHz), das aus gutem Grund noch nicht abgeschaltet wurde.
Seit einiger Zeit versuchen die Mobilfunker den Behörden ein 5G-basiertes Sub-Netz ("Slicing") schmackhaft zu machen, was die notwendigen Bandbreiten und Möglichkeiten hätte, aber auch hier scheint die Abneigung riesengroß zu sein. Wieviel Geld hätte man sparen und wieviel besseres Netz hätte man heute schon haben können, wenn die Behördenfunker über ihren Schatten gesprungen wären?
Zu diesem Thema hatte sich auch Prof. Dr. Torsten Gerpott (+) geäußert.