Hängepartie

VATM: Scheitert neues TKG an Mindestvertragslaufzeiten?

Harsche Kritik des VATM: Die Blocka­dehal­tung von Bundes­minis­terin Lambrecht gehe an den Kunden­inter­essen vorbei und erschwere den Glas­faser­ausbau.
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Nach wie vor herrscht Unei­nig­keit bei der Umset­zung der euro­päi­schen Vorgabe zu Vertrags­lauf­zeiten in der Novelle des Tele­kom­muni­kati­ons­gesetzes (TKG). Das Bundes­jus­tiz­minis­terium (BMJV) fordert weiterhin die Abwei­chung von der euro­päisch verein­barten maxi­malen ersten Vertrags­lauf­zeit von 24 Monaten und macht sich für eine maxi­male Lauf­zeit von einem Jahr stark.

Genau daran scheint die seit vielen Monaten erwar­tete Novel­lie­rung des Gesetzes zu schei­tern, fürchtet der Verband der Anbieter von Tele­kom­muni­kations- und Mehr­wert­diensten (VATM). Und das Gesetz, keine Frage, ist für die Digi­tali­sie­rung Deutsch­lands überaus wichtig. „Eine gera­dezu absurde Situa­tion“, beschreibt VATM-Geschäfts­führer Jürgen Grützner die Lage.

VATM sieht sich durch Verbrau­cher­schützer und Stif­tung Waren­test bestä­tigt

Keine besten Freunde: Bundesjustiz und Verbraucherschutzministerin Christine Lamprecht und der Verband VATM Keine besten Freunde: Bundesjustiz und Verbraucherschutzministerin Christine Lamprecht und der Verband VATM
Foto: Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz
Zwei­jah­res­ver­träge würden von der Kunden­mehr­heit also aus gutem Grunde und ganz bewusst ausge­wählt, findet der VATM. Sie würden seit Jahr­zehnten mit extrem hoher Zufrie­den­heit genutzt.

Zum Beweis zitiert der VATM eine Umfrage der Verbrau­cher­zen­trale Bundes­ver­band, welche bestä­tige, dass die Verbrau­cher zu 98 Prozent keine Probleme mit der Länge der Vertrags­lauf­zeiten hätten.

Nicht nur das: Auch die Stif­tung Waren­test muss dafür herhalten: Die von der als neutral geltenden Stif­tung „analy­sierten Smart­phones sind im Paket mit einem Tarif durchaus güns­tiger zu haben als im Laden“ (Zeit­schrift Test 11/2019, S. 39. „Güns­tiger zum Handy“). Im Test (Zwei­jah­res­ver­träge) waren es bis zu fast 300 Euro Ersparnis. Warum das so ist, werden wir gleich sehen.

Verbrau­cher­wün­sche konter­kariert?

Die Forde­rung des Justiz­minis­terium konter­kariere die Verbrau­cher­wün­sche im TK-Markt, schimpft der Inter­essen­ver­band und zieht als Beweis eine weitere Studie zu Rate. Die Verbrau­che­rinnen und Verbrau­cher seien hervor­ragend über die bestehenden Wahl­mög­lich­keiten einschließ­lich Prepaid und ohnehin heute schon längst exis­tie­rende Einjah­res­ver­träge infor­miert. Sie entschieden sich ganz bewusst für längere Lauf­zeiten oder Prepaid, aber nur in den aller­wenigsten Fällen für Einjah­res­ver­träge, die weder die Flexi­bilität von Prepaid bieten können noch über zwei Jahre günstig finan­zier­bare und subven­tio­nierte Handys“, erläu­tert Grützner.

Das zeigten auch die Ergeb­nisse einer vom VATM initi­ierten und von Wirt­schafts­wis­sen­schaftler Prof. Dr. Jens Böcker, FH Bonn-Rhein-Sieg und Böcker Ziemen, durch­geführten reprä­sen­tativen Umfrage unter mehr als 1000 Verbrau­che­rinnen und Verbrau­chern zur Akzep­tanz von Zwei­jah­res­ver­trägen im TK-Bereich vom Mai 2020. Als "fair" hätten 89 Prozent aller Kundinnen und Kunden – mit und ohne Vertrags­bin­dung – die heute bestehenden Wahl­mög­lich­keiten bezeichnet.

Kürzere Lauf­zeit blockiert Glas­faser­ausbau

Der VATM-Geschäfts­führer unter­streicht: „Die deut­lichen Vorteile von erst­maligen Zwei­jah­res­ver­trägen bestä­tigen also nicht nur die Verbrau­cher­schützer und Stif­tung Waren­test selbst, sondern sie sind von elemen­tarer Bedeu­tung für die Inves­titionen in den so drin­gend erfor­der­lichen Ausbau von Glas­faser als auch der 5G-Mobil­funk-Tech­nologie.“

Mit seiner mona­telangen Blockade der TKG-Novelle igno­riere das Minis­terium die klaren Wünsche der Bürge­rinnen und Bürger. „Durch eine solche Politik gerät Deutsch­land beim Glas­faser­ausbau und bei der Digi­tali­sie­rung weiter ins Hinter­treffen und wir setzen immer mehr die Akzep­tanz der Bürger für poli­tische Entschei­dungen aufs Spiel“, warnt Grützner.

Eine Einschät­zung (von Henning Gajek)

Das von der Branche gelernte und gelebte Geschäfts­modell im Fest­netz und Mobil­funk lautet: Verkaufe dem Kunden einen möglichst großen Vertrag, dafür bekommst du eine möglichst hohe Provi­sion. Hat der Kunde einmal unter­schrieben, ist er für 24 Monate gefes­selt - verpasst er den Kündi­gungs­termin, für weitere 12 Monate. Davon leben die Händler, die natür­lich eher ihre Provi­sion (und damit ihre eigene Exis­tenz­grund­lage), als das Wohl des Kunden im Auge haben (müssen).

Wenn ein Kunde einen Inter­net­zugang bestellt, dessen Anbieter ihm überall super­schnelles Internet und 458 Programme in Farbe verspricht, muss der Kunde erst einmal unter­schreiben und ist dann darin gefangen, selbst wenn die Verspre­chungen später nicht wie erwartet erfüllt werden sollten. Die "schlechte" Qualität der Verbin­dung nach­zuweisen geht regel­mäßig schief, weil der Anbieter ja nur "bis zu x kBit/s" verspro­chen hat und die Verwen­dung einer WLAN-Verbin­dung im Fest­netz schon mal raus­fällt, aus logi­schen tech­nisch nach­voll­zieh­baren Gründen, Funk­wellen gehen halt nicht immer und über­allhin. Und Kunden, die kurz nach Unter­schrift in eine wirt­schaft­liche Notlage geraten (z.B. durch Krank­heit oder Arbeits­losig­keit), sind in diesem System nicht vorge­sehen. Pacta sunt servanda (Verträge sind einzu­halten.)

Neue Geschäfts­modelle sind gefragt

Würde man die Provi­sionen umdrehen und erst dann ausbe­zahlen, wenn der Kunde schon mindes­tens zwei Jahre dabei geblieben ist, hätten die Händler ein wesent­lich größeres Inter­esse daran, ihre Kunden gut zu beraten und gut zu betreuen, damit die nach zwei Jahren nicht kündigen.

Klar, die Provi­sion wird vom Anbieter oder Händler oft dazu verwendet, um teure Handys "güns­tiger" zu machen oder dicke Rabatte auf den theo­reti­schen monat­lichen Grund­preis einzu­räumen. Spätes­tens 18 Monate nach der Unter­schrift sollte man spätes­tens gekün­digt haben und darf sich dann auf die Suche nach einem neuen viel­leicht güns­tigeren Anbieter machen oder den alten zu "über­reden", doch wieder einen besseren Rabatt herzu­geben. Was diese Rituale an Zeit und Ressourcen verschwenden, hat die Branche wohl noch nie nach­gerechnet. Was zufrie­dene Lang­zeit­kunden "Wert" sind, wissen die Auto­ver­sicherer, die nach vielen unfall­freien Jahren ihre Prämien immer weiter senken.

Kompro­miss­formel Notaus­stieg

Wenn sich das Einjah­res­modell von Frau Minis­terin Lambrecht partout nicht umsetzen lässt, weil die Anbieter so erbit­terten Wider­stand dagegen leisten, dann sollte es wenigs­tens ein gesetz­lich verbrieftes Notaus­tiegs­srecht inner­halb von 1-3 Monaten nach Unter­schrift geben. Sprich, wenn der Kunde nach der Unter­schrift merkt, dass das doch keine gute Idee war, soll er ohne Angaben von Gründen raus können.

Das Handy für den einen Euro muss er natür­lich entweder weiter bezahlen oder sofort zurück­geben, wobei die Wert­min­derung zu berück­sich­tigen ist. Und wenn er in den ersten 1-3 Monaten tage­lang mit den Aleuten (Inseln zwischen Russ­land und Alaska) tele­foniert hat, muss er das auch bezahlen, das ist ja wohl logisch.

Die Branche sollte schleu­nigst umdenken und zwar in Rich­tung Kunde. Vor Jahren hatte eine Voda­fone-Mana­gerin richtig fest­gestellt, dass die Leute lieber zum Zahn­arzt, als in einen Handy­laden gingen. Sie benannte gute Gründe dafür. Sie ist übri­gens - soweit bekannt - nicht mehr in der Mobil­funk­branche tätig.

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