Netzqualität: Österreich und Schweiz besser als Deutschland
Ein Geschäftsmodell kann sein, sich die Mobilfunkabdeckung in einem Land anzuschauen und dann daraus umfangreiche Studien zu erstellen, über die breit berichtet wird. "Netz in Albanien besser als in Deutschland" sind gern gelesene Schlagzeilen, die für Aufmerksamkeit sorgen.
Wir haben schon öfters über das Unternehmen OpenSignal berichtet, das sich den Netzausbau nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa und der Welt angeschaut hat.
Nun meldet sich ein weiterer Anbieter mit dem Namen "Tutela" zu Wort. Das Wort "Tutela" stammt aus dem lateinischen und bedeutet soviel "Schutz" oder "Obhut". Tutela ist nach eigenen Angaben ein unabhängiges Unternehmen, das per Crowdsourcing Daten aus seinem globalen Panel von über 300 Millionen Smartphone-Benutzern erhebt.
Tutela sammelt Informationen über die mobile Infrastruktur und testet die mobile Nutzererfahrung, um Organisationen der Mobilfunkbranche dabei zu helfen, die Netzwerke der Welt zu verstehen und zu verbessern. Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz in Victoria, British Columbia (Canada).
Deutsche Netze schlechter als in Österreich oder der Schweiz
Die Netzwerkmarktforscher von Tutela haben sich die Mobilfunknetze in der DACH-Region angeschaut. Deutschland liegt weit hinten
Grafik: tutela.com
In seiner Studie ("Report") zum Zustand der mobilen Netze in DACH (“State of Mobile Networks DACH") fand Tutela für Deutschland nur halb so hohe Download-Geschwindigkeiten und dreimal so viel Zeit im 3G-Netz als in der Schweiz. Diese Erkenntnis ist für erfahrene teltarif.de-Leser nichts Neues.
Deutschland habe, so filterten die Studienautoren bei Tutela ihr Datenmaterial, im Vergleich zu der "Nutzererfahrung", die die Mobilfunknetze in Österreich und der Schweiz bieten, noch Aufholpotenzial. In Deutschland bietet die Telekom ihren Kunden "überwiegend die beste Nutzererfahrung" und muss sich nur in einer Kategorie o2 geschlagen geben, so Tutela in der im Juni 2020 erschienen Studie.
Für die Studie wurden 7,4 Milliarden Datensätze von Smartphone-Nutzern aus sogenannten Common-Coverage-Areas in der DACH-Region ausgewertet. Common Coverage Areas sind laut Tutela Gebiete, in denen die Mehrheit der Mobilfunknetzbetreiber ihre Dienste anbieten.
Unter den Tutela-Daten, die für den Report ausgewertet wurden, befinden sich mehr als 83 Millionen Geschwindigkeitstests und 1,02 Milliarden Latenztests (in eine Richtung gemessen), die zwischen dem 1. Oktober 2019 und dem 31. März 2020 DSGVO-konform per Mobile Crowdsourcing gesammelt wurden. In allen drei Ländern wurden jeweils drei Mobilfunknetze untersucht.
Telekom in Deutschland vorne - o2 gewinnt bei mittlerer Latenz
Bei der "Excellent Consistent Quality", der "Core Consistent Quality", der höchsten mittleren Download-Geschwindigkeit mit 17,2 MBit/s und der höchsten mittleren Upload-Geschwindigkeit mit 7,8 MBit/s lag die Telekom auf dem Spitzenplatz. Bei der Kategorie Latenz (in eine Richtung gemessen) hingegen ging der Sieg laut Tutela an o2 mit einer mittleren Latenz von 14,8 Millisekunden, im Vergleich zu 16,8 Millisekunden bei der Telekom.
Werden die Länder verglichen, hat Deutschland nichts zu lachen: In der Schweiz liegt die mittlere Download-Geschwindigkeit bei 30 MBit/s, in Österreich bei 24,7 MBit/s und in Deutschland bei "nur" 14,7 MBit/s. Das sind wohlgemerkt die Durchschnittswerte aller drei getesteten Mobilfunknetze pro Land.
Der Vergleich des jeweiligen Spitzenreiters und Schlusslichts untereinander zeigt daher einen noch größeren Aufholbedarf: Swisscom bietet eine mittlere Download-Geschwindigkeit von 38 MBit/s – fast 21 Mbit/s mehr als bei der Telekom und gut 25 MBit/s mehr als bei Vodafone.
30 Prozent der Zeit im 3G Netz
Ein interessantes Ergebnis ermittelte Tutela im Hinblick auf die bald geplante Abschaltung von 3G in Deutschland: Deutlich werde der Vorsprung der Nachbarn auch beim Vergleich der Zeit, die die Mobilfunkkunden im 3G- bzw. 4G (LTE)-Netz verbringen: Am besten schneidet hier die Schweiz ab. Kunden hatten dort zu fast 90 Prozent der Zeit auch eine LTE-Verbindung. In Deutschland war dies dagegen nur zu knapp 70 Prozent der Zeit der Fall.
Auch hier schärft der Vergleich zwischen dem jeweiligen Spitzenreiter und Schlusslicht das Bild: Kunden von Swisscom haben zu fast 90 Prozent der Zeit eine LTE-Verbindung.
4G: Verwirrende Zahlen aus Deutschland
In Deutschland habe o2 vorne gelegen und zu rund 73 Prozent der Zeit LTE angeboten. Die Telekom sei auf nur gut 60 Prozent gekommen und Vodafone habe mit etwa 65 Prozent dazwischen gelegen.
Das Ergebnis dürfte auch Tutela "merkwürdig" vorgekommen sein: "Diese Zahlen sind aber mit Vorsicht zu genießen: Wird die gesamte mobile Nutzererfahrung betrachtet, führt die Telekom." Soll heißen: Es gibt im Telekom Netz noch hier und da ärgerliche Versorgungslöcher, wo nichts oder zu wenig geht. Und da ist was dran.
Ebenfalls nichts Neues ist die Nutzung mobiler Daten, die mit einem rasanten Tempo von etwa 25 bis 50 Prozent pro Jahr wächst. Von 50 Prozent ausgehend, ist nach sechs Jahren die Nachfrage nach mobilen Daten zehnmal größer, nach acht Jahren sogar 25 Mal. Um herauszufinden, wie die Netze auf diese Herausforderung reagieren sollten, lohnt sich der Vergleich mit anderen Ländern, denn einige Netzwerke transportieren viel mehr Daten als andere.
Beispielsweise in Finnland: Die Mobilfunkkunden verbrauchen durchschnittlich fast 24 GB/Monat. Der EU-weite Durchschnitt liegt bei 2,8 GB/Monat. Ließe sich das replizieren, stünden Mobilfunknetzbetreibern genug Kapazitäten zur Verfügung, um das Nachfragewachstum von sechs Jahren zu befriedigen.
Die Dichte der Funkmasten ist entscheidend
Die Ergebnisse des State of Mobile Networks DACH 2020 Reports von Tutela passen zu den Erkenntnissen des Berichts von Rewheel und Tutela aus dem Jahr 2019 [Link entfernt] und lassen sich mit der Dichte der Funkmasten erklären.
Deutschland hat – auf die Zahl der Nutzer bezogen – mit die geringste Zahl an LTE-Funkmasten in der EU-28. Finnland führt mit 3,7 Masten pro 1000 Einwohner, während es in Deutschland nur 0,7 sind. Für die Leistungsfähigkeit eines Mobilfunknetzes ist allerdings aufgrund von technischen Gründen insbesondere die Dichte der Funkmasten entscheidend: So steigt die verbrauchte Zellkapazität mit zunehmender Entfernung vom Funkmast steil an.
Wenn sich ein Nutzer beispielsweise bei einem Viertel der maximalen Reichweite des Funkmasts befindet, verbraucht er nur etwa drei Prozent der Kapazität. Bei halber Reichweite steigt dieser Anteil auf etwa 13 Prozent, bei drei Vierteln auf 37 Prozent und am Rand verbraucht er fast die gesamte Kapazität.
Das liegt daran, dass am Rand der Zelle das Signal schwach ist und daher die Menge der Informationen, die kodiert werden können, deutlich reduziert werden muss. Um die gleiche Informationsmenge zu transportieren, steigt die Länge der Übertragung, was immer mehr Ressourcen in Anspruch nimmt. Wenn die Funkmasten näher beieinander stehen, sind die Signalpegel am Rand der Zellen viel höher – effektiv arbeiten die Funkmasten dann bei der halben oder bei drei Vierteln der maximalen Reichweite.
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