Digitalradio

Medientage: Der Streit um UKW und DAB+ wird nochmal lauter

Verhärtete Fronten beim terrestrischen Radio sind seit Jahren bekannt. Wie man auf den Münchner Medientagen erleben konnte, wird der Ton vor allem beim Thema UKW-Abschaltung und Wechsel zu DAB+ nochmals lauter. Liegt es daran, dass DAB+ einigen zu erfolgreich wird?
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Auf den Medientagen wurde wieder laut über DAB+ gestritten Auf den Medientagen wurde wieder laut über DAB+ gestritten
Foto: Medientage
Wer die unterschiedlichen Panels auf den Medientagen München besucht hatte, bekam den Eindruck, dass der Ton beim Thema UKW-Abschaltung und Umstieg auf DAB+ nochmal lauter und auch aggressiver geworden ist. Die Gräben zwischen Befürwortern und Gegnern scheinen in Deutschland tief wie nie zuvor. Marktbeobachter beschreiben dieses Phänomen allerdings auch damit, dass DAB+ vor allem etablierten "Platzhirschen" mit der besten UKW-Ausstattung zu erfolgreich geworden ist. Sie befürchten Reichweiten- und Werbeverluste aufgrund der größeren Konkurrenz im Digitalradio.

"Die Abschaltung von UKW wäre der nackte Wahnsinn", warnte Ina Tenz, Programmdirektorin von Antenne Bayern, einem der größten deutschen Privatradios. "Dann gehen bei uns allen die Lichter aus." Begründet hat sie diese Meinung aber nicht und auch nicht erwähnt, wen sie unter "alle" versteht: Die gesamte Radiobranche, oder nur die Veranstalter mit den exzellenten UKW-Frequenzen, die im überfüllten analogen Band keine Konkurrenz zu fürchten hatten.

Politik will frei werdende UKW-Frequenzen nicht mehr neu vergeben

Auf den Medientagen wurde wieder laut über DAB+ gestritten Auf den Medientagen wurde wieder laut über DAB+ gestritten
Foto: Medientage
Die Politik dagegen will UKW abschalten und hält an diesem Szenario fest. "Selbst Skeptiker sehen bei DAB+ den Point of no Return überschritten", sagte, Franz Josef Pschierer, der Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie. Mit einer Tagesreichweite von 22 Prozent sei DAB+ nach dem UKW-Empfang der stärkste Verbreitungsweg, noch vor Web-Radio. In Bayern verfügten etwa zwanzig Prozent der Haushalte über DAB+. Sollte der Bayerische Rundfunk komplett auf die neue Technologie umsteigen, plädierte der Staatssekretär dafür, die frei werdenden analogen Frequenzen abzuschalten und nicht neu an Privatradios zu vergeben. Zugleich erteilte Pschierer den Vorschlägen eine Absage, die Digitalisierung der privaten Anbieter durch Subventionen zu unterstützen.

RTL-Chef malt Horrorszenario: 45 Prozent Hörerverlust bei UKW-Abschaltung

Ein Grund mehr, dass der Privatfunk nun nach einer kleinen Annäherung nun wieder mehr auf Front zu DAB+ geht. In Bezug aufs digitale Radio betonte Klaus Schunk, Vorsitzender des Fachbereichs Radio und Audiodienste im VPRT und Geschäftsführer von Radio Regenbogen, dass er DAB+ nur für eine Übergangstechnologie halte und perspektivisch erwarte, dass die digitale Radionutzung maßgeblich online und mobil über Smartphones erfolge.

Gert Zimmer, CEO RTL Radio Deutschland, betonte, dass UKW nicht abgeschaltet werden dürfe, da es die wirtschaftliche Existenzgrundlage der privaten Radios sei. "Wenn UKW abgeschaltet wird, werden wir Hörer verlieren", so Zimmer. Er rechne mit erheblichen Migrationsverlusten von 45 Prozent, ohne dieses Horrorszenario, das in Norwegen bereits widerlegt wurde, zu begründen.

Es gebe zwei Herausforderungen: Zum einen sei die Radionutzung seit Jahren rückläufig, in fünf Jahren würde man bei einem Fortgang dieser Entwicklung nur noch 70 Prozent der Hörer erreichen, zum anderen beobachte er eine starke Fragmentierung des Marktes durch neue Verbreitungswege. Die Situation für private Radiosender werde damit immer schwieriger. Auf die Frage, warum RTL Radio in Berlin nicht über DAB+ sende, antwortet Zimmer, dass es sich nicht rechne: "Wir können nur Dinge machen, die eine wirtschaftliche Perspektive haben."

Immer mehr Sender setzen auf DAB+

Ganz andere Töne waren dagegen auf dem Panel des Vereins Digitalradio Deutschland auf den Medientagen zu hören. Das digital-terrestrische Radio entwickele sich "immer dynamischer, nachdem immer mehr private und alle öffentlich-rechtlichen Programmanbieter auf die Digitalisierung des Hörfunks setzen", heißt es hier. "DAB+ ist unumkehrbar", so das Ergebnis des Panels unter dem Motto "DAB+: Chancen nutzen, Marktanteile sichern, Zielgruppen erobern."

Mit großem Interesse blicken Radio-Veranstalter nach Norwegen. Seit Januar wird hier, als erstes Land weltweit, der analoge UKW-Hörfunk zugunsten von Digitalradio DAB+ abgeschaltet. Jørn Jensen von Radio.no: "Unsere Reichweiten zeigen nur geringe Einbrüche seit dem Umstieg von UKW auf DAB+, und wir rechnen damit, dass wir in Summe Hörer halten, während die Reichweiten im TV sinken: Am höchsten sind die Zuwachsraten bei den Kanälen NRK P1 +, P5 Hits und Radio Rock. Inzwischen besitzen 82 Prozent der Bevölkerung mindestens ein DAB+ Radio, insgesamt stehen 4,75 Millionen DAB+ Radios in norwegischen Haushalten. Fast 1,4 Millionen Norweger hören Radiostationen, die es auf UKW früher nicht gab."

Trotz einiger Bedenken konnten vor allem die privaten Radiostationen in Norwegen vom Umstieg auf DAB+ profitieren. Mit einem Umsatz von 40 Millionen Euro wächst der Radio-Werbemarkt im zweiten Quartal 2017 um 1,4 Prozent.

Willi Schreiner, Geschäftsführer von Absolut Digital und Antenne Deutschland, ist optimistisch, dass 2018 weitere 16 bundesweite private Radioprogramme starten, die zu einer Marktbelebung und weiteren Akzeptanz bei den Hörerinnen und Hörern führen werden: "Für uns ist DAB+ die ideale Ergänzung, der ideale Nachfolger von UKW, da diese Technologie verlässlich, kostengünstig und flächendeckend verfügbar ist. Auch die erste Radiokombi ‚DAB+ Radiokombi Deutschland‘ ist ein wichtiger Schritt, um das Geschäftsmodell von Radio fortzuführen.“

Bei Ausschreibungen neuerdings mehr Bewerber als Sendeplätze

Martin Deitenbeck, Geschäftsführer der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (SLM), betonte, dass in Sachsen das Angebot im digital-terrestrischen DAB+ Radio massiv steigen wird. Über zwei lokale Multiplexe in Leipzig und Freiberg sollen noch bis Jahresende 28 Hörfunkprogramme starten, darunter auch zehn Programme, die bisher nur im Internet oder noch gar nicht zu hören sind. "Immer dann, wenn Medienanstalten DAB+ Kapazitäten ausschreiben übersteigt die Zahl der Bewerber das Angebot bei Weitem".

Martin Wagner, Hörfunkdirektor beim Bayerischen Rundfunk, sprach für die ARD. Die öffentlich-rechtlichen Sender setzten auf DAB+ als verlässlichen, günstigen und zukunftsfähigen Verbreitungsweg: "Mit großem Erfolg erreichen wir neue Zielgruppen mit DAB+ Spartenkanälen wie BR Heimat oder NDR Blue". Bayern stehe bei der Entwicklung der Hörerzahlen über Digitalradio DAB+ bundesweit ganz vorne. "Dies liegt unter anderem auch an der sehr engen Kooperation der Privatsender mit der BLM und dem BR hinsichtlich der Programmverbreitung."

Multichip als Chance

Die Panelteilnehmer begrüßten ausdrücklich, dass sich die zuständigen Ausschüsse des Europaparlaments für eine Norm zur Förderung von Digitalradio DAB+ ausgesprochen haben. Damit erkenne das Parlament an, dass Digitalradio ohne Fördernorm hinter seinem Potential für die Entwicklung des europäischen Binnenmarkts zurückzubleiben drohe. Die geforderte Regelung sieht vor, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt höherwertige Radios zusätzlich zum UKW-Empfang auch digitale Radioprogramme ermöglichen müssen.

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