Norwegen: Kaum Reichweitenverluste trotz UKW-Abschaltung
Screenshot einer Imagekampagne des norwegischen Rundfunks NRK für DAB+.
Screenshot: Michael Fuhr/teltarif.de
Mit großem Interesse blicken Radio-Veranstalter nach Norwegen. Seit Januar wird hier, als erstes Land weltweit, der analoge UKW-Hörfunk zugunsten von Digitalradio DAB+ abgeschaltet. In dieser Woche wurden die analogen Sender in der Hauptstadtregion Oslo abgeschaltet, in anderen Landesteilen ist dies schon der Fall gewesen. Viele Skeptiker und Kritiker befürchteten nach der Abschaltung von UKW massive Reichweitenverluste. Jetzt liegen erste Zahlen vor, und die überraschen die Fachwelt: Die Tagesreichweiten sind nach der Umstellung deutlich weniger als erwartet zurückgegangen und bewegen sich inzwischen sogar fast wieder auf Vorjahresniveau. Aktuell hören über 64 Prozent der Norweger täglich Radio. Vor genau einem Jahr waren es 67,1 Prozent (Quelle: Kantar TNS).
Screenshot einer Imagekampagne des norwegischen Rundfunks NRK für DAB+.
Screenshot: Michael Fuhr/teltarif.de
"Die Zahlen können nicht anders interpretiert werden: Der Übergang von UKW auf DAB+ ist ein Erfolg", freut sich Ole Jørgen Torvmark, CEO von Digital Radio Norway, der Organisation, die die nationalen Sender NRK, MTG und Bauer Media vertritt. Er stellt als positives Beispiel heraus, dass in der Provinz Nordland, in der im Januar die UKW-Abschaltung begonnen hat, fast die gesamte Bevölkerung den Umstieg von UKW auf DAB+ mitgetragen hat: 64,2 Prozent der Nordländer hörten im zweiten Quartal 2017 Radio, vor genau einem Jahr waren es 64,8 Prozent.
DAB+ mit Riesenabstand vor Internetradio
Inzwischen besitzen 84 Prozent der Bevölkerung mindestens ein DAB+-Radio, insgesamt stehen 4,75 Millionen DAB+-Radios in norwegischen Haushalten. 1,25 Millionen Autoradios besitzen DAB+-Empfang. 1,9 Millionen Norweger hören Radio über DAB+, damit entfallen 72 Prozent der Hörfunknutzung auf diesen Verbreitungsweg. UKW wird noch von 37 Prozent der Bevölkerung genutzt. Die Analog-Abschaltung ist noch nicht in allen Regionen vollzogen: Als letzte Provinzen werden Troms und Finnmark am 11. Dezember auf DAB+ umgestellt. Nur 24 Prozent der Norweger hören Radio über das Internet.
Trotz einiger Bedenken konnten vor allem die privaten Radiostationen vom Umstieg auf DAB+ profitieren. Mit einem Umsatz von 369 Millionen Kronen, also 40 Millionen Euro (Quelle: institutet för reklam- och mediestatistik) wächst der Radio-Werbemarkt im zweiten Quartal 2017 um 1,4 Prozent, während die Werbeeinnahmen bei Tageszeitungen (-16,2 Prozent) und Fernsehen (-3,3 Prozent) zurückgehen. "Die Tatsache, dass der Umsatz im Privatradio-Bereich selbst im Jahr der UKW-Abschaltung derart solide ist, unterstreicht die Stärke des Hörfunks als Werbemedium und macht nicht zuletzt deutlich, wie gut die Digitalisierung des Radios verläuft", kommentiert Kenneth Andresen, Hörfunkchef und CEO bei der P4 Group.
Dickes Plus bei neuen Radiostationen
Am höchsten sind die Zuwachsraten bei den Kanälen NRK P1 +, P5 Hits und Radio Rock: Fast 1,2 Millionen Norweger hören Radiostationen, die es auf UKW früher nicht gab. Dabei geht die Kurve weiter steil nach oben. So konnte beispielsweise die neue Welle P5 Hits ihren Marktanteil seit Januar von 3,5 auf 5,1 Prozent steigern, auch Spartensender wie Radio Vinyl (Anstieg von 0,3 Prozent im Januar auf jetzt 1,7 Prozent) wachsen. Experten gehen davon aus, dass diese Entwicklung anhalten wird.
"Der Übergang vom analogen zum digital-terrestrischen Rundfunk in Norwegen verläuft vorbildlich“, so Dr. Willi Steul, Vorsitzender des Vereins Digitalradio Deutschland. "Die aktuellen Nutzungszahlen belegen eindrucksvoll, dass vor allem private Anbieter von DAB+ profitieren. Mein Appell an die Privatsender in Deutschland: Schauen Sie auf Ihre Kollegen in Norwegen, investieren Sie in DAB+, denken Sie an Ihren künftigen Marktanteil und gewinnen Sie Werbekunden und Hörer mit zielgruppenspezifischen Programmen!"
Deutschland: UKW-Abschaltung derzeit kein Thema
Auch wenn man den überschaubaren Radiomarkt in Norwegen nicht mit Deutschland vergleichen kann, würde ein Technikumstieg - nach heutigem Stand - hierzulande wohl ähnlich verlaufen: Radio ist ein äußerst beliebtes Medium, und die große Mehrheit der Bevölkerung würde sich im Falle einer UKW-Abschaltung neue Hardware besorgen. So wie sie auch die Digitalisierung beim Fernsehen mitgetragen hat. Unklar ist nur, wie sich der Online-Audio-Markt in den kommenden Jahren entwickelt, und welche Rolle das Radio in zehn bis 15 Jahren in Deutschland spielen wird. Denn früher ist eine Abschaltung der analogen UKW-Technik hierzulande weder möglich noch angedacht. Auf der IFA bekräftigten Vertreter der Landesmedienanstalten, dass ein Abschaltdatum für UKW in Deutschland aktuell kein Thema sei, während andere Länder in Europa wie die Schweiz und Dänemark ebenfalls aus der analogen Radiotechnik aussteigen wollen.