Analyse

1&1: Genügend Frequenzen für vier Handynetze

Scharfe Kritik aus Monta­baur: Trotz großer Frequenz­port­folios liege Deutsch­land bei der Netz­ver­füg­bar­keit hinter anderen großen euro­päi­schen Ländern zurück.
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Mythos 1: „Es gibt zu wenig Spek­trum für vier Anbieter“

Nach dem Wegfall von E-Plus gebe es seit dem Markt­ein­tritt von 1&1 auch in Deutsch­land wieder vier Netz­betreiber, so wie in allen anderen großen euro­päi­schen Ländern. Ein Vergleich der Frequenz­port­folios in anderen Ländern mit vier Netz­betrei­bern zeige, dass die drei etablierten deut­schen Netz­betreiber über deut­lich mehr Frequenzen als die jewei­ligen „Top-3-Anbieter“ in Europa verfügen. Konkret haben sie durch­schnitt­lich Zugriff auf 38 MHz mehr Spek­trum in Low-Band-Berei­chen und ihr Gesamt­port­folio ist sogar fast 120 MHz größer. Diese zusätz­liche Frequenz­aus­stat­tung wird in anderen Ländern typi­scher­weise von dem jeweils vierten Netz­betreiber gehalten.

„Dass vier Netze parallel und ohne die Gefahr von Funk­löchern und Kapa­zitäts­eng­pässen betrieben werden können, zeigt sich in den anderen groß­flä­chigen euro­päi­schen Ländern – egal ob Groß­bri­tan­nien, Frank­reich, Spanien, Italien oder Polen. Denn das Funk­spek­trum ist euro­paweit harmo­nisiert und in nahezu iden­tischer Menge verfügbar“, so Marc Eschen­burg, Partner bei Aetha-Consul­ting.

Spezi­elle Regeln für Neuein­steiger

1&1-Mobilfunkkunden können vorerst noch bei o2 oder Vodafone und später nur noch bei Vodafone roamen. 1&1-Mobilfunkkunden können vorerst noch bei o2 oder Vodafone und später nur noch bei Vodafone roamen.
Logos: Anbieter, Foto: o2, Montage: teltarif.de
„Um den Weg zu bereiten, dass auch Deutsch­land wieder über vier Mobil­funk­netze verfügt, hat die Bundes­netz­agentur bei der 5G-Auktion 2019 spezi­elle Regeln für Neuein­steiger erlassen. 1&1 hat über eine Milli­arde Euro für erstes hoch­fre­quentes Spek­trum inves­tiert und sich darauf verlassen, dass Ende 2025 weitere Frequenzen verfügbar werden. So sahen es die Aukti­ons­bedin­gungen ausdrück­lich vor“, sagt Ralph Dommer­muth, CEO der 1&1 AG.

Vor allem befinden sich sämt­liche Low-Band-Frequenzen in den Händen der etablierten Netz­betreiber. Mit den 800-MHz-Frequenzen wird Ende 2025 ledig­lich ein Drittel der Low-Band-Frequenzen frei. Das heißt, Deut­sche Telekom, Voda­fone und Telefónica können ohnehin bis mindes­tens 2034 unein­geschränkt auf die anderen zwei Drittel bei 700 und 900 MHz zugreifen. Würde 1&1 bei der Frequenz­ver­gabe ausge­schlossen, wären wir für viele Jahre blockiert und könnten unser Netz nicht wett­bewerbs­fähig betreiben.“

Mythos 2: „Die etablierten Netz­betreiber nutzen ihre großen Frequenz­port­folios voll­umfäng­lich“

Low-Band-Frequenzen im Bereich 800 MHz sowie Mid-Band-Frequenzen im Bereich 1800 MHz und 2100 MHz werden von den etablierten Netz­betrei­bern weit­flä­chig effi­zient für die 4G- und 5G-Versor­gung einge­setzt. Jedoch werden Frequenzen im Bereich 700 MHz, 900 MHz, 1500 MHz und 2600 MHz an vielen Anten­nen­stand­orten nicht genutzt.

Im gesamten Low-Band-Bereich weist die Studie basie­rend auf Daten renom­mierter Mess­firmen auf, dass nur an fünf Prozent der deutsch­land­weiten Stand­orte mehr als 40 MHz der je etabliertem Netz­betreiber zur Verfü­gung stehenden 60-70 MHz einge­setzt werden. Ein Verzicht auf jeweils 20 MHz im Bereich der 700- oder 900-MHz-Frequenzen wäre demnach für jeden Netz­betreiber ohne signi­fikante Quali­täts­ein­schrän­kungen möglich. Auch die Versor­gungs­auf­lagen der BNetzA zur Bereit­stel­lung von Geschwin­dig­keiten von 100 MBit/s sind mit 40 MHz im Low-Band-Bereich erfüllbar.

Mythos 3: „Die großen Frequenz­port­folios der etablierten Netz­betreiber sind die Basis für eine hohe Netz­qua­lität in Deutsch­land.

Diese Netz­qua­lität wäre in Gefahr, so die etablierten Anbieter, wenn man insbe­son­dere das Low-Band-Spek­trum durch vier teile, dann drohten Funk­löcher“. Basie­rend auf Mess­daten unab­hän­giger Experten von OpenSignal und Ookla stellt die Aetha-Studie fest: Deutsch­land liegt trotz der (nach dem Wegfall von E-Plus) über­durch­schnitt­lich großen Frequenz­port­folios der drei etablierten Netz­betreiber bei der Netz­ver­füg­bar­keit im Vergleich mit anderen großen euro­päi­schen Ländern wie Spanien, Frank­reich, Groß­bri­tan­nien und Italien zurück. Auch bei der Daten­geschwin­dig­keit liegt Deutsch­land nur im Mittel­feld – und das trotz deut­lich gerin­gerem Daten­ver­kehr pro Kunde im Vergleich zu anderen euro­päi­schen Ländern.

Die großen Frequenz­port­folios der etablierten Netz­betreiber stünden demnach in keinem direkten Zusam­men­hang mit einer guten Netz­qua­lität. Insbe­son­dere bei der Daten­geschwin­dig­keit erzielten Länder mit klei­neren Port­folios per Netz­betreiber in der Regel höhere Werte. Der von Aetha erho­bene Bench­mark zeige zudem, dass es bei der Perfor­mance keine mess­baren Unter­schiede zwischen Ländern mit drei oder vier Mobil­funk­netzen gebe.

Studie: Bei voll­stän­digem Verlust von 800 MHz wären flächen­deckende Netze möglich

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass Deut­sche Telekom, Voda­fone und Telefónica ihre Netze selbst bei einem theo­reti­schen voll­stän­digen Verlust von 800-MHz-Frequenzen durch eine inten­sivere Nutzung ihrer weiteren Low-Band-Frequenzen flächen­deckend betreiben könnten. Aller­dings wäre es für den deut­schen Markt wesent­lich nütz­licher, die weniger genutzten 700- und 900-MHz-Frequenzen in die anste­hende Vergabe einzu­beziehen – wie 2022 bereits von der Bundes­netz­agentur ange­regt – um einen teuren Bieter­wett­streit und weit­rei­chende Umbau­maß­nahmen der bestehenden Netz­betreiber zu vermeiden.

Eine Verlän­gerung der Frequenzen allein zu Gunsten der drei etablierten Netz­betreiber würde dazu führen, dass wich­tige Teile der Low- und Mid-Band-Frequenzen poten­ziell lang­fristig weiter unge­nutzt bleiben. Gleich­zeitig würde sich die bestehende ungleiche Vertei­lung der Frequenzen zu Gunsten der etablierten Netz­betrei­bern im Vergleich zu 1&1 für viele Jahre zemen­tieren. Dies würde die Wett­bewerbs­fähig­keit des vierten Netz­betrei­bers unwei­ger­lich funda­mental einschränken.

Für alter­native Verga­bever­fahren offen

„Wenn wir fair behan­delt werden, stehen auch wir alter­nativen Verfahren zur Frequenz­ver­gabe offen gegen­über – dazu gehört auch die Verlän­gerung von Frequenz­rechten. Andere Länder machen es vor: Um einen fairen Wett­bewerb zu gewähr­leisten, erhielten beispiels­weise bei der Low-Band-Frequenz­ver­län­gerung in Frank­reich alle vier Netz­betreiber – inklu­sive des Neuein­stei­gers Free Mobile – den glei­chen Anteil an den zu verge­benden Frequenzen. Auch in Deutsch­land gibt es keinen Grund, warum eine faire Vertei­lung der Frequenzen nicht gelingen sollte“, so Ralph Dommer­muth CEO der 1&1 AG.

Wie diese Kritik zu verstehen ist und welche Optionen es gibt, erläu­tern wir auf der dritten Seite.

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