1&1: Genügend Frequenzen für vier Handynetze
Dieses Jahr wird die Bundesnetzagentur entscheiden, wie es mit der Frequenzvergabe im Lande weiter gehen soll. Der vierte Netzbetreiber 1&1 meldet sich mit einer Studie zu Wort, die kein gutes Haar an den etablierten Netzbetreibern lässt. Die Kernthese: "Es gibt nach wie vor genügend Frequenzen für vier Netze" und der Kernvorwurf: "Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica verfügen nach dem Wegfall von E-Plus über überdurchschnittlich große Frequenzportfolios im europäischen Vergleich". Und obwohl so viele Frequenzen zur Verfügung stünden, läge Deutschland bei der Netzverfügbarkeit hinter anderen großen europäischen Ländern zurück, denn Teile der Mid- und Low-Band-Frequenzen würden derzeit nicht effizient eingesetzt.
Daraus leitet 1&1 die Forderung ab, dass die bevorstehende Frequenzvergabe "sowohl im Sinne des Wettbewerbs als auch einer effizienten Nutzung die Bedarfe aller Netzbetreiber berücksichtigen". Doch keine Angst: Andere große europäische Länder mit vier Anbietern machten es vor - auch in Deutschland gebe es keinen Grund, warum eine faire Verteilung der Frequenzen nicht gelingen sollte.
Vier Netze "voll funktionsfähig"
Der Netzbetreiber 1&1 hat eine Studie erstellen lassen, welche die "gerechte Verteilung" von Low-Band-Frequenzen unterstreichen soll.
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Deutschland hat wieder vier Mobilfunknetze, sagt der vierte Netzbetreiber 1&1, und erklärt sein Netz als "seit Dezember 2023 voll funktionsfähig". Dabei betont 1&1, "als erster Anbieter in Europa" auf die Cloud-native Open-RAN-Technologie zu setzen, die unabhängig von spezialisierten Netzausrüstern wie z.B. Huawei und für "Anwendungen in Echtzeit" vorbereitet sei.
Diskriminierungsfreier Zugang
Trotzdem sei der "diskriminierungsfreie Zugang zu Funkfrequenzen" auch für 1&1 eine zentrale Voraussetzung für einen wettbewerbsfähigen Netzbetrieb. Im Auftrag des Netzbetreibers 1&1 hat die Beratungsgesellschaft Aetha Consulting die „Frequenzsituation in Deutschland vor der anstehenden Frequenzvergabe 2024/25“ beleuchtet. Sie kommt zu dem Schluss, dass bei der anstehenden Frequenzvergabe im Sinne eines lebendigen Wettbewerbs und einer effizienten Frequenznutzung alle vier Netzbetreiber fair berücksichtigt werden müssen.
Damit würden die Argumente von Deutscher Telekom, Vodafone und Telefónica, die für eine einseitige Verlängerung ihrer Ende 2025 auslaufenden Nutzungsrechte ohne Berücksichtigung von 1&1, entkräftet.
Die Ausgangslage
Im regulären Vergabezyklus der Bundesnetzagentur (BNetzA) stehen ab Januar 2026 neben 240 MHz an sogenanntem "Mid-Band-Spektrum" (auf 1800 MHz/Band 3 und auf 2600 MHz/Band 7) auch 60 MHz an Low-Band-Frequenzen im Bereich 800 MHz (Band 20) zur Verfügung (700 MHz/Band 28 und 900 MHz/ Band 8 kommen erst später dran). Diese Bandbreiten sieht 1&1 sowohl für die Netzabdeckung und Versorgung in Innenräumen dicht besiedelter städtischer Gebiete als auch für die Bereitstellung ausreichender Datengeschwindigkeiten und Netzkapazitäten als "unabdingbar" und somit seien sie für alle Netzbetreiber "von hoher Bedeutung".
In einem aktuellen Konsultationspapier der BNetzA wurde anstatt der üblichen Frequenzauktion erstmals eine Verlängerung auslaufender Frequenzrechte von Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica erwogen. Dies käme einer Subventionierung der drei etablierten Netzbetreiber in Milliardenhöhe gleich, stellt 1&1 in einer Presseerklärung fest.
Stellungnahmen erwünscht
Im Rahmen der Konsultation hat die BNetzA Stellungnahmen von Unternehmen, Politik, Verbänden, Behörden, Stadtnetzen und weiteren Marktteilnehmern erhalten. Darin plädieren Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica für die Verlängerung ihrer Frequenznutzungsrechte ohne Berücksichtigung der Frequenzbedarfe von 1&1, während sich "36 andere Stakeholder" für die Berücksichtigung der Interessen des Neueinsteigers aussprächen.
Die Mythen zur Frequenznutzung
Mythos 1: „Es gibt zu wenig Spektrum für vier Anbieter“
Nach dem Wegfall von E-Plus gebe es seit dem Markteintritt von 1&1 auch in Deutschland wieder vier Netzbetreiber, so wie in allen anderen großen europäischen Ländern. Ein Vergleich der Frequenzportfolios in anderen Ländern mit vier Netzbetreibern zeige, dass die drei etablierten deutschen Netzbetreiber über deutlich mehr Frequenzen als die jeweiligen „Top-3-Anbieter“ in Europa verfügen. Konkret haben sie durchschnittlich Zugriff auf 38 MHz mehr Spektrum in Low-Band-Bereichen und ihr Gesamtportfolio ist sogar fast 120 MHz größer. Diese zusätzliche Frequenzausstattung wird in anderen Ländern typischerweise von dem jeweils vierten Netzbetreiber gehalten.
„Dass vier Netze parallel und ohne die Gefahr von Funklöchern und Kapazitätsengpässen betrieben werden können, zeigt sich in den anderen großflächigen europäischen Ländern – egal ob Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien oder Polen. Denn das Funkspektrum ist europaweit harmonisiert und in nahezu identischer Menge verfügbar“, so Marc Eschenburg, Partner bei Aetha-Consulting.
Spezielle Regeln für Neueinsteiger
1&1-Mobilfunkkunden können vorerst noch bei o2 oder Vodafone und später nur noch bei Vodafone roamen.
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„Um den Weg zu bereiten, dass auch Deutschland wieder über vier Mobilfunknetze verfügt, hat die Bundesnetzagentur bei der 5G-Auktion 2019 spezielle Regeln für Neueinsteiger erlassen. 1&1 hat über eine Milliarde Euro für erstes hochfrequentes Spektrum investiert und sich darauf verlassen, dass Ende 2025 weitere Frequenzen verfügbar werden. So sahen es die Auktionsbedingungen ausdrücklich vor“, sagt Ralph Dommermuth, CEO der 1&1 AG.
Vor allem befinden sich sämtliche Low-Band-Frequenzen in den Händen der etablierten Netzbetreiber. Mit den 800-MHz-Frequenzen wird Ende 2025 lediglich ein Drittel der Low-Band-Frequenzen frei. Das heißt, Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica können ohnehin bis mindestens 2034 uneingeschränkt auf die anderen zwei Drittel bei 700 und 900 MHz zugreifen. Würde 1&1 bei der Frequenzvergabe ausgeschlossen, wären wir für viele Jahre blockiert und könnten unser Netz nicht wettbewerbsfähig betreiben.“
Mythos 2: „Die etablierten Netzbetreiber nutzen ihre großen Frequenzportfolios vollumfänglich“
Low-Band-Frequenzen im Bereich 800 MHz sowie Mid-Band-Frequenzen im Bereich 1800 MHz und 2100 MHz werden von den etablierten Netzbetreibern weitflächig effizient für die 4G- und 5G-Versorgung eingesetzt. Jedoch werden Frequenzen im Bereich 700 MHz, 900 MHz, 1500 MHz und 2600 MHz an vielen Antennenstandorten nicht genutzt.
Im gesamten Low-Band-Bereich weist die Studie basierend auf Daten renommierter Messfirmen auf, dass nur an fünf Prozent der deutschlandweiten Standorte mehr als 40 MHz der je etabliertem Netzbetreiber zur Verfügung stehenden 60-70 MHz eingesetzt werden. Ein Verzicht auf jeweils 20 MHz im Bereich der 700- oder 900-MHz-Frequenzen wäre demnach für jeden Netzbetreiber ohne signifikante Qualitätseinschränkungen möglich. Auch die Versorgungsauflagen der BNetzA zur Bereitstellung von Geschwindigkeiten von 100 MBit/s sind mit 40 MHz im Low-Band-Bereich erfüllbar.
Mythos 3: „Die großen Frequenzportfolios der etablierten Netzbetreiber sind die Basis für eine hohe Netzqualität in Deutschland.
Diese Netzqualität wäre in Gefahr, so die etablierten Anbieter, wenn man insbesondere das Low-Band-Spektrum durch vier teile, dann drohten Funklöcher“. Basierend auf Messdaten unabhängiger Experten von OpenSignal und Ookla stellt die Aetha-Studie fest: Deutschland liegt trotz der (nach dem Wegfall von E-Plus) überdurchschnittlich großen Frequenzportfolios der drei etablierten Netzbetreiber bei der Netzverfügbarkeit im Vergleich mit anderen großen europäischen Ländern wie Spanien, Frankreich, Großbritannien und Italien zurück. Auch bei der Datengeschwindigkeit liegt Deutschland nur im Mittelfeld – und das trotz deutlich geringerem Datenverkehr pro Kunde im Vergleich zu anderen europäischen Ländern.
Die großen Frequenzportfolios der etablierten Netzbetreiber stünden demnach in keinem direkten Zusammenhang mit einer guten Netzqualität. Insbesondere bei der Datengeschwindigkeit erzielten Länder mit kleineren Portfolios per Netzbetreiber in der Regel höhere Werte. Der von Aetha erhobene Benchmark zeige zudem, dass es bei der Performance keine messbaren Unterschiede zwischen Ländern mit drei oder vier Mobilfunknetzen gebe.
Studie: Bei vollständigem Verlust von 800 MHz wären flächendeckende Netze möglich
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica ihre Netze selbst bei einem theoretischen vollständigen Verlust von 800-MHz-Frequenzen durch eine intensivere Nutzung ihrer weiteren Low-Band-Frequenzen flächendeckend betreiben könnten. Allerdings wäre es für den deutschen Markt wesentlich nützlicher, die weniger genutzten 700- und 900-MHz-Frequenzen in die anstehende Vergabe einzubeziehen – wie 2022 bereits von der Bundesnetzagentur angeregt – um einen teuren Bieterwettstreit und weitreichende Umbaumaßnahmen der bestehenden Netzbetreiber zu vermeiden.
Eine Verlängerung der Frequenzen allein zu Gunsten der drei etablierten Netzbetreiber würde dazu führen, dass wichtige Teile der Low- und Mid-Band-Frequenzen potenziell langfristig weiter ungenutzt bleiben. Gleichzeitig würde sich die bestehende ungleiche Verteilung der Frequenzen zu Gunsten der etablierten Netzbetreibern im Vergleich zu 1&1 für viele Jahre zementieren. Dies würde die Wettbewerbsfähigkeit des vierten Netzbetreibers unweigerlich fundamental einschränken.
Für alternative Vergabeverfahren offen
„Wenn wir fair behandelt werden, stehen auch wir alternativen Verfahren zur Frequenzvergabe offen gegenüber – dazu gehört auch die Verlängerung von Frequenzrechten. Andere Länder machen es vor: Um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten, erhielten beispielsweise bei der Low-Band-Frequenzverlängerung in Frankreich alle vier Netzbetreiber – inklusive des Neueinsteigers Free Mobile – den gleichen Anteil an den zu vergebenden Frequenzen. Auch in Deutschland gibt es keinen Grund, warum eine faire Verteilung der Frequenzen nicht gelingen sollte“, so Ralph Dommermuth CEO der 1&1 AG.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Die Gemengelage ist kompliziert. Es gab einmal vier Netzbetreiber, die sich zu drei Netzbetreibern zusammengeschlossen hatten. Dabei blieb die gesamte Kundenzahl aller drei gegenüber vorher vier im Wesentlichen gleich. Nun gibt es wieder vier Netzbetreiber, die Kundenzahl hat sich damit kaum geändert. Kunden, die Karten bei allen Anbietern hatten und jetzt doppelte Verträge/Karten kündigen, dürfte eher überschaubar sein.
Auktion - Vor- und Nachteile
Die ausstehende Frequenzvergabe könnte über eine Auktion erfolgen. Vier Netzbetreiber würden um die Frequenzen "prügeln" und es ist nicht auszuschließen, dass einer davon nicht ausreichend viele Frequenzen bekommt. Er könnte dann bei den Konkurrenten anfragen, ob er noch etwas dazu mieten kann oder er könnte aufgeben - sprich den Betrieb einstellen.
1&1 ist im Dezember 2023 gestartet und hat viel vor
Foto: 1&1
Der einzige Vorteil: Die Auktion wäre rechtssicher. Es gäbe dabei aber zwei Verlierer: Den Netzbetreiber, der nicht genug bekommen hat und die Kunden, die weiter unter löchrigen Netzen leiden müssen, weil das für den Ausbau notwendige Geld in einer Auktion "verbraten" wurde.
Frequenzvergabe nach Kundenzahl
Die Bundesnetzagentur könnte die Frequenzen im Verhältnis der aktuellen Kundenzahl (Verträge, SIM-Karten, anderes Kriterium?) verteilen. Die Frage bleibt, ob das rechtssicher möglich wäre. Langjährige Rechtsstreitigkeiten brächten den Kunden keine Vorteile und wären auch teuer.
Die Kunden von 1&1 telefonieren und surfen aktuell noch im wesentlichen im Handynetz von o2-Telefónica und bald nur noch im Funknetz von Vodafone, also auf deren bereits zugeteilten Frequenzen. Diese Anteile müsste man bei der bevorstehenden Frequenzvergabe berücksichtigen.
Der Netzaufbau von 1&1 ist mit großen Verzögerungen gestartet und steckt flächenmäßig noch in den Kinderschuhen. Das aktuelle Ziel sind 50 Prozent der Bevölkerung selbst zu versorgen. Und danach?
Durchatmen und kooperieren
Die etablierten Anbieter könnten tief durchatmen und in bilateralen Verträgen dem Neueinsteiger regional notwendige Frequenzen vermieten, wobei die Frage zu klären wäre, wie hoch die Miete sein darf. 1&1 bräuchte ja im Moment genau dort Frequenzen, wo sie Bereiche ausbauen wollen, wo die etablierten bislang gar nicht oder nur schlecht versorgen. Langfristig werden die Karten neu gemischt.
Mögliche Frequenzen
1&1 kritisiert die Nichtnutzung bestimmter Frequenzen. Auf 1500 MHz ist z.B. nur ein Downlink möglich, für den Uplink müssen andere Frequenzen herhalten. 1500 MHz ist für FWA (Internetzugang daheim über Mobilfunk) interessant und da hat 1&1 einiges vor.
Auf 900 MHz könnte eine gemeinsame GSM-Netzgesellschaft einen Teil der Frequenzen freiräumen, die mit Segen der Netzagentur im Auftrag von Telekom, Vodafone und o2 übergangsweise ein gemeinsames GSM-Netz für IoT und eCall-Notrufe anbieten könnte. Bei den etablierten Anbietern besteht aber - trotz mehrfacher Nachfrage von teltarif.de - derzeit wenig Neigung, diesen kreativen Vorschlag aufzugreifen. Vielleicht, weil die notwendige Umrüstung teuer wäre und das Ende von GSM (2G) ohnehin nur eine Frage der Zeit ist.
Kunde will Flächendeckung
Der Kunde möchte endlich "flächendeckendes Netz", also da, wo er lebt, arbeitet, Urlaub macht und insbesondere auf den Wegen dorthin. In anderen Länden arbeiten die Netzbetreiber ohne großes Aufsehen viel intensiver zusammen und helfen sich gegenseitig mit Standorten, Sendeanlagen (z.B. MOCN oder MORAN) aus. In Frankreich gibt es wohl eine relativ unbekannte staatliche Netzgesellschaft, die abgelegene Regionen selbst versorgt und dann alle Netzbetreiber darin roamen lässt, der Kunde bekommt davon in der Regel nichts mit.
Es wäre an der Zeit, im Interesse der Kunden gemeinsame Lösungen zu finden. Die Politik wollte vier Netzbetreiber. Das sollten alle Netzbetreiber akzeptieren und sich zusammenraufen. Die Kunden werden früher oder später mit den Füßen abstimmen, welches Netz oder welcher Anbieter für sie "am besten" in Frage kommt.
Zum konkreten Netzausbau meldet 1&1 noch nichts, aber aufmerksame Leser finden viele neue Stationen.