Editorial: Digitale Dividende, die Dritte
Die Digitale Dividende
Foto: Telefonica
Es war nur eine Frage der Zeit, bis nach der ersten und zweiten
Digitalen Dividende
der Ruf nach der Umwidmung weiterer Fernseh- zu Mobilfunkfrequenzen
ertönt. Die Gründe dafür sind schnell aufgezählt: Die Bedeutung des
linearen Fernsehens nimmt weltweit ab, zudem nimmt auch die Bedeutung des
Verbreitungswegs "terrestrisches Antennenfernsehen" im Vergleich zu
den anderen Kanälen (Satellit, Kabel, IPTV etc.) ab. Zugleich werden
immer mehr Daten mobil übertragen. Warum also die Frequenzen nicht
denjenigen überlassen, die diese am dringendsten benötigen und am besten
dafür bezahlen?
Nun, ganz so einfach ist die Situation nicht, wie Mobilfunk-Experte und -Branchenbeobachter Prof. Dr. Torsten J. Gerpett vollkommen zu Recht ausführt: Allem Gerede über die Notwendigkeit der "Digitalen Dividende" zum Tilgen der "Weißen Flecken" von den Mobilfunk-Abdeckungskarten gibt es diese Weißen Flecken nämlich bis heute, und das nicht zu knapp. Immer wieder bemerken die Verbraucher zudem, dass die Weißen Flecken vielerorts sogar wachsen. Denn wenn die Nutzer in einer Zelle immer mehr Daten übertragen, die Kapazität der Zelle aber nicht erweitert wird, dann landen immer mehr Nutzer am Zellenrand im faktischen Funkloch: Formal haben sie zwar noch ein oder zwei Balken Empfang, aber real geht (fast) nichts mehr. WhatsApp-Nachrichten sind dann schonmal mehrere Minuten unterwegs, und Bilder brechen mehrfach ab, bevor irgendwann die Übertragung doch gelingt.
Schaut man in solchen Regionen mit sich verschlechternder Versorgungslage in einen Netmonitor, sieht man meist nur wenige Frequenzbänder. Obwohl alle drei Netzbetreiber für viel Geld Lizenzen erworben haben, um 4G- und 5G-Dienste bei 700, 800 und 900 MHz aufzuschalten, ist oft genug nur 4G/LTE bei 800 MHz verfügbar, zudem einige Träger GSM rund um 900 MHz. Letzteres eignet sich angesichts heute benötigter Datenraten sowieso nur noch für Sprachübertragungen, und der eine LTE-Carrier ist dann eben zu wenig für alle Daten in der Zelle.
Luxus Netzausbau
Die Digitale Dividende
Foto: Telefonica
Doch warum schalten die Netzbetreiber nicht einfach noch 700 MHz
auf und widmen einen Teil von GSM-900 auf LTE-900 um? Nun, ein Problem
ist, dass wegen der schrittweisen Zuteilung der Frequenzen
(die Bänder bei 900 MHz schon vor Urzeiten an GSM, später dann
Frequenzen bei 800 MHz im Rahmen der ersten Digitalen Dividende
für LTE, später 700 MHz zur zweiten Digitalen Dividende für
LTE oder 5G) auch die Technik schrittweise weiterentwickelt wurde:
Eine alte LTE-Basisstation und eine alte 800-MHz-Antenne sind beide
nicht für das 700-MHz-Band geeignet. Erst recht kann alte GSM-Technik
nicht für einen GSM/LTE-Mischbetrieb umgerüstet werden, obwohl dieser
aufgrund des GSM-Kanalrasters von 0,2 MHz grundsätzlich möglich
ist.
Bevor der Netzbetreiber nun in eine Extra-Antenne und Extra-Basisstation nur für 700 MHz investiert, möchte dieser auch sicherstellen, dass seine Investition zukunftssicher ist. Angesichts der derzeit schnell zunehmenden Verbreitung von 5G-Diensten ist aber eine reine 4G-Investition alles andere als langlebig. Wenn man dann aber gleich in 5G investiert, dann sagt der Ausrüster dem Netzbetreiber, dass eine einzelne 700-MHz-Antenne für 5G sich nicht besonders rechnet, weil man nur einen klitzekleinen Teil der möglichen Bandbreite und der Kapazität der Basisstation nutzt. Wenn schon 5G, dann richtig, mit Trägern bei 700, 2100, 2600 und 3600 MHz. Und da damit auch die mögliche Gesamtdatenrate förmlich explodiert, braucht man auch erstmal eine neue Glasfaseranbindung für den Mobilfunkturm.
Es wird klar: Aus dem "schnell mal ein bisschen Kapazität ausbauen" wird faktisch ein veritabler Neubau der Anlage, bei dem man auch die alten GSM- und LTE-Basisstationen ersetzt, damit diese künftig flexibel nach Bedarf auf 5G upgegradet werden können. Außer dem physischen Mobilfunkturm bleibt an dem Standort nichts erhalten: Alle alten Server, Antennen und Kabel müssen raus und durch neue ersetzt werden. Und diese Investition lohnt sich am Touristen-Hotspot mit täglich unzähligen Stunden Roaming-Telefonat und Gigabyte an Datentransfers auf relativ hochpreisigen Touristen-SIMs garantiert eher als in ländlichen Gebieten mit vielen vielgenutzten Festnetzersatz-Flatrates.
Wettbewerb nach unten
In den genannten, von den Netzbetreibern eher vernachlässigten Gebieten, kommt es oft auch zu einem "Wettbewerb nach unten": "Wieso soll ich meine Zelle ausbauen, wenn bei den Konkurrenten die Netzqualität auch nicht besser ist, oder die Konkurrenz sogar vor Ort gar nicht vertreten ist?" Selbst, wenn man Netzbetreiber in einer Exklusiv-Region gut verdienen, rechnen sie sich oft aus, dass sich zusätzliche Investionen nicht rechnen, weil diese nur kaum zusätzliche Umsätze bringen werden: Wenn eh jeder mangels Alternativen eine Flatrate von Netzbetreiber X hat, dann bedeutet mehr Kapazität zwar ein Ende des Datenstaus und jeder Menge zusätzlicher Transfers, aber keine zusätzlichen Umsätze.
Aufgabe der Politik
Wege aus diesen Dilemmas muss die Politik finden. Sie kann die Netzbetreiber über geeignete Auflagen bei der Vergabe der Frequenzen zu einer guten Netzqualität zwingen. Sie kann über staatliche Infrastrukturgesellschaften, deren Kosten schlussendlich von den Netzbetreibern übernommen werden müssen, überall dort ausbauen, wo es die Netzbetreiber nicht selber tun.
Die Politik kann auch die Netzbetreiber zu mehr Kooperation anhalten: Wenn in einer ländlichen Region ein Betreiber, der dort alleine tätig ist, die drei LTE-800-Bänder aller drei Netzbetreiber über eine Basisstation aussendet, dann bringt das ähnlich viel zusätzliche Kapazität, wie der oben beschriebene Baisstations-Umbau auf 700/800/900, bei einem Bruchteil der Kosten, weil 800er-Antenne und -Transceiver ja bereits vorhanden sind und die Verarbeitungskapazitäten für zusätzlich 2 x 10 MHz gepaart Basisband möglicherweise in der Basisstation bereits vorhanden sind (und selbst wenn nicht, dann eine alte LTE-800-Baseband-Unit, die beim 5G-Umbau an den besagten Hotspots ausgebaut wird, dann genau dafür hergenommen werden kann).
Nur eins ist klar: Die Politik muss sich erst ihrer eigenen Bedeutung beim Mobilfunk-Ausbau bewusst werden, und entsprechende Einflussmöglichkeiten auf die übernationalen Mobilfunkanbieter entwickeln, bevor sie weitere Frequenzen umwidmet. Der Vorschlag von Gerpott, die Entscheidung über die UHF-Bänder und die damit verbundene dritte Digitale Dividende erstmal zu vertagen, ist daher genau richtig. Bis 2030 sind diese Frequenzen dem Rundfunk gewidmet. Für die Zeit danach wird man sicher Alternativen finden, die muss man aber nicht schon jetzt festlegen.