Einschnitt

EU: Neue Regeln für Facebook, Amazon, Google & Co.

Mitunter gilt im Internet das Recht des Stär­keren. Das soll sich ändern. Die EU-Kommis­sion hat nun ein Paket vorge­stellt, das die Tech-Giganten in die Schranken weisen soll. Für Bürger und kleine Unter­nehmen soll alles besser werden.
Von dpa /

Margrethe Vestager, Vizepräsidentin der EU-Kommission Margrethe Vestager, Vizepräsidentin der EU-Kommission
Bild: picture alliance/dpa/AP Pool | Olivier Matthys
20 Jahre ist es her, dass die EU umfas­sende Spiel­regeln für digi­tale Dienste und Online-Platt­formen aufge­stellt hat - nun soll der digi­tale Raum in der EU gene­ral­über­holt werden. Denn in den vergan­genen zwei Jahr­zehnten sind nicht nur Amazon, Face­book und Google zu riesigen Konzernen heran­gewachsen. Soziale Netze werden von Hass­rede oder Fake-News-Kampa­gnen über­schwemmt und Markt­plätze von gefälschter Ware.

Nun hat die EU-Kommis­sion einen neuen Anlauf für fairere Bedin­gungen im Netz genommen. Es dürfte ein großer Einschnitt werden für das Internet, wie wir es kennen.

Was hat die EU-Kommis­sion vorge­stellt?

Margrethe Vestager, Vizepräsidentin der EU-Kommission Margrethe Vestager, Vizepräsidentin der EU-Kommission
Bild: picture alliance/dpa/AP Pool | Olivier Matthys
Genau genommen sind es zwei Vorschläge: das Gesetz über digi­tale Dienste (Digital Services Act, DSA) und das Gesetz über digi­tale Märkte (Digital Markets Act, DMA). Weniger Einfluss für die ganz Großen, mehr Chancen für die Kleinen und mehr Rechte für die Verbrau­cher - so stellt es sich die EU-Kommis­sion zumin­dest vor.

Mit diesem Ansatz will sie auch den digi­talen Raum auf globaler Ebene gestalten. Das Paket ist auch deshalb so wichtig, weil die EU-Gesetz­gebung der kommenden Jahre darauf aufbauen soll.

Warum sind die neuen Vorschläge aus Sicht der EU-Kommis­sion nötig?

Bislang gilt in der EU online mitunter das Recht des Stär­keren. Damit soll Schluss sein. Die EU-Kommis­sion bemüht sich zwar schon länger um einen konse­quen­teren Kurs gegen­über Face­book, Amazon, Google und Co. - setzt aber in vielen Punkten bislang auf Frei­wil­lig­keit, etwa bei der Bekämp­fung von Fake-News-Kampa­gnen in sozialen Netzen.

Zugleich verhängte die für Wett­bewerb zustän­dige Vize­prä­sidentin Margrethe Vestager Milli­arden­strafen etwa gegen Google und Amazon. Die Dänin warf den Unter­nehmen vor, ihre Markt­macht rechts­widrig genutzt zu haben. Das Problem: Derlei Strafen werden erst nach jahre­langer Unter­suchung verhängt. Mögliche Konkur­renten exis­tieren da viel­leicht nicht mehr.

Für Digital-Start-ups in der EU ist es zudem schwierig, weil sie es je nach Thema oft mit etli­chen Rechts­lagen zu tun haben. Das macht es aufwendig und unat­traktiv. Deutsch­land etwa ist zum Miss­fallen der EU-Kommis­sion mit dem Netz­werk­durch­set­zungs­gesetz gegen Hass­kri­mina­lität vorge­prescht. Große Unter­nehmen mit den nötigen Ressourcen können mit einem derlei frag­men­tierten Markt besser umgehen.

Wie will die EU-Kommis­sion nun gegen diese Probleme vorgehen?

Die Brüs­seler Behörde will mehrere Hebel ansetzen. Vestager als oberste Digital-Poli­tikerin der EU-Kommis­sion und Binnen­markt­kom­missar Thierry Breton sind zusammen zuständig. Der DSA geht gesell­schaft­liche Fragen an. Er sieht vor, dass alle Online-Platt­formen bestimmte Regeln beachten müssen - je größer die Platt­form, desto mehr Regeln.

Unter anderem sollen Werbung und Empfeh­lungs­algo­rithmen trans­parenter werden, ille­gale Inhalte sollen nach Kenntnis zügig gelöscht werden und Markt­plätze wie Amazon müssten ihre Anbieter künftig über­prüfen, damit weniger gefälschte Ware im Netz landet. Forscher sollen zudem mehr Zugang zu Daten bekommen.

Der DMA richtet sich gegen Gate­keeper - also beson­ders große Platt­formen mit rund 45 Millionen Nutzern oder mehr. Solche Unter­nehmen müssten bestimmte Anfor­derungen erfüllen. Dazu zählt etwa, dass die Daten von Anbie­tern, die die eigene Platt­form nutzen, nicht gegen eben diese Anbieter benutzt werden dürfen.

Auch müssten Gate­keeper, in bestimmten Situa­tionen die Inter­ope­rabi­lität mit den Diensten anderer - etwa klei­nerer - Unter­nehmen sicher­stellen. Sie dürften Nutzer zudem nicht daran hindern, vorin­stal­lierte Apps von Geräten zu löschen. Wer als solcher Gate­keeper gilt, legt die EU-Kommis­sion auf Grund­lage bestimmter Krite­rien fest.

Wie soll all das kontrol­liert werden? Und welche Strafen drohen?

Es drohen Strafen, die bei den großen Tech-Unter­nehmen in die Milli­arden gehen können. Unter dem DSA sollen es bis zu sechs Prozent des Jahres­umsatzes sein, unter dem DMA bis zu zehn Prozent. Als aller­letzte Lösung erwägt die EU-Kommis­sion auch die Zerschla­gung eines Unter­neh­mens. Die Höhe der Strafe hängt etwa von der Schwere und der Dauer des Regel­ver­stoßes ab.

Für die Regeln im DSA soll ein euro­päi­scher Ausschuss für digi­tale Dienste mit Koor­dinie­rungs­stellen in jedem EU-Staat gegründet werden. Für die Durch­set­zung der Regeln wäre dann das Land zuständig, in dem ein Unter­nehmen seinen Sitz hat - bei den großen Firmen ist das meist Irland oder Luxem­burg.

Was könnten die Vorschläge bedeuten?

Einfach wird es nicht, die Markt­macht der großen US-Konzerne einzu­hegen, die schon seit Monaten massiv für möglichst gefäl­lige Vorschläge aus Brüssel lobby­ieren. Und mit den bevor­ste­henden Verhand­lungen der EU-Staaten und des Euro­papar­laments dürfte die Lobby­schlacht jetzt erst beginnen.

Karan Bhatia von Google beklagte sogleich, die Vorschläge zielten offenbar "speziell auf eine Hand­voll Unter­nehmen" ab. Man werde sich weiter für solche Regeln einsetzen, die Inno­vationen unter­stützen, die zu mehr Verant­wor­tung führten und die wirt­schaft­liche Erho­lung zum Nutzen der euro­päi­schen Verbrau­cher und Unter­nehmen förderten.

Dabei bemühte sich die EU-Kommis­sion eifrig, ihre Vorschläge möglichst harmlos aussehen zu lassen: Breton betonte mehr­fach, sie rich­teten sich gegen kein bestimmtes Unter­nehmen. Sollten die neuen Regeln die Frag­men­tie­rung des digi­talen Binnen­markts beenden und fairere Bedin­gungen schaffen, könnten sie tatsäch­lich für mehr Wett­bewerb - und dadurch für mehr Inno­vation in Europa - sorgen.

Wie fallen die Reak­tionen aus? Und wie geht es jetzt weiter?

Dass die EU-Kommis­sion den Tech-Riesen zu Leibe rückt, wurde von Poli­tikern und Verbrau­cher­schüt­zern weit­gehend positiv aufge­nommen. Bis DSA und DMA Wirk­lich­keit sind, wird es aller­dings noch Jahre dauern. Erstmal stehen Verhand­lungen unter den EU-Staaten und im Euro­papar­lament an. Anschlie­ßend müssen Parla­ment und Mitglieds­staaten sich auf eine gemein­same Linie einigen.

Die EU mache sich nun daran, "die Verfas­sung des Inter­nets auf moderne Beine zu stellen", sagte der FDP-Euro­paab­geord­nete Moritz Körner (FDP). Alex­andra Geese (Grüne) sprach von "guten und rich­tigen Ansätzen". Doch sei "frag­lich, ob sie das Grund­pro­blem lösen: die enorm lukra­tive perso­nali­sierte Werbung, die auf dem Ausspähen von Menschen in allen Lebens­berei­chen beruht".

Tiemo Wölken (SPD) betonte, Europa bekomme nun "ein echtes digi­tales Grund­gesetz". An einigen Stellen sei die EU-Kommis­sion jedoch zu zaghaft. Andreas Schwab (CDU) sagte: "Ein fairer Wett­bewerb bedeutet, dass neue Unter­nehmen in den Markt kommen können, und dass Verbrau­chern eine Viel­falt im Angebot zur Verfü­gung steht. Beides werden wir mit dem Digital Markets Act sicher­stellen."

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