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Mitlesen bei Facebook & Co.: BND will soziale Netzwerke in Echtzeit ausforschen

Kurz vor dem Jahrestag der ersten NSA-Enthüllungen wird bekannt, dass der BND technisch aufrüstet. Der Auslandsgeheimdienst will Twitter, Facebook und Co. besser ausforschen. Kommentare könnten dann in Echtzeit mitgelesen werden.
Von Rita Deutschbein mit Material von dpa

BND will soziale Netzwerke in Echtzeit ausforschen BND will soziale Netzwerke in Echtzeit ausforschen
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Stellen Sie sich vor, Sie schreiben auf Facebook, Twitter oder anderen sozialen Netzwerken einen Kommentar und der Bundes­nachrichten­dienst (BND) sieht Ihnen dabei über die Schultern und liest mit - ob der verfasste Text nun vertraulich ist, oder nicht. Dieses Szenario könnte schon bald wahr werden, denn laut Informationen der Süddeutschen Zeitung, des NDR und WDR, will der BND technisch aufrüsten und die sozialen Netzwerke intensiver ins Visier nehmen. Soziale Netzwerke sollen so künftig in Echtzeit ausgeforscht werden können, also noch während die Nutzer aktiv sind. Das gehe aus mehreren vertraulichen Unterlagen des BND hervor, so die Medien. Die Pläne seien Teil eines größeren Programms zur technischen Modernisierung. Linke und Grüne forderten, das Vorhaben sofort zu stoppen. Für sie gehört die Arbeit des BND im Ausland grundsätzlich auf den Prüfstand.

BND will soziale Netzwerke in Echtzeit ausforschen BND will soziale Netzwerke in Echtzeit ausforschen
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Der BND ist zuständig für die Beschaffung sicherheits- und außenpolitischer Informationen aus dem Ausland. Seit längerem gibt es bei dem Geheimdienst Pläne für größere technische Neuerungen. Dem Medienbericht zufolge will der BND nun bereits dieses Jahr seine Technik so verbessern, dass Weblogs, Foren und Portale wie Flickr, Facebook und Twitter systematisch ausgewertet werden können. Damit solle es etwa möglich sein, Stimmungen in der Bevölkerung anderer Staaten sofort in BND-Lagebilder einfließen zu lassen.

Kosten belaufen sich auf rund 300 Millionen Euro

Das Projekt sei Teil einer "Strategischen Initiative Technik". Die Kosten des Programms, das vorerst bis 2020 laufen solle, beziffere der BND insgesamt auf rund 300 Millionen Euro. Der Bundestag solle die Summe in den kommenden Wochen bewilligen.

Neben der verstärkten Internetüberwachung wolle der BND auch die Technik für Biometrie und automatische Bilderkennung verbessern. Laut Bericht verwies der BND Parlamentariern gegenüber darauf, dass befreundete ausländische Nachrichtendienste methodisch viel weiter seien - vor allem in den USA und Großbritannien. Aufrüstung sei dringend nötig.

Der BND wollte den Bericht nicht kommentieren. "Wir äußern uns zu Fragen unserer operativen Tätigkeit ausschließlich gegenüber der Bundesregierung und den zuständigen geheim tagenden Gremien des Bundestags", sagte ein BND-Sprecher der dpa.

Vorbild NSA?

In der Tat spielt die Technik für Biometrie und automatische Bilderkennung in den USA eine große Rolle. Laut neuesten Snowden-Enthüllungen greift die NSA Massen an Bildern aus dem Internet ab, um sie mit Gesichtserkennungssoftware zu prüfen. Der US-Geheimdienst hoffe, mit Hilfe der Technologie das Auffinden von Zielpersonen rund um die Welt zu revolutionieren, schreibt die New York Times. Laut Unterlagen aus dem Jahr 2011 sammelt die NSA täglich Millionen Bilder, davon hätten rund 55 000 eine für Gesichtserkennung geeignete Qualität. Genauso jage der Dienst der Spur von Fingerabdrücken und anderen biometrischen Daten hinterher, hieß es unter Berufung auf Papiere aus dem Fundus des Informanten Edward Snowden.

Die wichtigste Gesichtserkennungssoftware der NSA trage den Namen "Tundra Freeze" und kann laut dem Beispiel in einem Dokument eine Person auch erkennen, wenn sie sich die Haare abrasiert. Zugleich wird an anderer Stelle eingeräumt, dass Bärte das Programm verwirren können.

Eine NSA-Sprecherin wollte sich auf Anfrage der Zeitung nicht dazu äußern, ob der Dienst Zugang zur Datenbank des US-Außenministeriums habe, in der Bilder zu Visa-Anträgen gespeichert werden, - und ob er Fotos aus Online-Netzwerken abgreife.

Die Kommunikation von Ausländern im Ausland steht im Visier

Aus Sicherheitskreisen hieß es am Abend in Bezug auf das Mitlesen in sozialen Netzwerken, es dürfe kein Missverständnis entstehen. "Es geht mitnichten um die Kommunikation der deutschen Bevölkerung." Vielmehr gehe es um Kommunikation von Ausländern im Ausland, die für die Sicherheit Deutschlands relevant sei. Ziel sei beispielsweise, einen zweiten arabischen Frühling oder andere bedeutsame Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen.

Die Opposition will die BND-Aufrüstung nicht hinnehmen. Die Linke forderte, die Pläne umgehend zu stoppen. "Die Linke wird alles tun, um diesen Irrsinn zu verhindern", sagte Fraktionsvize Jan Korte. Er rügte, der Sicherheitsapparat solle in ungekanntem Maße aufgerüstet werden - ausgerechnet jetzt, fast genau ein Jahr nach den ersten Enthüllungen über die Spähaffäre rund um den US-Geheimdienst NSA.

Forderung: BND muss auf den Prüfstand

Auch die Grünen kündigten Widerstand an. "Bevor neue technische Möglichkeiten geschaffen werden, muss die Arbeit des BND im Ausland grundsätzlich auf den Prüfstand", sagte der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele der dpa. Er sitzt für die Grünen im Geheimdienstkontrollgremium und auch im NSA-Untersuchungsausschuss.

Vor wenigen Tagen hatten Verfassungsrechtler im NSA-Ausschuss beklagt, der BND operiere bei der Auslandsaufklärung weitgehend im rechtsfreien Raum und ohne ausreichende Gesetzesgrundlage. Der Dienst könne nahezu nach Belieben Daten sammeln und auswerten - ähnlich wie die NSA.

Ströbele nannte die Gutachten der Juristen alarmierend. Die Regierung müsse dringend reagieren. Für die Auslandsaufklärung des BND sei eine neue gesetzliche Grundlage nötig, die Grenzen setze. Ströbele kündigte an, dies im Kontrollgremium zur Sprache zu bringen. Wenn sich dort nichts tue und auch die Regierung nicht tätig werde, behalte sich die Grünen-Fraktion vor, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Auch Korte sagte, alles deute darauf hin, dass die BND-Abhörpraxis verfassungswidrig sei.

Der Unions-Innenpolitiker Stephan Mayer (CSU) sagte dagegen im Deutschlandfunk, moderne, effektive und zeitgemäß arbeitende Nachrichtendienste seien im nationalen Interesse. Daher sei es auch gerechtfertigt und nötig, sie technisch aufzurüsten und auf dem aktuellen Stand zu halten.

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