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Urteil: Onlineportal für Nutzer-Beleidigungen verantwortlich

Die Online-Kritik an einem Fährschiffer fiel unflätig und beleidigend aus. Er kann dafür Schadensersatz verlangen, urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Doch im Gegensatz zum EuGH-Urteil zum "Recht auf Vergessen" sind die Folgen weniger weitreichend.
Von dpa / Paulina Heinze

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Internetportal für Nutzer-Beleidigungen verantwortlich
Bild: dpa
Eine Nachrichten­webseite aus Estland ist für anonyme Kommentare verantwortlich und muss Bedrohungen und Hetze auch ohne einen Hinweis von Betroffenen löschen. Eine Forderung von Schadens­ersatz gegen das Portal sei daher rechtens, entschied der Europäische Gerichtshof für Menschen­rechte heute in Straßburg.

Das Urteil gilt für den konkreten Fall und muss in anderen Staaten bei einer anderen rechtlichen Ausgangs­position so nicht umgesetzt werden. Das Gericht befand jedoch auch, dass die geschützte Meinungs­freiheit nicht eingeschränkt werde, wenn Mitglieds­staaten die Betreiber von Webseiten zum Entfernen von offenkundig rechtswidrigen Kommentaren verpflichten.

Anfeindungen gegen einen Fährschiffer in Estland

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Internetportal für Nutzer-Beleidigungen verantwortlich
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Der Fall betraf wütende und unflätige Anfeindungen gegen einen Fährschiffer, die anonyme Verfasser auf einer großen estnischen Nachrichten­webseite hinter­lassen hatten. Bei dem Streit ging es um die Frage, ob in Estland Fähren vor der Küste das Eis brechen und eine Auto-Überfahrt unmöglich machen dürfen. Gerichte des Landes hatten den Betreiber des Nachrichten­portals, die Delfi AS, deswegen zu einer Geldstrafe verurteilt.

Die Nachrichten­seite hatte die anstößigen Kommentare erst entfernt, nachdem Anwälte des Opfers dies gefordert hatten. Dies ist das gängige Verfahren auch in Deutschland. Das bestätigten die Straßburger Richter im Prinzip. Allerdings hätten die Kommentare in diesem Fall "Hetze und direkte Drohungen gegen die körperliche Unversehrtheit von Personen" enthalten. In einer solchen Situation könnten die Betreiber von Portalen verpflichtet werden, die Drohungen auch ohne einen Hinweis von Betroffenen zu entfernen.

Das Gericht verlangte nicht, dass Webseiten alle Wortmeldungen von vornherein filtern müssten. Das würde die Meinungs­freiheit auf Nachrichten­seiten zu stark einschränken. Die Richter erklärten, dass ihr Urteil nicht für andere Diskussions­foren oder Online-Netzwerke gelte.

Allerdings wäre Delfi nach Meinung der Richter durchaus in der Lage gewesen, schneller zu handeln. Der Betreiber habe die technischen Möglichkeiten gehabt, Kommentare zu kontrollieren. Es gäbe ein automatisches Lösch­system, um vulgäre Begriffe heraus­zufiltern, und ein Warnsystem, mit dem andere Nutzer die Netz­verwalter über Beleidigungen informieren können. Außerdem habe die Nachrichten­seite auch in anderen Fällen von sich aus Kommentare gelöscht. Somit übten die Betreiber ein gewisses Maß an Kontrolle über den Kommentar­bereich aus.

Recht auf Meinungs­freiheit?

Delfi hatte vor dem Gerichtshof geklagt, weil es sein Recht auf Meinungs­freiheit verletzt sah. Diese Klage haben nun die 17 Richter der großen Kammer mit 15 gegen zwei Stimmen zurück­gewiesen. Das Urteil der estnischen Gerichte sei "eine berechtigte und angemessene Beschränkung der Meinungs­freiheit des Portals" gewesen, hieß es in der Urteils­begründung. Die vom estnischen Gericht verhängte Geldstrafe von umgerechnet 320 Euro sei nicht übertrieben.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist eine Instituition des Europarates, nicht der Europäischen Union (EU).

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