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Editorial: Verliebt in den Chat-Animateur

Premium-SMS-Chats: Wer profitiert?
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Viele Menschen sind scheu oder schüchtern. Ihnen bietet das Internet geradezu ideale Möglichkeiten, dennoch andere Menschen kennenzulernen: Man sieht ihnen die Angst nicht gleich an, und sie können selber bestimmen, wie viel sie wie schnell von sich preisgeben. Wollen sie einen Kontakt wieder beenden, ist auch das kein Problem, so lange er noch rein virtuell war: Schlimmstenfalls muss man sich eine neue Nutzerkennung auf den besuchten Chat- oder Dating-Seiten zulegen; auch E-Mail-Adressen kann man so schnell wechseln, wie seine Hemden.

Und so ist Partnersuche im Internet ein boomendes Geschäft. Einige Partnervermittlungsbörsen scheinen das Geschäft optimiert zu haben: Auf deren Seiten findet man zuhauf Anzeigen attraktiver Menschen, die eigentlich alles haben, wonach man sich sehnt, bis auf das eine: Den passenden Partner. Die Kontaktaufnahme ist ganz leicht: Nur schnell eine SMS an eine Kurzwahl, am Anfang die Anzeigennummer, vielleicht hat man ja Glück, und die oder der Angebetete antwortet.

Und man hat Glück: Nur wenige Minuten, und eine Antwort-SMS ist da. Der Mensch am anderen Ende erweist sich schnell als einfühlsam, liebenswert, umgänglich und aus der Nähe kommend. Einzig, da sie oder er schlechte Erfahrungen gesammelt hat, er möchte sich noch nicht treffen und auch nicht die Telefonnummer herausgeben. Man kann sich ja weiterhin per SMS über den Dienst unterhalten.

Was die Partnersuchenden oft erst merken, nachdem große Beträge für Premium-SMS draufgegangen sind: Den Traumpartner gibt es nicht. Die Anzeigen sind mit Model-Bildern und erfundenen Texten erstellt, die Antwort-SMS kommen von professionellen Animateuren, die pro Nachricht bezahlt werden, und sich so am Computer etwas Geld nebenher verdienen. So sind sie in mehreren Romanzen gleichzeitig; bei Schichtwechsel übernimmt der Kollege. Den Großteil des Geldes kassiert der Chatbetreiber.

Dem einträglichen Treiben bereitete die Staatsanwaltschaft Kiel anfangs des Monats nun ein jähes Ende, indem sie fünf Betreiber einschlägiger Dienste festnehmen ließ. Zudem gab es 40 Durchsuchungen von Büro- und Privaträumen; derzeit ist die Staatsanwaltschaft mit dem Auswerten des umfangreichen Materials beschäftigt.

Das Geschäft mit der Sehnsucht

Nun sind windige Geschäftemacher, die die Leiden einsamer Menschen für sich auszunutzen wissen, nichts Neues. Das beginnt mit diversen Heiratsvermittlern, die vorab trotz mangelnder Erfolgsaussichten hohe Vermittlungsprovisionen verlangen, und geht weiter über Magier, die gegen entsprechende Bezahlung verflossene Lieben "rückführen", bis hin zu knallharten Psychosekten, die sich weniger der für viel Geld versprochenen Öffnung des Einsamen zu seinen Mitmenschen als vielmehr seiner überstarken Bindung an die Sekte widmen.

Doch der Staat schaut der Geschäftemacherei mit der Einsamkeit weitgehend teilnahmslos zu. Im Zweifelsfall werden mehr Auflagen an Anbau und Verkauf von Gurken gestellt (diesbezüglich ist es schon als Erfolg zu werden, dass diese in der EU künftig auch wieder krumm sein dürfen) als an die Herstellung von angeblich glück- und partnerbringenden Talismännern. Und während normale Arzneimittel einen extrem aufwändigen Zulassungsprozess durchlaufen müssen, in dem Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nachzuweisen sind, kann jedermann einen "Liebestrunk" aus ein paar Kräutern mixen und zum freien Verkauf anbieten.

Entsprechend selten hört man, dass die zitierten Geschäftemacher vom Zivilgericht zur Rückzahlung des kassierten Geldes verdonnert wurden, oder gar vom Strafgericht zu einer Geldstrafe oder Haftstrafe verurteilt wurden. Offensichtlich herrscht hier das Prinzip vor: "Selber schuld, wer sich von solchen Quacksalbern etwas andrehen lässt". Hinzu kommt dann natürlich, dass sich die Nebenwirkungen von Psychokursen nicht so genau bestimmen lassen wie der Schadstoffgehalt von Gemüse.

Über die Stränge geschlagen

Insofern ist es schon als Erfolg zu werten, dass sich bezüglich der oben zitierten teuren Flirt-SMS die staatliche Ermittlungsmaschine in Gang gesetzt hat. Allzu schnell war sie nicht: Immerhin gab es erste Fälle von SMS-Spam, in denen man zum Rückruf aufgefordert wurde, um mit einem "persönlichen Verehrer" Kontakt aufzunehmen, und daraus resultierende Strafanzeigen bereits vor sechs Jahren. Das aktuelle Verfahren ist nach Auskunft der zuständigen Oberstaatsanwaltschaft dennoch das erste aus diesem Bereich mit Festnahmen.

In das Blickfeld der Ermittler dürften die Täter deswegen geraten sein, weil sie sich den Angaben zufolge nicht einmal darum bemühten, echt Kontaktsuchende aneinander zu vermitteln, sondern alle eingehenden SMS ausschließlich über eigene Angestellte beantworten ließen. Wenn sich dieses im weiteren Verfahren bestätigt, sollte kaum ein Weg an einer Verurteilung wegen Betruges vorbeiführen.

An den Pranger gehören aber nicht nur die Betreiber der arg virtuellen Kontaktbörse, sondern auch die Netzbetreiber, die an den Premium-SMS mitverdienen. Beschwerden über dubiose Diensteanbieter bekommen die Netzbetreiber genug. Doch statt besonders auffällige Nummern einfach abzuschalten, beschränken sie sich zumeist darauf, den am hartnäckigsten reklamierenden Kunden "aus Kulanz" eine Gutschrift über die Schadenshöhe "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" zukommen zu lassen. Der Diensteanbieter kann unterdessen weiter abkassieren, und der Netzbetreiber verdient mit.

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