Themenspezial: Verbraucher & Service Überwachung

Stasi: Für flächendeckende Überwachung war Telefon-Netz zu schlecht

Viele DDR-Bürger gingen davon aus, dass die Staatssicherheit beim Telefonieren mithörte. Doch das Knacken in der Leitung hatte andere Gründe - die Technik war so schlecht. Ein neues Buch erhellt ein wenig beleuchtetes Kapitel.
Von dpa /

Für flächendeckende Überwachung war das Telefon-Netz zu schlecht Stasi-Terror: Für flächendeckende Überwachung war das Telefon-Netz zu schlecht
Bild: BStU, MfS, HA III, Fo, Nr. 313, Bild 80 (Ausschnitt)
Heute telefoniere er viel seltener, sagt der einstige DDR-Bürgerrechtler Wolfgang Templin. Doch damals seien Telefonate mit Gleichgesinnten lebenswichtig gewesen - obwohl die Stasi mitlauschte. "Ich war mir sicher, dass ich abgehört werde. Da hab ich bei jedem Gespräch auch Grüße an die Genossen ausgerichtet", erinnert sich der heute 65-Jährige an den sarkastischen Schlenker von einst.

Knapp 25 Jahre nach dem Mauerfall wurde diese Woche in Berlin die Edition Fasse Dich kurz vorgestellt. Der dicke Wälzer ist eine erste Analyse zur Telefonüberwachung von DDR-Oppositionellen. Templin hat an dem Buch mitgearbeitet.

Zehntausende Abhörprotokolle zu Telefonaten von DDR-Bürgern

Für flächendeckende Überwachung war das Telefon-Netz zu schlecht Stasi-Terror: Für flächendeckende Überwachung war das Telefon-Netz zu schlecht
Bild: BStU, MfS, HA III, Fo, Nr. 313, Bild 80 (Ausschnitt)
Forscher der Stasi-Unterlagen-Behörde werteten akribisch Zehntausende Abhörprotokolle des Ministeriums für Staatssicherheit aus den 1980er Jahren aus. Bislang waren diese Quellen nur im Ausnahmefall nutzbar. Nun gaben Betroffene ihre Zustimmung - obwohl dadurch auch Details und Schwächen aus ihrem Privatleben sichtbar werden.

Autor Ilko-Sascha Kowalczuk sagt, die Stasi habe nicht nur Oppositionelle ausgespäht. Auch eigene Mitarbeiter wurden per Telefon auf ihre Treue überprüft. Die meisten Abhöraktionen seien ungesetzlich gewesen. Etliche Andersdenkende hätten das über Jahre aushalten müssen.

Für flächendeckendes Abhören war das Netz zu schlecht

Doch flächendeckend habe die Stasi die Telefonate ihrer Bürger nicht überwachen können - wegen des unterentwickelten Netzes. Nur 16 Prozent der Privathaushalte hatten einen Telefonanschluss, wie der Historiker sagt. Die Leute von Stasi-Minister Erich Mielke seien Ende der 80er Jahre in der Lage gewesen, 4 000 Anschlüsse gleichzeitig zu kontrollieren - auf Ost-Berlin entfielen allein 1 400.

Die Abteilung 26 des Geheimdienst-Ministeriums habe mitgeschnitten, erklärt Mitautor Arno Polzin. Da Kassetten selbst bei der Stasi knapp waren, seien besprochene schon bald neu eingelegt und überspielt worden. Nur zehn Prozent des abgehörten Materials wurde laut den Forschern "verschriftlicht". Extra "Auswerter" überlegten sich dann Strategien gegen Andersdenkende.

Ständige Vertretung der Bundesrepublik wurde ebenfalls belauscht

In dem Buch ist auch zu erfahren, dass Mitarbeiter der Abteilung 26 ungehindert bei der Deutschen Post in Ost-Berlin ein- und ausgingen. Sie schalteten sich demnach auch in die Telefonleitung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik. Sobald ein Beschäftigter dort eine Nummer in West-Berlin wählte, sprang ein Tonband mit an. Ende 1989 gab es etwa 200 Hauptamtliche beim Hauptsitz der Lausch-Abteilung.

Der einstige Oppositionelle und heutige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, bekräftigt, jedes Telefonat mit dem Westen sei eine mutige Tat gewesen. Es drohte auch Gefängnis - für ungesetzliche Verbindungsaufnahme gab es bis zu drei Jahre Haft.

Telefonate mit dem Westen als Lebensgefahr

Jahn hielt nach seiner gewaltsamen Abschiebung aus der DDR von West-Berlin aus den Kontakt zu Gleichgesinnten im Osten und telefonierte nachts auch stundenlang mit Wolfgang Templin. Er habe sich oft gefragt, ob er seine Freunde nicht zusätzlich in Gefahr bringe, erinnert sich Jahn. "Die Stasi hat aus den Telefonaten genau das rausgenommen, was sie für die Zersetzung brauchte." Über ihn sei in anonymen Briefen gestreut worden, er arbeite für westliche Geheimdienste.

Auch Rainer Eppelmann, damals Pfarrer in Ost-Berlin, musste unter den Ohren der Stasi telefonieren. "Wir waren so klug, nur das zu sagen, was Mielke auch hören konnte", meint der 71-Jährige. Doch nachts habe er anonyme Anrufe bekommen, bei denen am anderen Ende geschwiegen wurde. Schlimmer seien aber die Abhör-Wanzen in der Wohnung gewesen. Als er sie entdeckte, brachte er sie zur Staatsanwaltschaft.

Oppositionelle wurden Opfer anonymer Terror-Anrufe

Auch Templin hat unbekannte Anrufe mit Stöhnen oder Beschimpfungen erlebt - die ganze Palette des telefonischen Psychoterrors sei aufgeboten worden, hat er im Buch notiert. Doch die Oppositionellen waren der Stasi oft einen Schritt voraus: Material aus dem Westen oder Treffen seien über Kuriere vereinbart worden. Wer aber nur belanglose Gespräche führte, konnte mit Entzug des Telefonanschlusses bestraft werden, schreibt Templin.

Der ergraute Ex-Bürgerrechtler Gerd Poppe meint, das Buch zeige die Arbeitsweise einer Diktatur und was Menschen dagegen unternommen hätten. Er billige zwar nicht die Abhöraktionen des US-Geheimdienstes NSA - ein Vergleich mit der Stasi sei aber völlig überzogen. "Die Stasi hatte das Ziel, Gegner unschädlich zu machen." Das dürfe man nicht vergessen, so der 73-Jährige.

Mehr zum Thema Überwachung