IP-Umstellung: Der Notruf 112 wird digital
Blick in die integrierte Leitstelle der Feuerwehr München. Hier laufen alle Anrufe zur 112 und 19222 auf.
Foto: Leitstelle München
Kaum jemand weiß wahrscheinlich noch, dass in Deutschland diese Notrufnummer bereits seit 1948, aber anfangs nur regional, verwendet wird. Erst seit 1973 gilt sie wirklich bundesweit.
Damals waren die Rettungsleitstellen noch richtig klassisch mit analogen Telefonleitungen angeschlossen. Gut 20 Jahre später folgte die neuere Technik "ISDN" (= Integrated Services Digital Network).
Im allgemeinen Telefon-Netz wurde das Ende von ISDN schon lange eingeläutet, sehr zu Enttäuschung technisch interessierter oder höchstzufriedener ISDN-Kunden. Jetzt wird die letzte Bastion geschleift, der Notruf. Wie das gehen soll, beschreibt die Deutsche Telekom in ihrem Blog.
„112, The Next Generation“ startet
Blick in die integrierte Leitstelle der Feuerwehr München. Hier laufen alle Anrufe zur 112 und 19222 auf.
Foto: Leitstelle München
Nach über 25 Millionen Privatkunden, die jetzt nach der Umstellung auf die "moderne IP-Technik" schneller surfen oder mit besserer Sprachqualität telefonieren und mehr Komfort genießen können, transportiert die Deutsche Telekom jetzt auch die Rettungsleitstellen ins internetbasierte IP-Netz. IP steht für Internet-Protokoll.
Die Integrierte Leitstelle der Feuerwehr München
Am Beispiel der Leitstelle in München lässt sich zeigen, wie die IP-Umstellung des Notrufes 112 funktioniert. Mitarbeiter und Anrufer sollen von einem noch schnelleren, zuverlässigeren und flexibleren Notruf profitieren können.
Die Branddirektion München hat eine eigene „Telefonzentrale“, welche "Integrierte Leitstelle (ILS)" genannt wird. Hier laufen die Anrufe der 112 auf und hier koordinieren Disponenten/innen die Einsätze von Berufsfeuerwehr, Freiwilliger Feuerwehr und den Rettungsdiensten.
Alleine im Jahr 2019 gingen in München, genauer auf dem Gelände der Feuerwache 4 in München-Schwabing, über 1,1 Millionen Anrufe ein. Das bedeutet: Jeden Tag wurden im Raum München rund 3000 Mal die 112 und die Nummer für den Krankentransport 19222 angerufen.
Das Spektrum der Anrufe reichte dabei laut Jahresbericht 2019 der Branddirektion von 7167 Brandalarmen bis hin zu 1496 Kleintier-Rettungen. Dass die Erreichbarkeit der Rettungskräfte absolut zuverlässig funktionieren muss, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. In aller Regel geht es um medizinische Notfälle, um schwere Verkehrsunfälle und um Brände – und damit tagtäglich um Menschenleben.
Neue Technik für die Rettungskräfte
Die Münchner ILS ist die größte Leitstelle in Bayern, und eine der größten in ganz Deutschland. Sie ist seit Anfang Oktober 2020 bundesweit eine der ersten Leitstellen, welche eine eigens dafür entwickelte Lösung der Deutschen Telekom für Rettungsdienste auf Basis eines IP-Anschlusses mit doppelter Glasfaseranbindung nutzt.
Die Vorteile, die Privatkunden von der internetbasierten Technik kennen, also bessere Sprachqualität, neue Funktionen und mehr Komfort – sollen auch den anspruchsvollen Job der Rettungskräfte vereinfachen, die hier im Schichtbetrieb das ganze Jahr über 24 Stunden, sieben Tage die Woche erreichbar sind.
ISDN war sehr zuverlässig
Ganz klar: Die bisherigen ISDN-Anlagen haben zuverlässig funktioniert. Doch die Anruf-Kapazitäten wurden immer knapper, ebenso wie Ersatzteile. Und viele moderne Funktionen, die die 112 und die 19222 noch flexibler und leistungsfähiger machen können, waren bisher nicht möglich, sagen die Experten.
Mathias Duensing ist Leiter des Sachgebiets Vermittlungstechnik der Integrierten Leitstelle (ILS) bei der Feuerwehr in München, also dort für die Kommunikationstechnik verantwortlich. Er erklärt, auf was es bei der IP-Anbindung ankommt: „Oberste Priorität hat für uns die Ausfallsicherheit und Qualität der Anbindung. Die 112 muss zu jeder Zeit verfügbar sein und es darf auch bei Ausfällen von Komponenten oder dem berühmten Bagger in der Leitung zu keinen Gesprächsabrissen kommen. Aus diesem Grund haben wir uns in München für die "knoten- und kantendisjunkte" Anbindung sowohl der Leitstelle, als auch der Not-Leitstelle entschieden.
Wenn Sie jetzt nur noch "Bahnhof" verstehen: Ein Weg ist "kantendisjunkt", wenn keine Kante mehrfach durchlaufen wird und "knotendisjunkt", wenn er keinen Knoten mehrfach enthält. Ein "knotendisjunkter Weg" wird auch als "Pfad" bezeichnet. Oder einfacher gesagt: Wenn ein Mensch die 112 anruft, muss er oder sie eine zuverlässige Verbindung zur Leitstelle bekommen, egal wo er oder sie sich befinden.
Sechs Jahre Vorbereitung
Bereits vor Jahren, also 2014 hatte die Expertengruppe Notruf der Bundesländer mit den Vorbereitungen für die IP-Migration der Leitstellen begonnen. Dann im Jahre 2018 war die „Technische Richtlinie Notrufverbindungen 2.0“ fertig, die alle Anforderungen festschreibt.
Weitere 18 Monate später war der neue IP-Notrufanschluss einsatzbereit, den die Telekom und ihr Partner Eurofunk nach ausführlichen Funktions- und Lasttests nun in München in Betrieb nahmen. Eurofunk Kappacher ist ein Spezialunternehmen aus St. Johann im Pongau (Österreich) für Leitstellen-Technik.
Der IP-Notruf-Anschluss besteht aus dem neuen IP-Anschluss "Business Premium Access (BPA)" für Geschäftskunden der Telekom und aus dem Telefonie-Dienst "Leitstellensprachdienst 110/112 (LSSD)". Beide Komponenten sind maßgeschneidert aufeinander abgestimmt, erklärt die Telekom, denn "nur so kann das hohe Anrufvolumen störungsfrei verarbeitet werden."
„Die Herausforderung in diesem Projekt war, die höchsten Ansprüche an die Verfügbarkeit zu erfüllen und somit zuverlässige lebensrettende Notrufverbindungen sicherzustellen“, sagt Laura Braun, die verantwortliche Projektmanagerin der Telekom Business Solutions. „Garant für den Erfolg war die enge Zusammenarbeit am runden Tisch bei der Planung und Durchführung zwischen Leitstelle, Telekom und Eurofunk. Intensive Testreihen unter Einbeziehung aller denkbaren Ausfallszenarien und Lasttests legten die Basis für die erfolgreiche Inbetriebnahme in der Leitstelle München.“
Die neue 112: Das sind die Vorteile
Die integrierte Leitstelle befindet sich in der Feuerwache 4 in München-Schwabing.
Foto: Leitstelle München
Ein Vorteil ist trivial, aber wichtig: Die Rufnummer 112 ändert sich nicht. Dahinter arbeitet jetzt neue IP-Technik, welche die 112 "noch zuverlässiger, schneller und flexibler" machen soll. Und um auch weiterhin die geforderte ständige Erreichbarkeit des Notrufes zu sichern, stehen die Telekom-Experten des Leitstellenservice in Meschede (Nordrhein-Westfalen) den Leitstellen rund um die Uhr zur Seite.
Der BPA-Anschluss ist über zwei separate räumlich getrennte Glasfaserleitungen zur Leitstelle realisiert. Diese beiden Leitungen sind komplett voneinander getrennt und liegen mindestens drei Meter voneinander entfernt. Sie dürfen sich nicht kreuzen und führen an unterschiedlichen Orten in das Gebäude der Leitstelle. Selbst wenn ein Bagger eine Leitung erwischt, wird das Gespräch unterbrechungsfrei auf den zweiten Anschluss umgeschaltet. Dabei kommt es allenfalls zu einer Pause von zwei bis drei Sekunden im Gespräch, die der Anrufer kaum bemerkt. So geht kein Notruf mehr verloren. Durch diese einfache Maßnahme steigt die Verfügbarkeit der Notrufnummern auf bis zu 99,9 Prozent.
Privatkunden, deren Anschlüsse die Telekom bereits auf IP umgestellt hat, kennen die spürbar bessere Sprachqualität von "HD Voice". Wenn beide Gesprächspartner ein entsprechendes Festnetztelefon oder Smartphone benutzen, klingen die Anrufe so klar und deutlich, als würde man direkt nebeneinanderstehen. Diesen wesentlich besseren Klang bieten nun auch die Notrufe bei Leitstellen mit IP-Anbindung. Das sorgt für weniger Missverständnisse und für eine bessere Verständigung mit den meistens sehr aufgeregten Anrufern.
Höhere Kapazitäten, bessere Ortung der Anrufer
Bisher können in den Leitstellen an einem ISDN-Anlagenanschluss (für Geschäftskunden) nur dreißig (nicht zwei) Anrufer gleichzeitig bedient werden. Künftig steigt diese Zahl pro LSSD (Leitstellensprachdienst) auf bis zu 300 parallele Gespräche. Weitere Leitungen lassen sich kurzfristig dazuschalten.
Im Normalbetrieb sind solche enorm hohen Zahlen nicht notwendig. Aber im Krisenfall, wenn zum Beispiel Hotlines geschaltet werden müssen, können diese Kapazitäten und die Anbindung der Leitstelle per Gigabit-Internet die Kommunikation mit den Bürgern deutlich verbessern.
Die neue IP-Technik der Leitstellen ist schon jetzt darauf vorbereitet, dass die Anrufer künftig im Notfall auch automatisch ihren Standort übermitteln können. In Situationen, in denen Hilfesuchende oft gar nicht mehr wissen, wo sie sich genau befinden, sorgt das dafür, dass die Rettungskräfte definitiv an den richtigen Einsatzort ausrücken – und schneller helfen können.
Multimedia-Notruf?
Im Augenblick beschränkt sich ein Notruf noch auf Sprachinformationen, die der Anrufer in die Leitstelle durchgeben muss. Nun sind mit der IP-Technik bereits die Voraussetzung für künftige multimediale Notrufe geschaffen. Dabei geht es unter anderem um die Anbindung von Apps, über die zum Beispiel Gesundheitsdaten eines Notfall-Patienten übermittelt werden können.
Bald sollen sich auch Bilder und Videos der Einsatzsituation direkt mit dem Notruf übertragen lassen. Sie zeigen den Rettungskräften dann schon vorab, welche Situation sie vor Ort erwartet.
Die nächste Generation der Notrufe ist unter der Abkürzung "NG112" bereits in Planung.
Und was passiert bei Stromausfall?
Die integrierten Leitstellen verfügen über eine Notstromversorgung, die sofort einspringt, wenn die normale Stromversorgung ausfällt. Teile des Telefonnetzes werden noch über Puffer-Akkus kurzzeitig am Leben erhalten. Das heimische Telefon am IP-Router dürfte aber dann längst ausgefallen sein, weil die schnurlose DECT-Basis Strom braucht und der Router sowieso.
Ein Wechsel aufs "Handy" ist möglich, solange dessen Akku geladen oder eine "Power Bank" verfügbar ist. Bei einem größeren Stromausfall ist aber nicht sicher, ob die nächstgelegene Mobilfunk-Basisstation (Node-B) noch und wie lange mit Notstrom gespeist werden kann.
Vodafone-Chef Hannes Ametsreiter hat sich im Interview mit dem Polit-Magazin Focus klar geäußert: Wenn Huawei aus dem 5G-Netz verbannt werden sollte, würde das den Netzausbau verzögern und verteuern. Mehr zu dem Thema lesen Sie in einer weiteren News.