Nervensäge

Der Frosch ist tot

Der Klingelton verliert zusehends seine Bedeutung
Von dpa / Kaj-Sören Mossdorf

"Der Nutzer ist inzwischen auf diese kommerziellen Klingelton-Downloads auch gar nicht mehr angewiesen", sagt Cornelia Kelber. Wer einen bestimmten Signalton will, kann heute jede beliebige Musikdatei kostenlos aufs Smartphone bringen. "Und wer nicht weiß, wie das geht, liest im Online-Tutorial nach." Beim Klingelton-Basteln helfen zudem zahlreiche Apps. Songs und Sounds lassen sich aber auch mit Schnittsoftware am Rechner bearbeiten. Und wer etwa bei YouTube auf Klänge trifft, die Klingelton werden sollen, kann die Tonspur per kostenlosem Programm extrahieren.

Der Frosch ist tot, die Schlümpfe sind verstummt. Mit den "Klingelton-Orgien" der Nullerjahre ist es vorbei, sagt Kelber. Etwas subtiler dürfe es heute schon sein. Angesagt seien eher unauffälligere Signale und Melodien oder auch einfach nur der Vibrationsalarm. Die reine Funktion sei wieder wichtiger geworden, so die Trendforscherin. "Erwachsene, die sich heute noch mit einem möglichst lauten, schrillen, originellen Klingelton profilieren wollen, merken ziemlich schnell, dass sie sich damit eher blamieren."

Akustische Pforte in das Unterbewusstsein

Für Werbetreibende sind und bleiben Klingeltöne aber eine akustische Pforte in das Unterbewusstsein. Kaum eine Schokoladenfabrik, Kettensägenschmiede oder Brauerei ohne Klingelton-Angebot. Selbst das Glockengeläut von Kirchen oder einen Bundeswehr-Klingelton gibt es gratis aufs Handy. So "wird mit einer neuen Technologie ein uraltes Bedürfnis befriedigt", schreiben die Psychologen Christian Scheier und Dirk Held in ihrem Buch "Was Marken erfolgreich macht". Niemand brauche einen Klingelton. "Was aber immer gebraucht wird, ist die Individualisierung, Abgrenzung und Zugehörigkeit."

Peinlich nur, wenn es zur unfreiwilligen Abgrenzung kommt, weil man die Knigge-Regel des Stummschaltens verletzt hat. Weltweit Schlagzeilen machte etwa ein Klingelton-Unfall bei den New Yorker Philharmonikern: Marimba-Klänge, der iPhone-Standardklingelton, mitten in Mahlers neunte Symphonie. Der Dirigent unterbrach das Konzert, das Publikum empörte sich lautstark. Eine doppelte Blamage für den Zuhörer mit dem Smartphone. Denn etwas individueller als voreingestellt darf der Klingelton dann doch sein.

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