Besuch

Media Broadcast: Ein Besuch im Sendezentrum Nauen

Beim Wort "Nauen" wird es Technik- und Radio-Fans warm ums Herz. Wer kennt noch das Nauener Zeit­zei­chen, das über Lang­welle bis in die 1990er Jahre die amtliche Zeit aussen­dete? teltarif.de war vor Ort.
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Der Bau wirkt auch nach rund 100 Jahren noch sehr modern. Der Bau wirkt auch nach rund 100 Jahren noch sehr modern.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Die Stadt Nauen im Havel­land hat etwa 19.000 Einwohner. Der Begriff Nauen lässt die Herzen von Technik- und Radio-Fans höher schlagen. Denn dort gibt es am Orts­rand in der Graf Arco Straße ein rundum einge­zäuntes Gelände, auf dem ein vom Archi­tekten Muthe­sius 1917 entwor­fenes und nach seinen Plänen gebautes Back­stein­gebäude steht. Muthe­sius ließ übri­gens auch das Fern­mel­deamt 1 in Berlin in der Winter­feldt-Straße bauen, wo die deut­sche Geschichte von 5G begann.

Kaiser Wilhelm will ein eigenes Sende­zen­trum

Der Bau wirkt auch nach rund 100 Jahren noch sehr modern. Der Bau wirkt auch nach rund 100 Jahren noch sehr modern.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
In Nauen wollte Kaiser Wilhelm 1917 ein eigenes Sende­zen­trum haben, weil der Italiener Guglielmo Marconi, der die Wire­less Tele­graph & Signal Company gegründet hatte, bereits Funk­ver­kehr zu Schiffen anbot. Da konnte Deutsch­land nicht zurück­stehen. Zwar konnte er noch den Grund­stein legen, beim Sende­start war er aber nicht mehr im Amt und nicht mehr im Land. Also weihte Reichs­prä­sident Ebert den Sender ein.

Die genaue Zeit aus Nauen

Zunächst wurde aus Nauen ein Zeit­zei­chen auf der Frequenz 77 kHz und später auf 4525 kHz unter dem amtli­chen Rufzei­chen "DIZ" gesendet.

Nach einer wech­sel­vollen Geschichte gehört die Sende­funk­stelle in Nauen heute dem Unter­nehmen Media Broad­cast, dessen Wurzeln bei der Deut­schen Bundes­post (später Deut­sche Telekom) liegen. Die Telekom-Tochter über­trug damals TV- und Radio­pro­gramme für etwa 850 natio­nale und 110 inter­natio­nale Sender. Für geschätzt 700 bis 900 Millionen Euro verkaufte die Telekom seiner­zeit die "Media & Broad­cast" (wie sie damals noch hieß) an die TDF (Tele­dif­fusion France). Die wurden aber damit auch nicht wirk­lich glück­lich.

2016: Freenet kauft über­raschend Media Broad­cast

In Nauen bei Berlin ist die Sendefunkstelle der Media Broadcast. In Nauen bei Berlin ist die Sendefunkstelle der Media Broadcast.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
2016 kaufte die Freenet-Gruppe für etwa 295 Millionen Euro das Unter­nehmen. Die Freenet AG ist bekannt durch Mobil­funk, Fest­netz, TV und Internet-Ange­bote und Marken wie mobilcom-debitel, klar­mobil oder freenet Mobile. waipu.tv ist ein IP-TV-Angebot der Gruppe.

freenet TV wird in Deutsch­land im DVB-T2-Stan­dard ausge­strahlt und bringt in der kosten­losen Vari­ante die Programme von ARD und ZDF und gegen Abschluss eines Abover­trages noch weitere in die Haus­halte, die per Zimmer- oder alter Haus­antenne TV schauen möchten. Bei der Verbrei­tung der digi­talen Radio-Programme via DAB+ spielt die Media Broad­cast in Deutsch­land eben­falls eine wich­tige Rolle. In der Schweiz war die Freenet bis vor kurzem am Mobil­funk­netz­betreiber Sunrise betei­ligt.

Besuch im Sende­zen­trum

Von diesem Kontrollpult werden die Sender überwacht, oben die SWR-Anzeige. Von diesem Kontrollpult werden die Sender überwacht, oben die SWR-Anzeige.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Kürz­lich hatte teltarif.de Gele­gen­heit, einmal in der Sende­stelle in Nauen vorbei­zuschauen.

Dort betreibt Media Broad­cast noch drei Kurz­wellen-Sender von Tele­funken, die eine Sende­leis­tung von knapp 500 kW (AM) erlauben. Die raffi­niert konstru­ierten Thales-Antennen sind dreh und schwenkbar und erlauben somit, das Ziel­gebiet einzu­grenzen.

Als nutz­bare Sende-Frequenzen können zwischen 6 MHz und 26 MHz gewählt werden, ausge­strahlt werden Kurz­wellen-Rund­funk-Rund­funk­pro­gramme für die ganze Welt. Die Anpas­sung der Antenne erlaubt ein SWR (Steh­wel­len­ver­hältnis von maximal 1:1,6. Bei 1,8 oder mehr würden die Sender aus Sicher­heits­gründen abge­schaltet, weil die reflek­tierte Sende­leis­tung den Endstufen und der Strom­rech­nung nicht gut täten.

Media Broad­cast sendet im Auftrag

Eine drehbare Sendeantenne für 6 - 26 MHz. Im Sockel ist der Sender untergebracht. Eine drehbare Sendeantenne für 6 - 26 MHz. Im Sockel ist der Sender untergebracht.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Media Broad­cast sendet als Rund­funk­dienst­leister Programme von öffent­lich-recht­lichen und kommer­ziellen Radio­sta­tionen. Die verwen­deten Frequenzen werden vorher zwischen anderen Sende­stellen der Welt koor­diniert, weil man sich ja nicht gegen­seitig stören will, und dann wird die Bundes­netz­agentur über die gewählte Frequenz infor­miert, welche die Frequenz­hoheit in Deutsch­land hat.

Programme für China, Afrika und anderswo

Eine Senderöhre (Tetrode) des Typs TH 558. Die Heizung braucht 23 Volt, 500 Ampere. Eine Senderöhre (Tetrode) des Typs TH 558. Die Heizung braucht 23 Volt, 500 Ampere.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
So hat die Deut­sche Welle wieder Sende­zeit in Nauen gebucht, um beispiels­weise Programme in der an türkisch erin­nernden Sprache der Uiguren auszu­strahlen, die sich an die musli­mische Minder­heit in China richten. Auch Programme in chine­sischer Sprache werden gesendet, oder Radio-Ange­bote für Afrika. Daneben mieten christ­lich orien­tierte Radio­pro­gramme Sende­zeit.

Die Ausbrei­tungs­bedin­gungen der Kurz­welle sorgen dafür, dass man die Programme viel­leicht vor Ort in Nauen kurz hören kann, dann folgt die soge­nannte "tote Zone". Dafür sind die Programme in fernen Ländern und Konti­nenten bestens aufzu­nehmen. Bald sollen auch wieder Radio­pro­gramme für Afgha­nistan, beispiels­weise in den Spra­chen Paschtu oder Dari (ähnlich dem persi­schen Farsi) ausge­strahlt werden.

Sende­leiter aus Wert­achtal

Der Sende­leiter in Nauen, Walter Neumann war früher an der Sende­stelle Wert­achtal tätig. Damals wurde über­legt, ob man Nauen aufgeben und das Wert­achtal weiter ausbauen sollte, entschied sich aber genau anders­herum. Neumann dachte, nur kurz in Nauen zu arbeiten, aber inzwi­schen sind es einige Jahre geworden, und es macht ihm einen Riesen Spaß, wie er einer Hand­voll Jour­nalisten verriet, die sich das Sende­zen­trum in Nauen bei Berlin anschauen konnten.

Sender im Park

Rund um das histo­rische Sende­gebäude ist ein weit­läufig abge­zäuntes Park-Areal. Rund um die Sende­antenne gibt es eine weitere Einzäu­nung, welches den Sicher­heits­abstand zu den Antennen markiert, wo sich keine Menschen aufhalten dürfen. Der ist kleiner, als man gemeinhin denkt. Media Broad­cast über­legt, die großen Park­flä­chen mit Solar­zellen auszu­statten, um die nicht unbe­trächt­liche Strom­rech­nung zu redu­zieren und etwas für die Umwelt zu tun. Bei solchen Groß­ver­brau­chern wird vom E-Werk der höchste Strom­ver­brauch des Jahres (Peak) als Berech­nungs­grund­lage für die Strom­rech­nung heran­gezogen. Deswegen muss darauf geachtet werden, solche Peaks zu vermeiden.

Sender früher im Haus

Das VEB Funkwerk Köpenick baute einiges an Sendetechnik, die heute aber nicht mehr in Betrieb sind. Das VEB Funkwerk Köpenick baute einiges an Sendetechnik, die heute aber nicht mehr in Betrieb sind.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Die Rund­funk-Sender waren früher mit Gene­ratoren, Abstimm­krei­sens und Sende­ver­stär­kern direkt im Haupt­haus unter­gebracht. Heute befinden sie sich unmit­telbar unter den Antennen. Das spart Leitungen und Energie. Neumann ist immer dabei, Sende­röhren und Ersatz­teile zu sichern, weil für die teil­weise histo­risch wert­vollen Anlagen keine Neuteile mehr zu bekommen sind.

In der inter­natio­nalen Rund­funk­land­schaft ist eine Renais­sance der Kurz­welle zu bemerken, beson­ders bei Ziel­gruppen in poli­tisch unru­higen Ländern, wo es eher ein klas­sisches AM-Kurz­wel­len­radio als einen stabilen für Strea­ming geeig­neten Inter­net­zugang gibt. Auch gab es schon Anfragen, in Kata­stro­phen­fällen ein Kurz­wel­len­pro­gramm für Deutsch­land auszu­strahlen. Dafür müsste man aber einen außer­deut­schen oder sogar außer­euro­päi­schen Standort verwenden, um die Bereiche in der sonst toten Zone zu errei­chen.

Von 6 bis 26 MHz

Denkbar wäre auch die Kurz­welle bei 6000 kHz (= 6 MHz) im soge­nannten "Euro­paband". Die Frequenz 6075 kHz (6,075 MHz) ist Radio-Freunden als die "Deut­sche Welle Frequenz" bekannt. Deren Programme wurden schon vor 10 Jahren weit­gehend herun­ter­gefahren, wie der Hörer­ver­band ADDX damals schon kritisch bemerkte.

Weih­nachten mit voller Leis­tung

Einmal im Jahr, an Weih­nachten, hat Neumann richtig gut zu tun. Dann heizt er alle drei Kurz­wellen-Sender an und sendet den tradi­tio­nellen "Gruß an Bord", der seit dem Sende­schluss der Deut­schen Welle 2011 vom Nord­deut­schen Rund­funk orga­nisiert wird und bei Seeleuten in aller Welt sehr geschätzt wird.

Come­back der Kurz­welle?

Viel­leicht findet aufgrund der welt­weiten poli­tischen Krisen ein Umdenken statt. Denn die Über­tra­gung per Kurz­welle zu stören, ist schwierig bis aufwendig. Die Über­tra­gung per Internet zu stören, ist gerade in auto­ritären Staaten recht einfach.

In einer Über­sicht zeigen wir ihnen alle wich­tigen Ratgeber auf teltarif.de, die sich mit Strea­ming, Fern­sehen, Radio und Unter­hal­tungs­elek­tronik beschäf­tigen.

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