Media Broadcast: Ein Besuch im Sendezentrum Nauen
Der Bau wirkt auch nach rund 100 Jahren noch sehr modern.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Die Stadt Nauen im Havelland hat etwa 19.000 Einwohner. Der Begriff Nauen lässt die Herzen von Technik- und Radio-Fans höher schlagen. Denn dort gibt es am Ortsrand in der Graf Arco Straße ein rundum eingezäuntes Gelände, auf dem ein vom Architekten Muthesius 1917 entworfenes und nach seinen Plänen gebautes Backsteingebäude steht. Muthesius ließ übrigens auch das Fernmeldeamt 1 in Berlin in der Winterfeldt-Straße bauen, wo die deutsche Geschichte von 5G begann.
Kaiser Wilhelm will ein eigenes Sendezentrum
Der Bau wirkt auch nach rund 100 Jahren noch sehr modern.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
In Nauen wollte Kaiser Wilhelm 1917 ein eigenes Sendezentrum haben, weil der Italiener Guglielmo Marconi, der die Wireless Telegraph & Signal Company gegründet hatte, bereits Funkverkehr zu Schiffen anbot. Da konnte Deutschland nicht zurückstehen. Zwar konnte er noch den Grundstein legen, beim Sendestart war er aber nicht mehr im Amt und nicht mehr im Land. Also weihte Reichspräsident Ebert den Sender ein.
Die genaue Zeit aus Nauen
Zunächst wurde aus Nauen ein Zeitzeichen auf der Frequenz 77 kHz und später auf 4525 kHz unter dem amtlichen Rufzeichen "DIZ" gesendet.
Nach einer wechselvollen Geschichte gehört die Sendefunkstelle in Nauen heute dem Unternehmen Media Broadcast, dessen Wurzeln bei der Deutschen Bundespost (später Deutsche Telekom) liegen. Die Telekom-Tochter übertrug damals TV- und Radioprogramme für etwa 850 nationale und 110 internationale Sender. Für geschätzt 700 bis 900 Millionen Euro verkaufte die Telekom seinerzeit die "Media & Broadcast" (wie sie damals noch hieß) an die TDF (Telediffusion France). Die wurden aber damit auch nicht wirklich glücklich.
2016: Freenet kauft überraschend Media Broadcast
In Nauen bei Berlin ist die Sendefunkstelle der Media Broadcast.
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2016 kaufte die Freenet-Gruppe für etwa 295 Millionen Euro das Unternehmen. Die Freenet AG ist bekannt durch Mobilfunk, Festnetz, TV und Internet-Angebote und Marken wie mobilcom-debitel, klarmobil oder freenet Mobile. waipu.tv ist ein IP-TV-Angebot der Gruppe.
freenet TV wird in Deutschland im DVB-T2-Standard ausgestrahlt und bringt in der kostenlosen Variante die Programme von ARD und ZDF und gegen Abschluss eines Abovertrages noch weitere in die Haushalte, die per Zimmer- oder alter Hausantenne TV schauen möchten. Bei der Verbreitung der digitalen Radio-Programme via DAB+ spielt die Media Broadcast in Deutschland ebenfalls eine wichtige Rolle. In der Schweiz war die Freenet bis vor kurzem am Mobilfunknetzbetreiber Sunrise beteiligt.
Besuch im Sendezentrum
Von diesem Kontrollpult werden die Sender überwacht, oben die SWR-Anzeige.
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Kürzlich hatte teltarif.de Gelegenheit, einmal in der Sendestelle in Nauen vorbeizuschauen.
Dort betreibt Media Broadcast noch drei Kurzwellen-Sender von Telefunken, die eine Sendeleistung von knapp 500 kW (AM) erlauben. Die raffiniert konstruierten Thales-Antennen sind dreh und schwenkbar und erlauben somit, das Zielgebiet einzugrenzen.
Als nutzbare Sende-Frequenzen können zwischen 6 MHz und 26 MHz gewählt werden, ausgestrahlt werden Kurzwellen-Rundfunk-Rundfunkprogramme für die ganze Welt. Die Anpassung der Antenne erlaubt ein SWR (Stehwellenverhältnis von maximal 1:1,6. Bei 1,8 oder mehr würden die Sender aus Sicherheitsgründen abgeschaltet, weil die reflektierte Sendeleistung den Endstufen und der Stromrechnung nicht gut täten.
Media Broadcast sendet im Auftrag
Eine drehbare Sendeantenne für 6 - 26 MHz. Im Sockel ist der Sender untergebracht.
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Media Broadcast sendet als Rundfunkdienstleister Programme von öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Radiostationen. Die verwendeten Frequenzen werden vorher zwischen anderen Sendestellen der Welt koordiniert, weil man sich ja nicht gegenseitig stören will, und dann wird die Bundesnetzagentur über die gewählte Frequenz informiert, welche die Frequenzhoheit in Deutschland hat.
Programme für China, Afrika und anderswo
Eine Senderöhre (Tetrode) des Typs TH 558. Die Heizung braucht 23 Volt, 500 Ampere.
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So hat die Deutsche Welle wieder Sendezeit in Nauen gebucht, um beispielsweise Programme in der an türkisch erinnernden Sprache der Uiguren auszustrahlen, die sich an die muslimische Minderheit in China richten. Auch Programme in chinesischer Sprache werden gesendet, oder Radio-Angebote für Afrika. Daneben mieten christlich orientierte Radioprogramme Sendezeit.
Die Ausbreitungsbedingungen der Kurzwelle sorgen dafür, dass man die Programme vielleicht vor Ort in Nauen kurz hören kann, dann folgt die sogenannte "tote Zone". Dafür sind die Programme in fernen Ländern und Kontinenten bestens aufzunehmen. Bald sollen auch wieder Radioprogramme für Afghanistan, beispielsweise in den Sprachen Paschtu oder Dari (ähnlich dem persischen Farsi) ausgestrahlt werden.
Sendeleiter aus Wertachtal
Der Sendeleiter in Nauen, Walter Neumann war früher an der Sendestelle Wertachtal tätig. Damals wurde überlegt, ob man Nauen aufgeben und das Wertachtal weiter ausbauen sollte, entschied sich aber genau andersherum. Neumann dachte, nur kurz in Nauen zu arbeiten, aber inzwischen sind es einige Jahre geworden, und es macht ihm einen Riesen Spaß, wie er einer Handvoll Journalisten verriet, die sich das Sendezentrum in Nauen bei Berlin anschauen konnten.
Sender im Park
Rund um das historische Sendegebäude ist ein weitläufig abgezäuntes Park-Areal. Rund um die Sendeantenne gibt es eine weitere Einzäunung, welches den Sicherheitsabstand zu den Antennen markiert, wo sich keine Menschen aufhalten dürfen. Der ist kleiner, als man gemeinhin denkt. Media Broadcast überlegt, die großen Parkflächen mit Solarzellen auszustatten, um die nicht unbeträchtliche Stromrechnung zu reduzieren und etwas für die Umwelt zu tun. Bei solchen Großverbrauchern wird vom E-Werk der höchste Stromverbrauch des Jahres (Peak) als Berechnungsgrundlage für die Stromrechnung herangezogen. Deswegen muss darauf geachtet werden, solche Peaks zu vermeiden.
Sender früher im Haus
Das VEB Funkwerk Köpenick baute einiges an Sendetechnik, die heute aber nicht mehr in Betrieb sind.
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Die Rundfunk-Sender waren früher mit Generatoren, Abstimmkreisens und Sendeverstärkern direkt im Haupthaus untergebracht. Heute befinden sie sich unmittelbar unter den Antennen. Das spart Leitungen und Energie. Neumann ist immer dabei, Senderöhren und Ersatzteile zu sichern, weil für die teilweise historisch wertvollen Anlagen keine Neuteile mehr zu bekommen sind.
In der internationalen Rundfunklandschaft ist eine Renaissance der Kurzwelle zu bemerken, besonders bei Zielgruppen in politisch unruhigen Ländern, wo es eher ein klassisches AM-Kurzwellenradio als einen stabilen für Streaming geeigneten Internetzugang gibt. Auch gab es schon Anfragen, in Katastrophenfällen ein Kurzwellenprogramm für Deutschland auszustrahlen. Dafür müsste man aber einen außerdeutschen oder sogar außereuropäischen Standort verwenden, um die Bereiche in der sonst toten Zone zu erreichen.
Von 6 bis 26 MHz
Denkbar wäre auch die Kurzwelle bei 6000 kHz (= 6 MHz) im sogenannten "Europaband". Die Frequenz 6075 kHz (6,075 MHz) ist Radio-Freunden als die "Deutsche Welle Frequenz" bekannt. Deren Programme wurden schon vor 10 Jahren weitgehend heruntergefahren, wie der Hörerverband ADDX damals schon kritisch bemerkte.
Weihnachten mit voller Leistung
Einmal im Jahr, an Weihnachten, hat Neumann richtig gut zu tun. Dann heizt er alle drei Kurzwellen-Sender an und sendet den traditionellen "Gruß an Bord", der seit dem Sendeschluss der Deutschen Welle 2011 vom Norddeutschen Rundfunk organisiert wird und bei Seeleuten in aller Welt sehr geschätzt wird.
Comeback der Kurzwelle?
Vielleicht findet aufgrund der weltweiten politischen Krisen ein Umdenken statt. Denn die Übertragung per Kurzwelle zu stören, ist schwierig bis aufwendig. Die Übertragung per Internet zu stören, ist gerade in autoritären Staaten recht einfach.
In einer Übersicht zeigen wir ihnen alle wichtigen Ratgeber auf teltarif.de, die sich mit Streaming, Fernsehen, Radio und Unterhaltungselektronik beschäftigen.